Neuere Geschichte

Sektionen auf den Deutschen Historikertagen

Mitglieder des Seminars für Neuere Geschichte waren an der Organisation und Durchführunge folgender Sektionen auf dem Deutschen Historikertag beteiligt:

Glaubens-Fragen, 51. Deutscher Historikertag, Hamburg, 20.–23. September 2016

"Rhetorik der Gewissheit – dynamisches Wissen. Glaubensfragen in der Vormoderne", organisiert von Prof. Dr. Renate Dürr und Dr. Irene van Renswoude (Den Haag/Utrecht).


Angesichts der Rhetorik, mit der man nicht nur in der Vormoderne versucht hat, gesichertes Wissen von hypothetischem, Wahrheit von Betrug, Rechtgläubigkeit von Häresie zu unter­scheiden, erscheinen sich Glaubensfragen schnell in der Gegenüberstellung von richtig oder falsch zu erschöpfen. Was als rechtgläubig zu gelten hat und worin gesichertes Wissen be­steht, erscheint nach dieser Rhetorik eindeutig definierbar und damit klar abgrenzbar von Hä­resie oder Phantasterei. Folgt man dieser Rhetorik und fragt nach der jeweils anerkannten kodifizierten Wahrheit, dann reproduziert man zum einen die spezifische Lesart einer spezifi­schen Zeit und Gesellschaft, auch dann, wenn man sich für die jeweils andere Seite interes­siert. Zum anderen impliziert diese Rhetorik von Gewissheit zumindest die Idee von ewiger oder grundsätzlicher Gültigkeit. Inso­fern verbindet sich mit dem Konzept von Orthodoxie gerade nicht die Frage nach deren ge­sellschaftlicher Konstruiertheit, nach den Prozessen von Adaptation und Überformung, nach Uneindeutigkeiten und dem Zusammenspiel mit dem, was jeweils für heterodox gehalten wurde. Wandel ist in Glaubensfragen eigentlich nicht vorgesehen. Wandel erscheint dann als Bruch mit alten Traditionen oder als wissenschaftliche Revolution, jedenfalls als etwas, das die Rhetorik der Gewissheit von außen erschütterte. Nicht nur in modernisierungstheoretisch angehauchten Erklärungsmodellen wird eine solche Rhetorik der Gewissheit für ein typisches Moment der Vormoderne gehalten.


Mit dem Konzept des „Wissens“ verbindet sich häufig ebenfalls nicht die Idee der Vorläufig­keit. Denn auch der Begriff „Wissen“ scheint als Gegenbegriff zu Glauben und Nicht-Wissen grundsätzliche Gültigkeit zu beanspruchen – jedenfalls aus Perspektive der jeweiligen Ak­teure. Dass dies stets eine Illusion darstellt, haben wissenssoziologische wie auch wissens­historische Forschungen seit geraumer Zeit herausgestellt. Auch aus der Vormoderne gibt es Hinweise darauf, dass man sich der Vorläufigkeit des Wissens bewusst sein konnte. Zur Rhetorik der Gewissheit gehörte jedoch die Evokation einer klaren Gegenüberstellung von kodifiziertem und verworfenem Wissen. Dagegen interessieren wir uns für die Implikationen des „apokryphen“ Wissens, das trotz oder vielleicht sogar wegen ihres apokryphen Status rezipiert wurde. Was dies für die Konzeption von Wissen überhaupt bedeutet, wird in der neueren Wissenschafts-und Ideengeschichte manchmal unter Rückgriff auf den Begriff „pre­käres Wissen“ diskutiert, den Martin Mulsow (2012) für bestimmte Wissensstränge und be­stimmte Wissensträger in der Frühen Neuzeit geprägt hat, der allerdings vielleicht auch dazu dienen kann, „Wissen“ überhaupt „dynamisch“ zu fassen.

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"Medien – Sinne – Dinge. Neue Annäherungen an 'Glaubensfragen' in der Frühen Neuzeit", organisiert von Dr. Anne Mariss und Dr. Philip Hahn.


Ausgehend von drei unterschiedlichen Themengebieten geht es in der zweistündigen Sektion um methodologische Zugriffsmöglichkeiten auf ›Glaubensfragen‹ in der Frühen Neuzeit. Über die Trias Medialität, Materialität und Sinnlichkeit geht das Panel der Frage nach, wie Glauben und religiöses Wissen produziert wurde und somit auch, auf welche Art und Weise Menschen in der Frühen Neuzeit geglaubt haben.


In Anlehnung an neuere Ansätze innerhalb einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Religionsgeschichte begreifen die Vorträge der Sektion Wissen und Religion nicht als Gegensätze. Vielmehr lassen sich mit Hilfe des Konzepts ›religiösen Wissen‹ historiographisch überkommene Dichotomien von Glauben und Wissen in der Vormoderne aufheben. Religiöses Wissen, das heißt solches Wissen, das aus der Auseinandersetzung mit der Offenbarung entstand, wurde von den historischen Akteuren immer wieder angeeignet und in andere Kontexte transferiert. Religiöses Wissen wird somit als Produkt komplexer Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Akteuren verstanden. Da es sich hierbei längst nicht nur um textbasierte Wissensbestände handelte, sondern auch um Wissen, das durch das Anschauen von Bildern, das sinnliche Wahrnehmen und buchstäbliche Begreifen von Dingen generiert und handlungsleitend gemacht wurden, ist es erforderlich, diese Prozesse aus unterschiedlichen methodischen Blickwinkeln zu betrachten.


Die drei Vorträge nehmen jeweils bewusst Aspekte in den Blick, die quer zu herkömmlichen religionsgeschichtlichen Narrativen gelagert sind. Heal analysiert Illustrationen lutherischer Bibelausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts, die in ihrer exegetischen Bedeutung nicht so recht in das Bild eines wortzentrierten Luthertums zu passen scheinen. Die Bedeutung bildlicher Darstellungen für die jesuitische Frömmigkeitspraxis ist hingegen ein fächerübergreifend etablierter Forschungsgegenstand – deren Einbettung in eine spezifisch jesuitische materielle Kultur, der sich Mariss zuwendet, ist bislang jedoch unterbelichtet geblieben. Den Befund jüngerer Forschungen, dass sich die spätmittelalterliche Frömmigkeit sowie die frühneuzeitlichen Konfessionskulturen hinsichtlich ihrer sinnlichen Profile nicht so leicht voneinander abgrenzen lassen wie traditionell angenommen, nimmt Hahn zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Wie lässt sich die Bedeutung der Sinne in ›Glaubensfragen‹ in der Frühen Neuzeit aus einer sinnesgeschichtlichen Perspektive neu interpretieren?

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