Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2019: Forum

Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch erhält Leopold Lucas-Preis 2019

Nachwuchspreis ging an Alexa von Winning 


Der Historiker Sir Diarmaid MacCulloch hat am 7. Mai den Dr. Leopold Lucas-Preis der Universität Tübingen erhalten. Der anglikanische Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford gilt als führend im Bereich der Reformationsforschung. Die Evangelisch-Theologische Fakultät zeichnete ihn für seine wissenschaftlichen Verdienste um ein umfassendes Verständnis von Religion und europäischer Geschichte aus. Seine Arbeiten stehen zudem für Toleranz in und zwischen Religionsgemeinschaften. „Fundamentalismus ist ungesund“, sagte er in Tübingen. Allein die sagenhafte Bandbreite innerhalb des Christentums habe ihn stets beeindruckt. „Es gab nie ‚die eine christliche Kirche‘ und es war mir immer ein Anliegen, zu zeigen, wie divers Christentum gelebt wird.“

In seiner Rede zur Preisverleihung nahm er die Zuhörer mit auf einen Exkurs durch die Entwicklungsgeschichte der christlichen Kirchen und warb dafür, seltener fertige Antworten zu geben sondern stets weiterzusuchen. „Fragen zu stellen ist die Essenz von Religion“, sagte er. Antworten beendeten eine Diskussion, Fragen eröffneten die Möglichkeit, Neues folgen zu lassen. „Wenn die christlichen Kirchen weiterhin Fragen stellen, werden sie niemals sterben.“

Reverend Professor Diarmaid MacCulloch (geb. 1951) war nach seinem Theologiestudium als Diakon der anglikanischen Kirche tätig. Er entschied sich gegen eine Weihe und wurde 1997 Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford. Wissenschaftler zu sein habe er genossen, dies habe ihm eine unabhängige Außenperspektive auf die Kirchengeschichte ermöglicht, sagte er. Seine Arbeiten zur englischen Reformationsgeschichte zeigen diese als konfessionsübergreifenden Vorgang mit vielschichtigen Dynamiken und als Prozess, der zwischen 1490 und 1700 die kirchliche, politische und gesellschaftliche Landkarte Europas umpflügte. MacCulloch drehte unter anderem mit der BBC eine Serie zur Geschichte der Religionen, für die auch Dreharbeiten im Tübinger Evangelischen Stift und mit Hans Küng stattfanden. Er wurde für sein Wirken mehrfach ausgezeichnet und 2012 von der Queen in den Ritterstand erhoben.


Dr. Leopold Lucas-Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler

Den Dr. Leopold Lucas-Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler erhielt auf Vorschlag der Philosophischen Fakultät Alexa von Winning für ihre Dissertation „Leaving Home. The Noble Family, Imperial Russia, and Global Orthodoxy, 1855-1936”. 

Sie hat Neuere Geschichte und Politikwissenschaft in Tübingen und Kazan (Russische Föderation) studiert. In ihrer Dissertation am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde erforschte sie das historische Zusammenspiel von Politik und Privatleben. Im russischen Reich wirkten hochmobile Elitefamilien als Bindeglieder zwischen der Russisch Orthodoxen Kirche und der globalisierten Welt des 19. Jahrhunderts. Dies brachte Chancen und Risiken mit sich: Mobile Familien trieben die internationale Präsenz des Reichs und der Kirche voran und waren zugleich Einfallstore für Ideen, die staatliche und kirchliche Autoritäten nur schwer kontrollieren konnten. Die Dissertation zeigt, dass Familien nicht immer häuslich und Politik auch im 19. Jahrhundert nicht immer männlich war.

Der Dr. Leopold Lucas-Preis würdigt hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung sowie der Philosophie. Er ehrt Persönlichkeiten, die sich um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient machen und die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern fördern. Der Preis wird von der Dr. Leopold Lucas-Stiftung finanziert (Trägerverein: Universitätsbund Tübingen) und wurde 1972 von Generalkonsul Franz D. Lucas, Ehrensenator der Universität Tübingen, gestiftet. Anlass war der 100. Geburtstag seines Vaters, des jüdischen Gelehrten Dr. Leopold Lucas. Dieser wirkte als Rabbiner in Glogau und zuletzt an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin und kam 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben. 

Antje Karbe