Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2024: Leute

Experte der Organischen Chemie, engagierter Hochschullehrer und Mitbegründer der Tübinger Stolperstein-Initiative

Zum Tode von Professor Dr. Günter Häfelinger ein Nachruf von Günther Jung und Volker Schurig

Professor Dr. Günter Häfelinger verstarb am  5. Januar 2024 im Alter von 86 Jahren. Die Tübinger Bevölkerung kennt ihn aus seinem unermüdlichen Einsatz für die Stolperstein-Initiative zur Erinnerung an Tübinger Opfer der Nationalsozialisten. Tübinger Studierende der Organischen Chemie kennen ihn aus seinen Vorlesungen und Seminaren, insbesondere aber aus seinem Engagement bei Examensvorbereitungen. 

Günter Häfelinger, geboren am 23. Mai 1937 in Freiburg, Breisgau, studierte Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe und promovierte 1962-1965 bei Professor Ernst Bayer an der hiesigen Universität. Danach folgte ein Post-Doktorat an der University of Berkeley in den USA bei dem hoch angesehenen theoretischen Chemiker Professor A. Streitwieser.  Weitere Auslandsaufenthalte mit Kursen in Theoretischer Chemie schlossen sich an. Nach seiner Habilitation im Jahre 1970 für Organische und Theoretische Chemie lehrte und forschte er am Institut für Organische Chemie auf der Morgenstelle in Tübingen. Seine Forschungen umfassen die Berechnung der elektronischen Struktur von organischen Molekülen mit ‚molecular-orbital‘-Ansätzen sowie dem Nachweis von ‚Aromazität‘ zur Erklärung der besonderen Stabilität ungesättigter cyclischer Moleküle wie Benzol. In zahlreichen von ihm betreuten Diplom- und Doktorarbeiten wurden Strukturberechnungen organischer Moleküle mit modernen Methoden durchgeführt und publiziert. Zu dieser sehr anspuchsvollen Problematik hat er neben seinen Vorlesungen in Organischer Experimentalchemie und Heterocyclenchemie auch mehrere Spezialvorlesungen in theoretischer Chemie gehalten.

Der Schwerpunkt seiner Hochschullehrertätigkeit verlagerte sich in späteren Jahren zunehmend in die Ausbildung der Studierenden. Mit seinem beeindruckenden Fachwissen der gesamten Organischen Chemie und deren vielfältigen Stoffklassen sowie seinem didaktischen Einfühlungsvermögen war er für viele Lernende während ihres Chemiestudiums ein hochgeschätzter und vor allem auch allzeit hilfsbereiter Lehrer. Für seine Kollegen hatte er ein stets offenes Ohr für berufliche wie private Probleme und fand ausgleichende Lösungen. Er bleibt bei allen Institutsangehörigen in bester und lieber Erinnerung. 

Hervorzuheben ist auch sein unermüdlicher Einsatz, die Chemie aus dem Elfenbeinturm zu befreien und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So leitete er im Wintersemester 1999/2000 eine Vorlesungsreihe im Studium Generale mit dem Titel ‚Chemie an der Schwelle des 21. Jahrhunderts‘ und im Sommersemester 2002 mit dem Titel ‚Symmetrie in Wissenschaft und Kunst‘. Die Vorlesungen sind im Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) der Universität über das System ‚Tübinger Internet MultiMedia System‘ (TIMMS) abrufbar. Im Gedenken an Professor Ernst Bayer organisierte Günter Häfelinger jährliche Treffen ehemaliger Mitarbeiter seines verehrten Doktorvaters. 

Seit seiner Kindheit war Günter Häfelinger der Musik zugewandt und er war ein Bewunderer der Werke von Johann Sebastian Bach. Inspiriert durch seine wissenschaftliche Tätigkeit verfasste er auch dichterische Fragmente. Nach seiner Pensionierung hat Günter Häfelinger in der Tübinger Bonhoeffer-Gemeinde aktiv mitgewirkt. Mit Sigrid Goth-Zeck hat er die Stolperstein-Initiative für die Tübinger Innenstadt gegründet, hinter deren Forderungen sich im Juni 2017 die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen „einstimmig und mit Nachdruck“ gestellt hat. Günter Häfelinger setzte all seine Überzeugungskraft ein, um auch die Tübinger Verwaltungsspitze von der Initiative zu überzeugen. Nachdem sich im Gemeinderat eine Mehrheit für diese Form des Gedenkens abzeichnete, stimmte schließlich der Kulturausschuss der Stadt Tübingen im September 2017 einem Antrag auf Stolpersteinverlegung mit großer Mehrheit zu. So hat sich Günter Häfelinger von 2016 bis 2022 maßgeblich für die Erinnerung an die NS-Opfer durch die Verlegung der Stolpersteine eingesetzt und viele ihrer Nachkommen nach Tübingen eingeladen.