Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Robert Ranisch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Ethik und Bildung

Weiterbildung: "Ethik in Organisationen"

Universität Tübingen
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„Liberale Eugenik – Zwischen elterlicher Freiheit und reproduktivem Perfektionismus“
Die Dissertation analysiert medizinethische Positionen, die eine umfassende Ausweitung der Zulässigkeit von vorgeburtlichen Gentests fordern. Solche Verfahren, insbesondere die Präimplantationsdiagnostik (PID), erlauben Kinderwunschpaaren vorgeburtliches menschliches Leben anhand spezifischer genetischer Eigenschaften auszuwählen. Während über den Einsatz dieser Technologie in Deutschland jahrzehntelang gestritten wurde, hat sich der Gesetzgeber erst kürzlich für eine beschränkte Zulässigkeit einer solchen vorgeburtlichen Merkmalsplanung entschieden. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hingegen zeigt sich bereits seit Jahren eine Ausweitung der Zulässigkeit von vorgeburtlichen Gentests. Eltern dürfen dort künstliche Reproduktionstechnologien nicht nur einsetzen, um schwerwiegende Schädigungen ihrer Nachkommen zu verhindern. Auch die Auswahl von spezifischen genetischen Merkmalen, welche nicht medizinisch indiziert sind, ist zulässig.

Während solche Maßnahmen in der deutschen Öffentlichkeit und Medizinethik häufig mit Verweis auf eine eugenische Zielsetzung vehement abgelehnt werden, finden sich insbesondere in der angelsächsischen Bioethik zahlreiche Befürworter der vorgeburtlichen Merkmalsplanung. Unter dem Stichwort der liberalen Eugenik sprechen sie sich für eine Ausweitung der reproduktiven Freiheit von Kinderwunschpaaren aus. Diesen müsse die Möglichkeit gegeben werden, gemäß der eigenen Wertvorstellungen über die genetische Mitgift ihrer Nachkommen zu entscheiden.

Die Dissertation setzt sich in kritischer Absicht mit diesen Positionen des vornehmlich angelsächsischen Diskurses auseinander. Der Fokus der Untersuchung liegt in der Aufdeckung einer Spannung, welche in den Argumenten der liberalen Eugeniker identifiziert wird: Zum einen sind sie nicht ohne Bewusstsein für die historischen Erfahrungen mit eugenischen Versuchen und betonen daher die herausgehobene Stellung des Selbstbestimmungsrechts des Kinderwunschpaares. Niemand außer den betreffenden Eltern – frei von Zwängen und gesellschaftlichem Druck – dürfe über die genetische Ausstattung ihrer Nachkommen entscheiden. Zum anderen sehen liberale Eugeniker die Ausweitung der reproduktiven Freiheit aber nicht als bloßen Selbstzweck. Sie heben insbesondere die moralisch wünschenswerten Effekte hervor, welche ein kluger Einsatz von Reproduktionstechnologien etwa auf die Lebensqualität von Nachkommen hätte. Während das Selbstbestimmungsrecht von Paaren betont wird, ist zugleich die Forderung erhoben, die geschaffenen Freiheitsspielräume in einer nur ganz bestimmten Weise zu nutzen.

Die Dissertation versucht diese Spannung der liberalen Eugenik zwischen freiheitlichem Anspruch und Optimierungswunsch aufzuheben. Hierzu erfolgt eine analytische Rekonstruktion der Positionen der liberalen Eugenik in normativer Absicht. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung werden schließlich Adäquatheitsbedingungen für eine liberale Moraltheorie der reproduktiven Entscheidungsfindung im Umgang mit genetischen Testverfahren formuliert. Es wird eine folgenorientierte Ethik vorgeschlagen, die, empirisch informierte, sowohl die Freiheitsrechte von Kinderwunschpaaren als auch das kindliche Wohlergehen berücksichtigt.

Schlagwörter: Liberale Eugenik, selektive Reproduktion, reproduktive Freiheit, non-identity Problem