Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 5/2012: Forschung

Ein Jahr Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen

Interview mit Juniorprofessor Dr. Erdal Toprakyaran, dem neuen Direktor des Zentrums

Vor wenigen Wochen hat der neu gebildete Zentrumsrat des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Tübingen (ZITh) Erdal Toprakyaran zum neuen geschäftsführenden Direktor gewählt.

Der 38-jährige Toprakyaran, Kind türkischer Eltern, ist in Deutschland und der Türkei zur Schule gegangen, das Abitur hat er in Ludwigshafen gemacht. In Heidelberg studierte er Islamwissenschaft und Ethnologie, verbrachte dabei ein Gastsemester in der jordanischen Hauptstadt Amman. Nach Abschluss des Magister-Studiums promovierte er in Heidelberg in Islamwissenschaft, mit Schwerpunkt Osmanische Religionsgeschichte. Für sein interkulturelles und interreligiöses Engagement wurde er bereits 2001 mit dem Fontane-Preis der Deutschen Studienstiftung ausgezeichnet. Toprakyaran arbeitete an der Ruhr-Universität Bochum und bei der Eugen-Biser-Stiftung für interreligiösen und interkulturellen Dialog in München sowie ein Jahr als Religionslehrer in Duisburg. Zuletzt war er wissenschaftlicher Koordinator am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Universität Frankfurt. Im April 2012 wurde Erdal Toprakyaran auf die Juniorprofessur für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) an der Universität Tübingen berufen. Für den Newsletter „Uni Tübingen aktuell“ hat Maximilian von Platen ihn interviewt.

Wie ist das ZITh jetzt etwa ein Jahr nach seiner Gründung personell aufgestellt?

Am ZITh konnten bislang vier Lehrstühle besetzt werden, die Zahl könnte sich noch auf bis zu sechs erhöhen:

Hinzu kommen drei wissenschaftliche Mitarbeiter, ein Post-Doktorand, ein Arabisch-Lektor, zwei Doktoranden, ein Gastprofessor, ein Gastdozent, zwei Sekretariatsstellen sowie Tutoren und Hilfskräfte. Weitere drei Post-Doktoranden sowie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter sollen in Kürze folgen.

Zu Beginn des Wintersemesters 2012/2013 konnte sich satzungsgemäß der Zentrumsrat des ZITh konstituieren, der in etwa die Funktion des Fakultätsrats in den Fakultäten hat. Außerdem hat das Zentrum jetzt auch einen Prüfungsausschuss und eine Studienkommission. Deren Leiter Mouez Khalfaoui bildet gemeinsam mit meiner Stellvertreterin Lejla Demiri und mir das Direktorium des Zentrums.

Wie viele Studierende studieren momentan an der Universität Tübingen Islamische Theologie?

Der Studienbetrieb am ZITh wurde bereits zum Wintersemester 2011/2012 aufgenommen. Momentan studieren rund 60 Studierende im BA-Studiengang Islamische Theologie. Knapp zwei Drittel der Studierenden sind weiblich, die überwiegende Zahl der Studierenden kommt aus dem Gebiet um Stuttgart und Tübingen. Das Gros der Studierenden ist türkischstämmig und in Deutschland aufgewachsen. Wir können in jedem Wintersemester bis zu 40 Studienanfänger neu einschreiben, in diesem Semester waren es 26 Studierende.

Für welchen Beruf qualifizieren sich Studierende der Islamischen Theologie?

Die meisten Studierenden möchten später den Beruf Religionslehrer ausüben. Wir arbeiten daher mit Hochdruck daran, neben dem BA-Studiengang möglichst bald auch einen Lehramtsstudiengang Islamische Theologie anbieten zu können. Die Studierenden können dann auf Wunsch wechseln. Parallel müssen wir aber auch daran mitarbeiten, dass es – so hoffen wir – in absehbarer Zeit auch regulär Islamischen Religionsunterricht an Gymnasien geben wird. Zu der fachlichen und pädagogischen Ausbildung, die wir hier anbieten, gehört daher auch die Entwicklung von Lehrplänen und insbesondere von Lehrmaterialien für den Schulunterricht an Gymnasien. Hier stehen wir und vor allem auch das Rektorat der Universität Tübingen in sehr engem Kontakt mit dem baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. Der politische Wille scheint hierfür gegeben, allerdings müssen bis zur Umsetzung noch viele Detailfragen geklärt werden.

An Grund- und Hauptschulen gibt es das Schulfach Islamische Religion teilweise schon, die Lehrer hierfür werden an den Pädagogischen Hochschulen ausgebildet. Aber lediglich in Nordrhein-Westfalen gibt es seit ungefähr zehn Jahren bereits das Schulfach Islamische Religionskunde an Gymnasien, es ist aber immer noch ein Modellversuch – und es ist bislang als Fach bekenntnisneutral. Damit das ZITh auch eine langfristige Perspektive haben kann, wird es jedoch notwendig sein, einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht – zumindest in Baden-Württemberg – zu etablieren.

Wie sieht der Stundenplan im Studienfach Islamische Theologie aus?

Wir bieten bereits Lehrveranstaltungen in Koranwissenschaft und Exegese, in Glaubenslehre, in der Hadithwissenschaft (der prophetischen Tradition), in islamischer Religionspädagogik, islamischem Recht, in islamischer Geschichte und Gegenwartskunde sowie Sprachkurse Arabisch an. Alle diese Fächer sind Pflichtfächer. Darüber hinaus müssen unsere Studierenden in jedem Semester auch interdisziplinäre Scheine machen. Hier haben sie freie Wahl, ob sie zum Beispiel Veranstaltungen bei der Evangelisch-Theologischen, der Katholisch-Theologischen, der Philosophischen oder einer anderen Fakultät oder auch am Weltethos-Institut an der Universität Tübingen belegen möchten. Wir bieten natürlich für alle Fragen rund um die Lehrpläne eine Studienberatung für unsere Studierenden an, haben gleichzeitig aber auch eine sehr engagierte Fachschaft, die ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen berät.

Was sind die wichtigsten Ziele für das ZITh für die nächsten Jahre?

Oberste Priorität hat wie gesagt die Etablierung eines Lehramtsstudienganges für die Lehrerausbildung. Daneben arbeiten wir aber auch an einem Master-Studiengang und einer Promotionsordnung. Das Modulhandbuch für den BA-Studiengang muss weiter ausgearbeitet werden. In der momentanen Situation sind wir alle hier am ZITh noch sehr viel mit solchen grundlegenden Fragen beschäftigt und natürlich mit der Lehre. Es gibt auf Deutsch bislang so gut wie keine islamisch-theologische Literatur, es muss also von den Lehrenden sehr viel übersetzt werden für den Unterricht, aus dem Türkischen oder Arabischen. Die meisten Studierenden haben anfangs keine Arabisch-Kenntnisse, deswegen können Quellen frühestens ab dem dritten Semester im Original gelesen werden. Die Forschung kommt daher momentan noch ein wenig zu kurz. Auch die vielen Presseanfragen können wir aktuell aus den genannten Gründen nicht alle beantworten – und nicht etwa weil wir uns nicht zu aktuellen Themen äußern wollten. Was mir aber grundsätzlich sehr gefällt in Tübingen: der Rektor und die ganze Universität, die Stadt Tübingen, das Kultusministerium und – soweit ich gehört habe – auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann: alle stehen hinter diesem Zentrum, wollen dieses Zentrum. Nur deswegen konnte das Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen auch trotz relativ kurzer Vorlaufzeit als erstes in Deutschland eröffnet werden.

Sie sind Professor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur...

Ich finde es immer wichtig, zu sagen, dass es nicht den Islam, die Muslime oder die islamische Kultur gibt – sondern eine unglaubliche Vielfalt. Allein beispielsweise nur unter den Türken in Deutschland. Eine Vielfalt, die die Herkunft, die Überzeugung oder auch die Aktivitäten betrifft. Islamische Geschichte und Gegenwartskultur ist ein einziger dynamischer Prozess, der facettenreich ist, der voller Überraschungen ist, voller Meinungen und Diskurse. Mal setzt sich die eine Meinung durch, mal die andere.

Aktuelle Entwicklungen in der arabischen Welt stehen bei mir aktuell nicht auf dem Lehrplan. Dennoch werden diese Themen am ZITh angesprochen und diskutiert, denn wir haben am Zentrum unter anderem Kollegen aus Tunesien, Israel und Ägypten.

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Islamische Mystik, die eine lange Tradition hat. Mystik ist sehr verbindend und auch heute sehr facettenreich und verbreitet – auch in Europa. Mystiker sind tief religiös, zugleich aber sehr offen für den interreligiösen Dialog, ohne den anderen gleich verurteilen oder missionieren zu wollen. In der Presse werden meistens nur die lauten unversöhnlichen Strömungen aufgegriffen.

Auch das Zentrum für Islamische Theologie steht für den Interreligiösen Dialog...

Wir bieten im Februar 2013 einen Workshop „Erwerbsarbeit als Herausforderung für die Weltreligionen“ an, gemeinsam mit der Katholisch-Theologischen Fakultät und dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie. Wir arbeiten eng zusammen mit der Evangelisch-Theologischen Fakultät, der Katholisch-Theologischen Fakultät, mit dem Weltethos-Institut oder auch mit der Jüdischen Hochschule in Heidelberg: eine unserer Post-Doc-Stellen wird voraussichtlich dort in Heidelberg platziert werden. Der interreligiöse Dialog wird auch zukünftig für das ZITh von zentraler Bedeutung sein.