Der Wahlkampf in den USA hat begonnen. Werden wir einen einmalig hässlichen politischen Wettbewerb erleben? Georg Schild: Der Wahlkampf ist die Vorstufe zur Macht, da wurde in den USA schon immer mit harten Bandagen gekämpft, nicht erst seit Donald Trump. So wurde Präsident Andrew Jackson in den 1830er-Jahren oftmals als „King Andrew“ karikiert. Noch schlimmer wurde Abraham Lincoln 1860 in Anspielung auf seinen Namen „Abe“ häufig als Affe (englisch: Ape) dargestellt. Trump nimmt diese Tradition der Verächtlichmachung des Gegners wieder auf, wenn er Hillary Clinton als „Crooked Hillary“, Joe Biden als „Sleepy Joe“ und seine innerparteiliche Rivalin Nikki Haley als „Tricky Nikki“ bezeichnet.
Wofür steht Trump inhaltlich?
GS: Trump äußert sich ungenau und widersprüchlich darüber, was er im Fall einer Wiederwahl beabsichtigt. Er erklärt, dass er die Grenze zu Mexiko sichern, den Ukraine-Krieg und den Nahostkonflikt unverzüglich beenden werde. Und er stellt die Nato infrage. Aber dahinter steht kein ausgearbeitetes innen- und außenpolitisches Konzept. Seine Äußerungen kann man wohl am ehesten psychologisch deuten. Er erklärt sich selbst zum Heilsbringer, der alles erreichen kann, und die Massen jubeln ihm zu. Das deutet auf ein tiefer gehendes Problem innerhalb der amerikanischen Gesellschaft hin.
Auf welches?
GS: Trump wird bei uns gerne als potenzieller Diktator dargestellt. Das ist ein schräger Vergleich, weil sich Regierungshandeln in Amerika nie als Legitimationsbasis angeboten hat wie in Europa. Trump will den Staatseinfluss nicht ausdehnen. Er gleicht eher Präsidenten wie Herbert Hoover und Ronald Reagan, die die Regierung schwächen wollten. Trump kündigt an, dass er Steuern senken, Staatsangestellte entlassen, Ministerien auflösen, Hilfsprogramme für Minderheitengruppen beenden und das unter Barack Obama eingeführte Krankenversicherungssystem wieder abschaffen will.
Aber warum jubeln ihm die Leute zu?
GS: Viele der Menschen auf Trumps Wahlveranstaltungen sind Weiße der unteren Mittelschicht. Sie arbeiten hart und glauben, dass der Staat sie in ihrer Freiheit und ihrem Tun einschränkt, beispielsweise durch Steuern oder die Regulierung des Schusswaffenbesitzes. Und – ganz wichtig – sie glauben, dass andere Gruppen und Minderheiten bevorzugt werden, vor allem Schwarze. Die Nachkommen der weißen, protestantischen, englischen Siedler, die Trump zujubeln, verstehen sich als die „wahren“ Amerikaner. Ein Präsident wie Barack Obama und eine Vizepräsidentin wie Kamala Harris passen nicht in dieses Weltbild. Hier kommt Trumps Regierungskritik ins Spiel: In populistischer Manier verspricht er, alte Machtstrukturen wieder herzustellen, indem er den regulierenden Staat zurückfährt – und die Weißen so frei agieren lässt, wie sie es in einer mythisch verklärten Frühzeit des Landes tun konnten. Das ist das „again“ in „Make America great again“.
Das sieht nach einer bewussten gesellschaftlichen Spaltung aus.
GS: In der Tat fördert Trump bewusst eine gesellschaftliche Spaltung, die die demokratische Staatsordnung gefährden kann. Das erinnert an das Jahr 1860 …
Was meinen Sie damit?
GS: 1860 wurde Abraham Lincoln mit Stimmen nur aus dem Norden zum Präsidenten gewählt. Lincoln galt als Abolitionist, als Gegner der Sklaverei. Südstaatler fürchteten um den Fortbestand ihres auf Sklavenarbeit beruhenden Plantagensystems. Sie akzeptierten das Wahlergebnis nicht und erklärten stattdessen ihren Austritt aus der Union. Es gibt konservative Republikaner, die sich heute ähnlich über Demokratie äußern. Senator Mike Lee aus Utah etwa schreibt auf seiner Website, dass Demokratie kein Ziel an sich sei: „Democracy itself is not the goal.“