Uni-Tübingen

Sommeruniversität

Sommeruniversität an der Universität Tübingen heißt, dass Studierende und die interessierte Öffentlichkeit aus einer Serie von zehn allgemein verständlichen, aber dennoch forschungsaktuellen und spannenden Vorlesungen aus ganz verschiedenen Fachgebieten auswählen können. Die Sommeruniversität wird organisiert in Zusammenarbeit mit der Universitätsstadt Tübingen und ist Teil des Tübinger Kultursommers.

Die Vorlesungen finden jeweils um 10:15 Uhr im Hörsaal des Theologicums, Liebermeisterstraße 16, statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, durch regelmäßige Teilnahme an den Vorlesungen ein Sommeruni-Diplom zu erlangen. Für jeden Besuch erhalten Sie am Ende der Vorlesung einen Stempel; die Stempelkarte finden Sie in der Broschüre. Bei Vorlage der Stempelkarte mit mindestens sechs Stempeln erhalten Sie bei der letzten Vorlesung eine Diplom-Urkunde sowie einen Kulturgutschein des Bürger- und Verkehrsvereins (BVV), den die Stadt sponsert.

Montag, 31. Juli

Wieso wir noch keine Alzheimer-Therapie haben

Prof. Dr. Mathias Jucker 

Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, erhöht sich mit zunehmendem Alter. Heute wissen wir, dass es Veränderungen im Hirn schon viele Jahre vor den ersten Alzheimer-Symptomen gibt. Was sind dies für Veränderungen und ist es wichtig solche Veränderungen schon frühzeitig zu erkennen? In den USA wurden erste Medikamente, die den Verlauf der Erkrankung verlangsamen, zugelassen, aber gilt das auch für Deutschland? Die Vorlesung macht Sie mit der aktuellen Forschung und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu der Alzheimer-Erkrankung vertraut.

Prof. Dr. Mathias Jucker ist Professor am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Er studierte Naturwissenschaften an der ETH in Zürich und arbeitete danach am National Institute on Aging in den USA. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Hirnalterung und die Entstehung der Alzheimerkrankheit. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 

Dienstag, 1. August

Können Sprachmodelle denken?

Dr. Thilo Hagendorff

Der Vortag wirft einen Blick auf die neuesten Entwicklungen bei Sprachmodellen und deren Fähigkeiten. Von einigen als bloße Wortkombinationsmaschinen oder „stochastische Papageien“ abgetan, sind Sprachmodelle wie GPT-4 mehr als nur das. Sie entwickeln emergente Fähigkeiten, zu denen etwa zählt, rechnen zu können, aus Beispielen zu lernen, funktionierenden Code zu schreiben, Zusammenfassungen zu bilden, Witze zu erklären, Logik zu verstehen, intuitive Entscheidungen zu treffen, mehrere Problemlösungsschritte aneinanderreihen zu können, auf mentale Zustände bei anderen schließen zu können und vieles mehr. Der Vortrag beschreibt diese Fähigkeiten und geht der Frage nach, wie intelligent Sprachmodelle tatsächlich sind.

Dr. Thilo Hagendorff ist Forschungsgruppenleiter an der Universität Stuttgart. Er arbeitete zuletzt am Exzellenzcluster „Maschinelles Lernen für die Wissenschaft“ an der Universität Tübingen und hatte Forschungsaufenthalte an der Stanford University sowie der UC San Diego. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. die Erforschung von maschinellem Verhalten in Sprachmodellen und KI-Ethik.

Mittwoch, 2. August

Erinnern gestalten. Konzeptionelle Überlegungen und kuratorische Erfahrungen mit der aktuellen Ausstellung Entgrenzte Anatomie. Eine Tübinger Wissenschaft und der Nationalsozialismus

Prof. Dr. Benigna Schönhagen

Die Frage, wie die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit nach dem Ende der Zeitzeugenära wachgehalten werden kann, dominiert den aktuellen Erinnerungsdiskurs. Wie kann man das Wissen um die NS-Vergangenheit produktiv vergegenwärtigen? Studierende der Medizin und der Geschichtswissenschaft haben sich mit dieser Frage am Beispiel der Tübinger Anatomie auseinandergesetzt. Zwischen 1933 und 1945 missbrauchte diese die Körper hunderter NS-Opfer für Lehre und Forschung. Was hat diese Grenzüberschreitung ermöglicht? Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?  Was wirkt bis heute nach? 

Prof. Dr. Benigna Schönhagen legte 1987 mit der Dokumentation über das Gräberfeld X eine medizingeschichtliche Pionierstudie vor. Ihre Dissertation „Tübingen unterm Hakenkreuz“ (1991) ist ein Grundlagenwerk zur Stadtgeschichte. Nach langjähriger Tätigkeit als Leiterin des Jüdischen Museums Augsburg leitet die Historikerin seit 2020 das Forschungsprojekt „Gräberfeld X“. 

Donnerstag, 3. August 

Die weibliche Brust – ein besonderes Organ: Fakten und Mythen zum Thema Brustgesundheit

Prof. Dr. med. Markus Hahn

Nur wenige Organe erhalten so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie die weibliche Brust. Viele Fachdisziplinen unserer modernen Hochleistungsmedizin kümmern sich um dieses besondere Organ. Das Universitäts-Brustzentrum Tübingen ist das erste zertifizierte Brustzentrum in Deutschland und feiert 2023 sein 20jähriges Jubiläum. Markus Hahn, Leiter der Experimentellen Senologie (=die Lehre von der Brust), wird auf Fakten zum Thema Brustgesundheit aber auch auf Mythen um dieses Organ eingehen und Innovationen aus der klinischen Forschung des Tübinger Brustzentrums vorstellen. 

Prof. Dr. med. Markus Hahn leitet die Experimentelle Senologie des Universitäts-Brustzentrums Tübingen. Er ist Frauenarzt und hat sich ganz dem Thema Brustgesundheit verschrieben, wobei er auf onkologische und wiederherstellende Eingriffe der Brust spezialisiert ist. Hahn ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin und beschäftigt sich wissenschaftlich intensiv mit bildgebenden und operativen Verfahren der Brust.

Freitag, 4. August 

Kulturen der KI: Wie künstliche Intelligenz unser Zusammenleben verändert

Prof. Dr. Christoph Bareither

Künstliche Intelligenz, so liest man überall, wird unseren Alltag verändern. Aber wie verändert sie ihn konkret? Der Vortrag beleuchtet anhand von Beispielen aus Populärkulturen (Social Media), Erinnerungskulturen (virtuelle Zeitzeuginnen und Zeitzeugen) und Wissenschaftskulturen (ChatGPT und die Wissenschaft) exemplarische KI-bedingte Transformationen von Alltagskultur aus Perspektive der Empirischen Kulturwissenschaft.

Prof. Dr. Christoph Bareither ist Professor für Empirische Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Digitale Anthropologie an der Universität Tübingen. Seine Arbeit zielt darauf, die digitalen Transformationen von Alltagskultur zu beleuchten und dadurch kulturwissenschaftliche Beiträge zu gesamtgesellschaftlichen Debatten zu leisten.

Montag, 7. August 

Neu aus dem Osten: Literatur aus der Ukraine und aus Belarus

Prof. Dr. Schamma Schahadat

 „Die Kenntnis der weißrussischen Literatur außerhalb der Sowjetunion ist gering“, schrieb der Slavist Ferdinand Neureiter 1983, und dieser Zustand hat sich bis heute kaum geändert. Ähnliches galt im Übrigen bis vor kurzem auch für die ukrainische Literatur. Politische Erschütterungen haben dafür gesorgt, dass sowohl die belarusische als auch die ukrainische Literatur einen Popularitätsschub erlebt haben. Anhand zweier Romane wird gezeigt, dass ein zentrales Thema dieser Literatur die Gewalt ist:  Der Belaruse Viktor Martynowytsch zeichnet in Revolution (dt. 2021) das Bild einer Gesellschaft, die auf Korruption und Machtmissbrauch beruht, während Serhii Zhadans Internat (2017) den Blick eines Außenseiters auf den Krieg im Donbas wirft. 

Prof. Dr. Schamma Schahadat ist Professorin für Slavische Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen und arbeitet speziell zur russischen und polnischen und zunehmend auch zur ukrainischen Literatur. So publizierte sie u.a. zuletzt den Sammelband „Alles ist teurer als ukrainisches Leben“ (2023) mit Texten über Westsplaining und den Krieg.

Dienstag, 8. August 

China unter Xi Jinping – oder vom Traum, ein reiches und großes Land zu werden

Prof. Dr. Gunter Schubert 

Seit Xi Jinping 2012 die Macht in China übernahm, hat sich vieles verändert, in China wie auch weltweit. In der medialen Öffentlichkeit des „Westens“ wird der Staats- und Parteiführer als Diktator gehandelt, der China mit harter Hand regiert und einen Personenkult pflegt wie seinerzeit Mao Zedong. Zudem gilt er als Befürworter einer neuen Weltordnung, in der China eine Führungsrolle wahrnehmen und die USA als „einzige Supermacht“ ablösen will. Diese Zuschreibungen zeichnen jedoch ein zu grobes, wenn nicht gar verzerrtes Bild von Xi Jinping. Welche Ziele verfolgt er politisch? Welche Probleme und Zwänge begrenzen seine Handlungsfähigkeit? Worin unterscheidet sich sein Handeln und seine Macht von anderen Autokraten – etwa in Russland unter Putin? Der Vortrag verbindet eine Analyse des Herrschaftsstils von Xi Jinping mit einer Betrachtung der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denen sich das heutige China gegenübersieht.

Prof. Dr. Gunter Schubert ist Professor für Greater China Studies der Abteilung für Sinologie am Asien-Orient-Institut in Tübingen und leitet das European Research Center on Contemporary Taiwan (ERCCT). Er bereist den Raum Greater China (VR China, Taiwan, Hong Kong) seit mehr als dreißig Jahren und forscht dort empirisch zu politischen und gesellschaftlichen Themen.

Mittwoch, 09. August 

Into future? – Therapie psychischer Erkrankungen über digitale Medien

Prof. Dr. med. Tobias Renner

Durch die Entwicklungen in der digitalen Technik sind telemedizinische Versorgungsangebote zu einem Schwerpunktthema der Gesundheitsversorgung geworden, nicht zuletzt rasant beschleunigt aufgrund der Kontaktbeschränkungen während der SARS-CoV-2-Pandemie. Telemedizinische Behandlungsansätze bieten auch für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen Chancen und finden zunehmend breitere Anwendung in der klinischen Praxis. Im Rahmen der Vorlesung wird der aktuelle Stand aus Klinik und Forschung zusammengefasst und ein Einblick in die aktuelle Entwicklung der digital gestützten Psychotherapie gegeben. 

Prof. Dr. med. Tobias Renner ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter im Zentrum für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Tübingen. Zuletzt beschäftigte er sich zunehmend mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
 

Donnerstag, 10. August 

Ein Observatorium 700m unter der Erde: Neues aus Neutrinophysik und Neutrinoastronomie

Prof. Dr. Tobias Lachenmaier

Neutrinos sind Elementarteilchen, deren Erforschung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Unter Beteiligung der Universität Tübingen wird im nächsten Jahr ein neues Neutrino-Experiment im Süden Chinas in Betrieb gehen, das neben der Erforschung der Eigenschaften von Neutrinos auch Astronomie mit Neutrinos ermöglichen wird. Was werden wir voraussichtlich aus der Beobachtung astrophysikalischer Prozesse mit Neutrinos lernen können? Der Vortrag erläutert aktuelle Fragen in der Neutrinophysik und Neutrinoastronomie und welche Erkenntnisse vom neuen Neutrino-Observatorium zu erwarten sind.

Prof. Dr. Tobias Lachenmaier hat an der Technischen Universität München studiert und promoviert. Nach einer Juniorprofessur im Exzellenz-Cluster "Origin and Structure of the Universe" in München und Tübingen ist er seit 2014 Professor für Experimentelle Teilchenphysik. Er ist an verschiedenen Neutrino-Experimenten in Europa, USA und Asien beteiligt.

Freitag, 11. August 

Die Natur der Mikroorganismen – clevere Chemikerin mit Alternative für Glyphosat?

Prof. Dr. Stephanie Grond

Mikrobielle Naturstoffe sind eine vielversprechende Quelle zur Entdeckung neuer chemischer Strukturen. Sie erfordern den Einsatz moderner chemischer Analytik. Die produzierten Moleküle verschaffen den Mikroorganismen in ihrem Lebensraum offensichtlich einen Vorteil. Wir staunen, wie clever die Natur die erfolgreichen Lebensgemeinschaften eingerichtet hat – auf molekularer Ebene. Der Vortrag zeigt, mit welchen Forschungsmethoden die Moleküle aus den Bakterien entdeckt und weiterentwickelt werden. Wir Menschen wollen hier die Chemie der Natur als Vorbild für Innovationen in technischen Anwendungen der Medizin, Landwirtschaft oder Materialtechnik nutzen.

Prof. Dr. Stephanie Grond ist seit 2009 Professorin am Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen. Sie hat in Göttingen Chemie und Biologie studiert und zur Chemie bakterieller Wirkstoffe promoviert. Forschungsarbeiten zur Molekularbiologie neuer Naturstoffe führten Sie 2001 an die University of Washington und 2018 zur Enzymchemie an die McGill University in Montreal.