Der Hadith kann unter vielfachen Gesichtspunkten betrachtet und erforscht werden.
- In den klassischen Hadithwissenschaften (ʿulūm al-ḥadīth), wie sie in der islamischen Tradition entwickelt wurde, wird der Hadith in erster Linie als Überlieferung betrachtet, deren Kontinuität und Übereinstimmung mit der prophetischen Verkündigung zu überprüfen ist. Die klassische Hadithwissenschaft widmet sich daher der riwāya, der eigentlichen Sammlung und Vermittlung des Hadith, und dem dirāya, der Untersuchung des Hadithmaterials bezüglich seiner Vertrauenswürdigkeit als Zeugnis der prophetischen Verkündigung. Die primäre Funktion der klassischen Hadithwissenschaft besteht folglich in der Überlieferung der prophetischen Verkündigung.
- In der Islamwissenschaft wird der Hadith als historisches Dokument erforscht, das Auskunft über die Entstehungszeit des Islams liefert. Inwieweit die Hadithüberlieferung die Aktivität des Propheten historisch wiedergibt wird in der Islamwissenschaft kontrovers diskutiert, wobei keine Position sich hat eindeutig durchsetzen können. In der rezenteren islamwissenschaftlichen Forschung wird der Hadith verstärkt anhand seiner Rezeptionsgeschichte als kulturelles Erbe untersucht, das einen Einblick in soziale Praktiken, kulturelle Netzwerke, Legitimationsdiskurse u.Ä. erlaubt.
- Die theologische Hadithforschung, der sich dieser Lehrstuhl widmet, untersucht den Hadith als theologisches Zeugnis, d.h. als eine Quelle des Glaubensvollzugs im Islam. Der Hadith ist demnach in Hinblick auf den unmittelbaren Inhalt der prophetischen Glaubenspraxis und Verkündigung zu untersuchen. Als theologisches Zeugnis ist der Hadith auch in seiner Geschichte, also historisch, zu untersuchen. Im Unterschied zur islamwissenschaftlichen Perspektive wird diese Geschichte aber immer als Geschichte der prophetischen Verkündigung und ihrer Überlieferung verstanden.
Das Quellenmaterial, mit welcher die theologische Hadithforschung arbeitet, umfasst alles was von und über den Propheten überliefert wurde, sowie die Rezeptions- und Reflektionsgeschichte dieser Überlieferung.
Die spezifische Fragestellung der theologischen Hadithforschung unterscheidet sich von den Fragestellungen anderer islamischer Wissensdisziplinen. Letztere fragen vordergründig nach den dogmatischen, normativen oder ethischen Konsequenzen der prophetischen Verkündigung. Die theologische Hadithforschung entwickelt ihre Fragestellungen ausgehend von einem hermeneutischen Zugang zur prophetischen Überlieferung, um einen Dialog zwischen dem Hadith und dem Leser herzustellen. Die prophetische Verkündigung wird weniger als Objekt betrachtet, das es aufzuarbeiten gilt, um daraus eine Programmatik oder ein System herzuleiten. Es soll vielmehr darum gehen, die prophetische Überlieferung als Ort der Begegnung zwischen der islamischen Gemeinde und ihrem Propheten zu ergründen und die herkömmlichen Fragestellungen nach der Authentizität und der normativen Geltung des Hadithes durch die Frage nach dem 'ge- und erlebten Hadith' zu ergänzen.
Das Anliegen der theologischen Hadithforschung besteht damit weder in der Überlieferung des Hadith, wie sie von der klassischen Hadithwissenschaft geleistet wird, noch in der historischen Erforschung der islamischen Kultur, wie sie die Islamwissenschaft vorsieht. Die theologische Hadithforschung macht es sich vielmehr zur Aufgabe, den Hadith als gegenwartsrelevante Ressource für die islamische Theologie zu erschließen. Gegenwartsrelevant heißt hier, dass der Hadith nicht nur als ein aus der Vergangenheit überlieferter Text betrachtet wird, dessen Entstehung und Rezeption zu erörtern sind, sondern auch als Medium der Vergegenwärtigung der prophetischen Autorität, Charisma und Verkündigung, im Leben der islamischen Gemeinde.