Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)

Methoden

Methoden der integrativen Neurowissenschaft

Die neuronalen Funktionen, die dem Verhalten und der Kognition zugrunde liegen, sind auf vielen verschiedenen Ebenen organisiert: von Genen und Molekülen über Zellen bis hin zu neuronalen Netzen und großen neuronalen Systemen, die verschiedene Gehirnkerne und -regionen umfassen.

Diese Organisationsebenen interagieren, um auf der nächsthöheren Ebene emergente Eigenschaften zu erzeugen. Nur wenn wir diese Wechselwirkungen im Detail kennen, können wir die Funktionsweise des Gehirns in vollem Umfang verstehen und dieses Wissen für Anwendungen in Medizin und Technik nutzen.

Das obige Schema stellt eine Visualisierung der Organisationsebenen dar, die von der Forscher*innengemeinschaft des CIN untersucht werden. Das endgültige Ziel besteht darin, dieses Wissen für menschliche Anwendungen zu nutzen, typischerweise in der Medizin sowie für die Weiterentwicklung moderner Technologien wie Informationstechnologie, Robotik und künstliche Intelligenz. Die Grafik unterstreicht auch die wichtige Rolle der theoretischen Neurobiologie bei der Anleitung der experimentellen Arbeit auf allen Organisationsebenen. Schließlich muss das gesamte Unterfangen von einer philosophischen Analyse der Konzepte und Paradigmen sowie von ethischen Überlegungen begleitet werden.

Die Methoden im Überblick

Ebenen der Organisation

Die gesamte Biologie beginnt auf der Ebene der Genetik. In der Vergangenheit gab es große Hoffnungen, dass sich scheinbar komplexe Phänomene als einfacher als erwartet herausstellen könnten, wenn sie auf einzelne Gene zurückgeführt werden könnten. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Vorstellung, dass alle komplexen Gehirnfunktionen oder neurologischen Erkrankungen direkt und kausal mit einzelnen Genen in Verbindung gebracht werden können, nicht realistisch ist. Der Grund dafür ist, dass die Krankheiten, bei denen es theoretisch möglich ist, ein einzelnes Gen zu "reparieren" und den Patienten dadurch zu heilen, eine winzige Minderheit unter allen bekannten Hirnerkrankungen darstellen. Es wurde noch keine komplexe Hirnfunktion gefunden, die durch ein einzelnes Gen verursacht wird. Der Grund dafür ist, dass die meisten neuronalen Funktionen und Funktionsstörungen nicht durch Gene im engeren Sinne "verursacht" werden. Vielmehr 'prädisponieren' komplexe Netzwerke von Genen das Gehirn dazu, auf bestimmte Weise zu funktionieren oder zu dysfunktionieren. Theoretisch erfordert die genaue Vorhersage der Ausprägung neuronaler (Fehl-)Funktionen die Kenntnis der genauen Zusammensetzung eines riesigen Pools von Genen sowie der Beiträge von Umweltfaktoren.

Eine Reihe von Genen beeinflusst ganze Netzwerke von Molekülen und Zellen auf den höheren Organisationsebenen auf noch unbekannte Weise, wobei sich ihre Auswirkungen bis hin zu Kognition und Verhalten erstrecken. Wenn die Neurowissenschaftler*innen verstehen wollen, was bei der Entstehung komplexer Hirnfunktionen vor sich geht, müssen sie sich der mühsamen Aufgabe stellen, herauszufinden, wie die Funktion auf jeder Organisationsebene entsteht und wie sie auf die nächsthöhere Ebene übertragen wird. Dieses Verständnis beruht auf der ursprünglich von David Marr und Werner Reichardt geäußerten Einsicht. Es ist nun die Aufgabe des CIN.

Ebenenspezifische Methoden

Auf jeder Organisationsebene wenden die CIN-Forscher*innen eine Vielzahl von Instrumenten an, die es ihnen ermöglichen, spezifische Funktionsaspekte zu analysieren.

Sie verwenden Methoden, die auf den typischen Umfang der jeweiligen Organisationsebene und ihre besonderen Anforderungen ausgerichtet sind. Die erste und wichtigste methodische Überlegung ist die Auflösung: Ob man dieses oder jenes Werkzeug einsetzt, hängt stark davon ab, ob man Phänomene im Mikrometer-, Millimeter- oder Zentimeterbereich sowie im Millisekunden-, Sekunden- oder Minutenbereich untersuchen möchte.

Die folgenden Grafiken (auch in den nächsten Slides) zeigen die räumliche (Ordinate) und zeitliche (Abszisse) Auflösung der gebräuchlichsten neurobiologischen Werkzeuge. Der Grad der Auflösung, der mit den einzelnen Instrumenten in etwa möglich ist, wird durch die farbigen Kästchen abgegrenzt. Beachten Sie die logarithmische Skala.

Elektrophysiologische Methoden

Unter den Methoden, die bei Untersuchungen des menschlichen Gehirns eingesetzt werden können, haben die elektrophysiologischen Methoden EEG und MEG eine ausgezeichnete zeitliche, aber eher schlechte räumliche Auflösung. Elektrische Aktivität bis zu 100 Hz kann aufgelöst werden (Auflösung im Millisekundenbereich), aber die räumliche Spezifität liegt auf der Ebene des gesamten Gehirns oder manchmal des kortikalen Lappens.

Moderne bildgebende Verfahren sind besser in der Lage, die Hirnaktivität zu lokalisieren, haben aber gravierende Nachteile in Bezug auf die zeitliche Auflösung. Weder die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) noch die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) erfassen neuronale Aktivitäten auf einer Skala von mehr als ein paar Sekunden (siehe: Kognition und Verhalten). Ähnliche Einschränkungen gelten auch für den Einsatz von Läsionen, dem traditionellsten Mittel zur Untersuchung der menschlichen Gehirnfunktion. Krankheitsbedingte Läsionen (Schlaganfall oder Tumor) betreffen in der Regel große Hirnareale und sind nur selten klein und abgegrenzt genug, um Rückschlüsse auf die Funktion einer einzelnen definierten Hirnstruktur oder eines neuronalen Pfads zu ermöglichen.

Altbewährte Forschung

Die Elektrophysiologie mit Mikroelektroden ist in vielerlei Hinsicht immer noch der Goldstandard der modernen neurophysiologischen Forschung. Sie verfügt über eine hervorragende räumliche und zeitliche Auflösung (im Millisekunden- und Mikrometerbereich). Intrazelluläre Techniken, wie z. B. Patch-Clamp-Aufnahmen, liefern Daten aus subzellulären Kompartimenten wie Dendriten und Axonen (siehe: Zellen). Extrazelluläre Aufzeichnungen liefern Informationen über einzelne Aktionspotenziale von einzelnen Neuronen (Single Unit). Feldpotentiale stammen aus kleinen Netzwerken, die auf den Submillimeterbereich beschränkt sind. Etwa der gleiche räumliche Bereich von neuronalem Gewebe wird durch elektrische Mikrostimulation aktiviert (siehe: Netzwerke).

Optische Methoden

Neue optophysiologische Methoden nutzen Licht, um neuronale Aktivität mit hoher zeitlicher und räumlicher Präzision zu messen. Intrinsische optische Bildgebung und spannungsempfindliche Farbstoffe geben Aufschluss über die neuronale Aktivität auf der Skala von Millisekunden. Sie sind jedoch noch nicht in der Lage, einzelne Neuronen aufzulösen.

Bei der Kalzium-Bildgebung werden Indikatorfarbstoffe verwendet, die auf unterschiedliche Weise in einzelne Zellen oder Zellpopulationen eingebracht werden (z. B. durch Inkubation oder über Mikroelektroden). So wird mit dieser Methode eine zelluläre und subzelluläre Auflösung erreicht (siehe: Netzwerke).

Bei der optogenetischen Stimulation werden bestimmte Neuronen genetisch verändert. Dabei werden lichtempfindliche Ionenkanäle oder Pumpen in die Membran des Neurons eingebaut. Komplexe genetische Konstrukte mit Genen, die nur in bestimmten Geweben transkribiert werden, können zur spezifischen Markierung von Unterpopulationen von Neuronen verwendet werden. Die Stimulation von neuronalen Unterklassen oder einzelner Neuronen könnte mit dieser Methode möglich werden.

Andere Methoden

Nicht zuletzt verfügt die Molekularbiologie und die Genetik über ein umfangreiches methodisches Instrumentarium zur Bewertung der Funktion von Molekülen (siehe: Gene und Moleküle). Diese Methoden ermöglichen die Messung oder Manipulation der Funktion einzelner Moleküle und molekularer Signalkaskaden. Diese Methoden können sowohl auf einzelne Zellen als auch auf ganze Organismen ausgerichtet sein. Sie ermöglichen somit Messungen auf einer großen Bandbreite von zeitlichen und räumlichen Skalen.

Bitte beachten Sie, dass die Methoden nur auf Englisch verfügbar sind.