Warum Tierversuche? Häufig gestellte Fragen
In diesem Abschnitt finden Sie Antworten auf einige wichtige Fragen im Zusammenhang mit Tierversuchen:
Was für Tierversuche finden am CIN statt?
Die Forschung am CIN deckt einen sehr weiten Bereich ab und erstreckt sich von Molekülen, Zellen und Zellnetzwerken bis hinauf zu "höheren" Hirnfunktionen wie Kognition und Verhalten. Daher machen unsere Forschungsgruppen von einem weiten Spektrum an Forschungsmethoden Gebrauch, die hier detailliert dargestellt werden. Viele wichtige Fragen können unsere Forscher*innen nur in passenden Tiermodellen angehen.
Das folgt aus einer Grundüberzeugung, die das CIN seit seinen Anfängen zum Handlungsgrundsatz erhoben hat: Wenn wir verstehen wollen, wie das Gehirn seine Funktionen hervorbringt, dann können wir das nur in realen Gehirnen von lebendigen Organismen. Es liegt in der Natur der Neurowissenschaft, das lebende, funktionstüchtige Organ zu erforschen. Nehmen wir etwa neuronale Reaktionen auf Sinneswahrnehmungen, die Weitergabe von Impulsen in neuralen Netzwerken oder den Aufbau von Potenzialen, die Bewegung oder Kognition hervorbringen: Wie könnten wir diese Dinge jemals in einer Petrischale erforschen? Die Bildgebungstechnologie müsste erst noch erfunden werden, mit der wir die elektrischen Impulse feuernder Neuronen in Aktion beobachten könnten. Und wie sollte irgendjemand Computermodelle von all dem erstellen, ohne sie mit Daten aus lebenden, arbeitenden Gehirnen zu füttern? Tiermodelle sind ein Erfordernis unserer Arbeit hier am CIN.
Unsere Arbeitsgruppen verwenden in ihren Experimenten derzeit Mäuse, Ratten, Zebrafische und eine niedrig zweistellige Zahl Exemplare zweier Primatenspezies: Rhesusaffen (Macaca mulatta) und Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus). Wie fast überall in Deutschland machen auch bei uns die Mäuse den größten Teil der im Tierexperiment eingesetzten Tiere aus.
Abhängig von der verfolgten Forschungsfrage bedient sich die tierexperimentelle Forschung am CIN eines breiten Methodenspektrums. Mehrere Projekte stützen sich stark auf genetisch modifizierte Mäusezuchtlinien. Bei ihnen werden z.B. gezielt bestimmte Gene ausgeschaltet ("knock-out"), so dass im Organismus der Tiere einzelne Enzyme nicht mehr produziert werden. Oder es kommen optogenetische Methoden zum Einsatz, bei denen Licht einer bestimmten Frequenz in Zellen physiologische Reaktionen hervorruft.
Nicht-menschliche Primaten am CIN, aber auch viele der Mäuse und Ratten, werden trainiert und in Langzeit-Experimenten eingesetzt. Darin reagieren sie in bestimmter, antrainierter Weise auf Reize, während ihre Hirnaktivität beobachtet wird – teils mit Hilfe invasiver Methoden, teils durch nichtinvasive Bildgebung. Diese Vorgehensweise ist vor allem dann oft notwendig, wenn höhere Hirnfunktionen erforscht werden und dazu reine Verhaltensbeobachtung nicht ausreicht. Die Erforschung von Kognition und Verhalten, etwa das Fällen von Entscheidungen, erfordert die freiwillige Mitarbeit des Tiers – in diesem Fall Rhesusaffen, deren Reaktionen mit einer Kombination aus invasiven und nichtinvasiven Methoden analysiert werden. Wo direkte Reiz-Reaktion-Schaltkreise auf zellulärer und Netzwerk-Ebene untersucht werden sollen, kommen Mäuse und Ratten zum Einsatz. In der Seh- und visuomotorischen Forschung (die an den Forschungen am CIN einen großen Anteil ausmacht) werden sowohl Nagetiere als auch Affen verwendet, wiederum abhängig von den verfolgten Forschungsfragen und unter Einsatz eines Methodenmixes.
Wie üblich – und wie auch vom Gesetzgeber vorgeschrieben – werden höher entwickelte Tiere wie Primaten nur dann in Experimenten eingesetzt, wenn Mäuse oder andere Tiere mit niedrigerem Entwicklungsniveau nicht ausreichen, weil ihre Gehirne nicht die erforderliche Struktur oder Fähigkeiten haben. Allerdings können in vielen Fällen vergleichende Ansätze mit pointierter Fokussierung auf die Unterschiede zwischen Tier und Mensch tiefe Einsichten in die spezifischen Eigenheiten des menschlichen Gehirns geben. Einer Gruppe von CIN-Wissenschaftler*innen, die sehr grundlegende oculomotorische Funktionen erforschen, bieten Zebrafisch-Larven (die am niedrigsten entwickelte Spezies, die am CIN verwendet wird) sogar einen anderen einzigartigen Vorteil: Sie sind durchsichtig, was Optogenetik und mikroskopische Analyse stark vereinfacht.
Dennoch: Um ohne menschliche Probanden menschliche Eigenheiten zu erforschen, benötigt man meist ein Tiermodell, das diese Eigenheiten ebenfalls aufweist, was zum Teil einen hohen Entwicklungsstand voraussetzt. Solche Eigenheiten nehmen viele Formen an und reichen von subtilen Handbewegungen bis hin zu höheren kognitiven Funktionen.
Wie sind Tiere nach deutschem Recht geschützt?
Das Deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) bietet Tieren weitreichenden Schutz. Es gilt als eines der weltweit restriktivsten derartigen Gesetze. Das Tierschutzgesetz erlaubt explizit Tierversuche für die folgenden Zwecke:
- Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten bei Menschen oder Tieren
- Umweltschutz
- Prüfung von Arznei- und Nahrungsmitteln auf Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit
- Grundlagenforschung
Der einschlägige Abschnitt V des Tierschutzgesetzes schreibt explizit vor, dass die Verwendung von Tieren zu Forschungszwecken immer auf Minimierung abgestellt sein muss: Schmerzen, Leiden und Schäden, welche den Tieren zugefügt werden, die Anzahl der verwendeten Tiere und sogar ihre natürliche Leidensfähigkeit (in Hinblick auf eingesetzte Tierarten) muss auf ein absolutes Mindestmaß reduziert werden. Das gilt für die Haltung und Zucht der Tiere (TierSchG § 7 Abs. 1, Nr. 2) nicht weniger als für die Experimente selbst (ebd., Nr. 1).
Institutionen, an denen Tierversuche durchgeführt werden, müssen eine*n Tierschutzbeauftragte*n benennen (TierSchG § 10), und nur entsprechend ausgebildetes Personal darf überhaupt Tierversuche durchführen (TierSchG § 8 Abs. 1, Nr. 2). Tierversuche dürfen des Weiteren nicht stattfinden, bevor sie von den zuständigen Behörden genehmigt worden sind. Dazu ist ein detaillierter Antrag nötig, der alle Aspekte des Versuchsvorhabens an Tieren genau beschreibt. In Baden-Württemberg ist das Regierungspräsidium für die Begutachtung dieser Anträge zuständig.
Diese strikten Vorgaben sind mit Europäischem Recht im Einklang. Die EU-Richtlinie 2010/63/EU macht das “3R-Prinzip” zur Grundlage von Tierversuchsforschung: Wissenschaftler*innen sind verpflichtet, die Anzahl verwendeter Tiere soweit wie möglich zu reduzieren (Reduce), sie müssen sie durch alternative Methoden oder durch weniger leidensfähige Tierarten ersetzen (Replace) – z.B. Affen durch Mäuse ersetzen –, und sie müssen die eingesetzten Methoden soweit verfeinern (Refine), dass sie ein Minimum an Tierleid verursachen.
Die meisten Einzelheiten zu Tierversuchen regelt allerdings nicht das Tierschutzgesetz selbst, sondern diese finden sich in Verordnungen, z. B. der Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV), der Versuchstiermeldeverordnung (VersTierMeldV) und der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU (TierSchVersVEV).
Jedes einzelne unserer laufenden Forschungsprojekte wurde von einer unabhängigen Kommission nach TierSchG § 15 sorgfältig auf seine Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Gesetz und Verordnungen geprüft und vom Regierungspräsidium genehmigt. Unsere Tierschutzbeauftragten und die Behörden prüfen ständig, dass wir uns an alle Regeln halten – z.B. hat der Amtstierarzt das Recht, mehrmals im Jahr unangekündigte Kontrollen durchzuführen.
Wie lassen sich Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragen?
Es gibt zahllose Beispiele dafür, dass Erkenntnisse aus Tierversuchen, die sorgfältig und verantwortungsvoll durchgeführt wurden, medizinische Fortschritte erbracht und sich für den Menschen als segensreich erwiesen haben. Ein berühmter Fall ist das Rhesus-Blutgruppensystem (der Rhesusfaktor ist ein Teil davon), das seinen Namen von seiner Entdeckung in Rhesusaffen im Jahr 1940 erhielt. Seitdem hat das Wissen um die Rhesus-Inkompatibilität unterschiedlicher Blutgruppen Millionen Neugeborene vor schweren Schädigungen bis hin zum Tod bewahrt.
In der Neurowissenschaft mag die Entdeckung der Spiegelneuronen im Gehirn von Rhesusaffen dazu dienen zu veranschaulichen, wie unerwartete Ergebnisse aus der Grundlagenforschung schnell klinische Relevanz erlangen können. Inzwischen ist wohlbekannt, dass Spiegelneuronen auch in Menschen vorhanden sind. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir uns in andere hineinversetzen können. Auf der Basis dieser grundlegenden Erkenntnisse kann die medizische Forschung sich nun mit Fehlfunktionen auf dem Bereich persönlicher Interaktion auseinandersetzen, wie z.B. autistischen Störungen.
Rhesusaffen hatten und haben also eine ganz spezifische Relevanz innerhalb und außerhalb der Neurowissenschaften. Da Affen nah mit Menschen verwandt sind, erscheint das wenig überraschend. Doch bei anderen Tieren gibt es möglicherweise sogar noch überzeugendere Argumente für die Übertragbarkeit von Forschung. Tatsächlich hat es seit vielen Jahrzehnten kaum, vielleicht keine, biomedizinischen Fortschritte gegeben, bei denen Tierversuche keine Rolle gespielt haben.
Von der Entdeckung des Malaria-Zyklus 1898 über die erste erfolgreiche Organtransplantationen 1905 und Bluttransfusionen 1915 bis hin zur Isolation des Insulins 1922 haben sich seit den frühesten Tagen der modernen Medizin zahllose gerettete Leben bahnbrechenden Erkenntnissen aus Tierversuchen zu verdanken.
Die Liste ließe sich fortsetzen mit heute so unverzichtbaren Erkenntnissen wie der Entwicklung von Antibiotika (Beweis für die Wirksamkeit von Penicillin in Mäusen: 1940), der Entwicklung der Polio-Schluckimpfung (umfangreiche Tests in Mäusen, Ratten, Affen und Menschenaffen: 1955) und dem ersten Wirkstoff gegen AIDS (Forschung in Mäusen, Ratten und Hunden: 1986).
Heutzutage beruhen mit besonderen hohen Erwartungen verknüpfte medizinische Forschungen, etwa an Krebstherapien mit Hilfe monoklonaler Antikörper oder an Behandlungen gegen Parkinson, Epilepsie und Depression mittels Tiefenhirnstimulation unmittelbar auf einer Kombination aus Tierversuchen und klinischen Studien. Mehr Informationen über die Geschichte der Verwendung von Tieren in der biomedizinischen Forschung findet sich gebündelt in einem anschaulichen Zeitstrahl bei AnimalResearch.info.
Zum Abschluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Übertragbarkeit vom Tier auf den Menschen gar nicht immer das Ziel ist. Tatsächlich gibt es viele Tierarten, deren physiologische Möglichkeiten diejenigen von Menschen in manchen Bereichen weit übertreffen. Beispiele wären etwa die erstaunliche Fähigkeit des Axolotl, verlorene Gliedmaßen zu regenieren und die Widerstandsfähigkeit des Nackmulls gegen Krebs sowie wie seine Langlebigkeit. Die Geheimnisse dieser Spezies zu ergründen, könnte der Forschung ganz neue Bereiche eröffnen – Bereiche, die dann eines Tages hoffentlich auf Menschen übertragen werden können. Doch zunächst einmal sucht die Wissenschaft noch nach einem tieferen Verständnis der Mechanismen, auf denen solche Fähigkeiten beruhen.
Warum ist Forschung an nicht-humanen Primaten (Affen) in der Neurowissenschaft notwendig?
Um die Funktionen des Gehirns zu verstehen, ist es von zentraler Bedeutung, die neuronalen Funktionen im lebenden Gehirn zu beobachten. Dies ist unverzichtbar, denn nur die strukturierten Netzwerke einer ungeheuren Anzahl von Nervenzellen kann die Basis für unsere Fähigkeit darstellen zu denken, zu fühlen und uns mitzuteilen, das Fundament für unser Gedächtnis und unser Bewusstsein unserer selbst und der Welt, die uns umgibt. Erkrankungen des Gehirns können nur verstanden und behandelt werden, wenn wir ihre grundlegenden neurologischen Prinzipien verstehen. Das heißt, dass wir Einblicke in das Funktionieren lebender Gehirne auf Zellebene benötigen.
Diese Einblicke können wir offensichtlich nur in Tierversuchen erhalten. Ohne verlässliche Grundlagenforschung dieser Art wäre ein ungerichtetes Herumprobieren, mit dem wir mehr Schaden als Nutzen anrichten, das beste, auf das wir noch hoffen könnten. Nicht-humane Primaten (Affen) stellen für viele Fragen mit direktem Bezug zum Menschen daher das einzig realistische Tiermodell dar.
Das liegt daran, dass Affen mit dem Menschen wesentlich näher verwandt sind als Mäuse, Ratten oder Schweine. Während der Evolution des Säugetiergehirns haben sich bestimmte Strukturen und Prinzipien durchgesetzt, die allen Primaten (das sind Menschen, Menschenaffen und nicht-humane Affen) gemein sind. Diese Prinzipien und Strukturen können wir nur in Mitgliedern dieser unserer Säugetierordnung erforschen. Wie in allen Bereichen der biomedizinischen Forschung dürfen Versuche der kognitiven Neurowissenschaft nur dann an Affen durchgeführt werden, wenn diese Versuche auf genau die Eigenschaften abzielen, die nur Affen haben, und wenn weniger nah mit dem Menschen verwandte Spezies eben keine Antworten auf die gestellten Forschungsfragen liefern können.
Die enorme Bedeutung neurobiologischer Experimente an Affen unterstreichen die folgenden Beispiele für Verbesserungen im diagnostischen und therapeutischen Bereich in Hinblick auf psychiatrische und neurologische Erkrankungen:
- Die Entdeckung der Wirkung von Mikrostimulation im Gehirn, wodurch die Entwicklung von “Hirnschrittmachern” ermöglicht wurde, die etwa zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt werden
- Die Behandlung von Taubheit mit Hilfe von Cochlea-Implantaten, welche im Tierversuche entwickelt wurden – diese Implantate wandeln Schall in elektrische Impulse um, die direkt den Hörnerv stimulieren
- Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung der neurobiologischen Grundlagen des Sehens, welche die Grundlage für die Behandlung von Sehfehlern im Kindesalter bilden, etwa Schielen und Kurzsichtigkeit
- Die Erforschung der Funktionen des Frontalcortex von Rhesusaffen, welche zentrale Impulse für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen geliefert hat
- Entscheidende Fortschritte in der Entwicklung von Neuroprothesen, die in der Rehabilitation von Patienten zum Einsatz kommen, welche in Folge eines Schlaganfalls oder einer Rückenmarksverletzung gelähmt sind, verdanken sich Versuchen an Rhesusaffen
- Forschungen an Affen werden in der Alternsforschung und der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie z.B. der Huntingdonschen Krankheit immer wichtiger
- Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Erforschung der Übertragungsmechanismen von Prionen-Krankheiten wie Kuru, der Traberkrankheit oder Creutzfeld-Jakob, mit ihren bedeutsamen Auswirkungen auf unser Verständnis der auch auf Menschen übertragbaren Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE, auch bekannt als Rinderwahnsinn)
Wie werden nicht-humane Primaten an Tübinger Forschungsinstitutionen gehalten und gepflegt?
Die Tübinger Institute sind sich der großen ethischen Verantwortung, die mit Tierversuchen in der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung einhergeht, sehr bewusst. Alle derartigen Versuche hier werden sorgfältig von der Tierethikkommission geprüft und von der zuständigen Behörde begutachtet. Die Einhaltung der notwendigen Standards wird ständig überwacht.
Die Haltung von Labortieren an den Tübinger Forschungsinstitutionen steht daher ganz im Einklang mit allen Vorschriften des deutschen Tierschutzgesetzes und dem internationalen gesetzlichen Rahmen. Die Tierhaltungen folgen diesen Vorschriften aber nicht nur in Hinblick auf die Regelung ihrer Größe und Anlage. Sie sind darüberhinaus auch ‘enriched’ (angereichert), so dass sie artgerechtes Verhalten und Beschäftigung der Tiere unterstützen, damit diese spielen und sich bewegen können. Nagetierkäfige etwa enthalten gymnastische Geräte wie Karussells sowie Rückzugsorte zum Verstecken, um Stress zu vermindern. Affengehege bieten Schaukeln, Klettergerüste, Seile usw., mit denen die Tiere sich beschäftigen können.
Die Tiere werden wo immer möglich in sozialen Gruppen gehalten (nur dann nicht, wenn sie sich z.B. von chirurgischen Eingriffen erholen). Tierpfleger*innen, Tierärzt*innen und Verhaltensspezialist*innen kümmern sich rund um die Uhr um sie. Dieses Personal wiederum wird vom Tierschutzbeauftragten beaufsichtigt und von den Behörden regelmäßigen Kontrollen unterzogen.
Erleiden Versuchstiere durch Training und chirurgische Eingriffe viel Elend, Schmerz und Leid?
Die Tiere werden in Forschungseinrichtungen über viele Jahre gehalten. Sie werden dabei für Versuche trainiert, bei denen sie einen aktiven Part übernehmen. Der Zeitplan eines Rhesusaffen folgt z.B. einem ähnlichen Zeitablauf wie die Arbeitswoche eines menschlichen Arbeitnehmers – inklusive Freizeitperioden. Die Versuche, die hier durchgeführt werden, erfordern die konzentrierte Teilnahme der Tiere. Der wissenschaftliche Forschungserfolg hängt zu großen Teilen davon ab, dass die Tiere gesund sind und sich wohlfühlen.
Daher folgt das Training einem sorgsamen, Schritt für Schritt vorgehenden Ansatz auf der Basis von positivem Feedback (Belohnungen). Die Teilnahme der Labortiere an den Abläufen ist der erste Teil des Trainings und wird oft schnell erreicht. Affen z.B. lernen, sich selbst in den Primatenstuhl zu setzen. Das ist nicht nur für das Wohlbefinden der Tiere wichtig, sondern auch für die wissenschaftlichen Ergebnisse: Tiere unter Stress verhalten sich anders und zeigen eine veränderte Physiologie gegenüber bereitwillig teilnehmenden Versuchstieren.
Wenn für die Versuche chirurgische Eingriffe vonnöten sind, werden diese nach den gleichen Standards durchgeführt, die auch für Eingriffe am Menschen gelten, einschließlich der Verwendung von Anästhesie und gewissenhafter Nachsorge. Die meisten Labortiere gewöhnen sich schnell z.B. an Implantate aus Metall und zeigen bald wieder uneingeschränkt arttypisches Verhalten.
Man sollte beachten, dass ja alle Tierversuche eine Genehmigung erfordern, ausgestellt erst nach sorgfältiger Abwägung der Last, die die Tiere zu tragen haben, gegen den für den Menschen erwarteten Nutzen und die zu erwartenden Erkenntnisgewinne. Mögliche Alternativen müssen stets in Betracht gezogen werden. Genehmigte Versuche werden engmaschig überwacht. Die Behörden haben vollen Zugang zu den experimentellen und Tierhaltungseinrichtungen. Und all dies gilt natürlich doppelt und dreifach, wann immer die geplanten Versuche vorsehen, dass die beteiligten Tiere langen Trainingsperioden oder chirurgischen Eingriffen unterzogen werden sollen.
Sind inzwischen nicht genug alternative Methoden verfügbar, dass Tierversuche überholt sind?
Alternative Methoden sind wertvoll und hochwillkommen. Sie werden in der biomedizinischen Forschung eingesetzt, wann immer das nutzbringend möglich ist. Allerdings erlaubt der derzeitige Stand der Wissenschaft nicht den vollständigen Ersatz von Tierversuchen durch alternative Methoden.
Nicht-invasive Verfahren wie funktionale Magnetresonanztomographie (fMRI) gestatten zwar einen Blick ins Gehirn und erweitern unser Methodenspektrum beträchtlich. Allerdings werden die Möglichkeiten dieser Technologie oft weit überschätzt. fMRI z.B. misst den Blutfluss im Gehirn. Dies ist ein indirektes Maß der Nervenzellaktivität, welche nämlich viel zu schnell fluktuiert, um von Kernspintomographen erfasst werden zu können. Tierversuche, die am Max Planck-Institut für Biologische Kybernetik an Rhesusaffen durchgeführt wurden, zeigen deutlich, dass die schlichte Gleichsetzung von fMRI-Signalen mit Nervenzellaktivität zu schwerwiegenden Fehlinterpretationen führen kann. Um präzise zu sein, benötigt die Messung von elektrischen Signalen an Nervenzellen die Einführung von Mikroelektroden ins Gehirn.
Nur wenn bildgebende Verfahren mit Tierversuchen kombiniert werden, wird es möglich sein, verlässliche Resultate zu erhalten, was Hirnfunktionen angeht. Die Kombination wird künftig auch eine Verbesserung der Bildgebung ermöglichen, evtl. bis zu einem Punkt, an dem wir neurologische Fehlfunktionen im menschlichen Gehirn ohne Chirurgie diagnostizieren können.
Auch andere als bildgebende Verfahren werden bisweilen hochgehalten und sollen Experimente mit lebenden Tieren unzeitgemäß machen. Zum Beispiel scheinen Zellkulturen und vergleichbare in-vitro-Methoden ein großes Potenzial zu haben, was die Erprobung von Wirkstoffen angeht. Aber auch ein voll emuliertes oder gar rekonstruiertes Organ – was durch 3D-Biochips eines Tages möglich sein mag – reicht einfach nicht aus. Ein vollständiges Immunsystem wird immer noch nötig sein, um neue Medikamente zu erproben und Infektionsvektoren zu erforschen.
Und was unser eigenes Feld, die Neurowissenschaften, angeht: Ein Gehirn in einem Glas zu modellieren, oder im Computer, wie es manche vorhaben, wird unsere Fähigkeiten noch für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte übersteigen – wenn es sich überhaupt als möglich erweist. Computermodelle müssten ja auch mit Rohdaten erstellt werden – Daten, die wiederum nur durch Forschung in lebenden Gehirnen erzeugt werden können. Dies können wiederum nur Tiergehirne sein, selbst wenn man die fortschrittlichsten bildgebenden Technologien zugrundelegt, über die wir heute verfügen (oder die in der Zukunft möglich sein mögen).
Die Grenzen nicht-invasiver bildgebender Verfahren
Wie oben bereits gesagt, kann der heutige Stand der Wissenschaft Tierversuche nicht gänzlich durch alternative Methoden ersetzen – auch wenn diese Methoden natürlich verwendet und verbessert werden, wo immer dies möglich ist. In der Neurowissenschaft werden funktionale bildgebende Verfahren oft als Alternativen zu elektrophysiologischen Ableitungen durch Elektroden im Gehirn dargestellt. Daher ist es sinnvoll, diesen Verfahren einen eigenen Abschnitt zu widmen.
Nicht-invasive Bildgebung, z.B. funktionale Magnetresonanztomographie (fMRI) ermöglichen einen Blick ins Gehirn. Sie stellen daher eine signifikante Erweiterung unserer verfügbaren Methoden dar. Aber es wird zunehmend klar, dass die Möglichkeiten und die Vorhersagekraft dieser Technologie massiv überschätzt worden sind.
Nervenzellen “sprechen” ständig miteinander, indem sie extrem schnell winzige elektrische Signale austauschen, die Aktionspotenziale genannt werden. fMRI beobachtet den Blutfluss in den den Blutgefäßen des Gehirns und ermöglichen so eine indirekte Messung der Nervenzellaktivität – nicht ihrer elektrischen Aktivität. Die Grundidee ist folgende: Je mehr Blut in den Gefäßen einer bestimmten Hirnregion fließt, desto aktiver müssen die dort beheimateten Nervenzellnetzwerke sein. Das kann man damit vergleichen, einen laufenden Motor mit einer Wärmebildkamera zu beobachten: aktive Motorteile würden wegen der erhöhten Hitzeentwicklung heller erscheinen, und der Energieverbrauch würde so sichtbar gemacht.
Aber dadurch weiß man noch nicht, wie der Motor funktioniert. Die Funktionen und das Zusammenwirken der einzelnen Teile bleibt im Verborgenen. Um aber mit Fehlfunktionen umgehen zu können, muss man die Funktion jedes Einzelteils kennen. Daher muss die funktionale Bildgebung derzeit eine komplementäre Methode bleiben und kann die Ableitung durch Mikroelektroden nicht komplett ersetzen.
Um physiologische Prozesse im Gehirn direkt zu beobachten und zu verstehen, werden Mikroelektroden, so dünn wie ein Haar, in ein Affengehirn eingeführt, direkt neben den zu beobachtenden Nervenzellen. In einem chirurgischen Eingriff unter Vollnarkose wird dabei ein Zugang zu den Hirnbereichen geschaffen, die für die Forschung von Interesse sind. Da das Gehirn kein Schmerzempfinden hat, verursachen die späteren Messungen mit diese Mikroelektroden keine Qualen: Man vergleiche nur Hirnchirurgie am Menschen, die oft ebenfalls ohne Betäubung durchgeführt wird. Die schmerzfreien Messungen per Mikroelektrode erlauben uns, mit höchster Präzision die Funktion von Nervenzellen und Hirnregionen im lebenden Gehirn zu bestimmen. Wenn wir verstehen, wie Nervenzellen funktionieren, wenn sie gesund sind, macht dies das Verstehen und letzten Endes auch die Behandlung von psychiatrischen und neurologischen Fehlfunktionen im Gehirn überhaupt erst möglich.