Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2013: Alumni Tübingen

Claudia Ott: Orientalistin, Übersetzerin, Musikerin, Moderatorin

Interview mit der Alumna über ihre Studienzeit, ihre Lesereise mit Günter Grass durch den Jemen und ihre Arbeit.

Claudia Ott, 1968 geboren, studierte Arabistik, Islamwissenschaft, Iranistik und andere orientalistische Fächer in Jerusalem (1986-88), Tübingen (1988-92), wo sie ihren Magister abschloss, und Berlin (1993-98). Dort wurde sie mit einer Arbeit zur arabischen Epik („Metamorphosen des Epos“) zum Dr. phil. promoviert. Zwischen 1998 und 1999 war Ott in Kairo zum Studium arabischer Musik. Außerdem erwarb sie schon 1991 den C-Schein für Chorleitung am Tübinger Evangelischen Stift; 2008 folgte der B-Schein an der Bundesakademie Wolfenbüttel. Von 1993 bis 1998 war Claudia Ott wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin (Arabistik), von 2000 bis 2013 wissenschaftliche Assistentin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Orientalische Philologie). Seit 2012 unterrichtet sie auch an der Universität Göttingen (Arabistik).


Claudia Ott arbeitet heute vor allem freiberuflich als Übersetzerin arabischer Literatur (Tausendundeine Nacht, 2004; Gold auf Lapislazuli, 2008; Hundertundeine Nacht, 2012). Mit ihren Lesungen, Konzertlesungen und musikalisch-literarischen Programmen ist sie im ganzen deutschen Sprachraum sowie im Ausland unterwegs. Außerdem leitet sie seit 2003 den Martinschor Beedenbostel. Als Musikerin, Übersetzerin und Moderatorin arbeitete Claudia Ott mit bedeutenden Künstlern wie den Nürnberger Philharmonikern, der Komischen Oper Berlin, der Neuen Elbland Philharmonie, Senta Berger, Hannelore Elsner, Günter Grass, Ingo Schulze, Mahmud Darwish, Muhammad Munir, Abdo Dagher und Gamal al-Ghitani zusammen. Derzeit arbeitet sie an einer Fortsetzung der Übertragung von Tausendundeine Nacht nach den ältesten arabischen Quellen. Der aktuelle Band entsteht auf Grundlage einer in der Tübinger Universitätsbibliothek aufbewahrten arabischen Handschrift, nämlich des berühmten „Tübinger Umar“.


Seit 2007 ist Claudia Ott Jury-Vorsitzende des Coburger Rückert-Preises. 2011 wurde sie mit dem Johann Friedrich Cotta-Literatur- und Übersetzerpreis der Landeshauptstadt Stuttgart ausgezeichnet; 2013 war sie für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie „Übersetzung" nominiert.

Warum haben Sie sich für ein Studium an der Universität Tübingen entschieden?

Der Lehrstuhl in Tübingen war in den 1980er-Jahren eine Art Mekka der Orientalistik mit fünf Professuren in breit gefächerter Ausrichtung von arabischer und persischer Philologie über islamische Theologie, Geschichte, Architektur und Kunst der Länder des sogenannten „Orients" bis hin zu den Sprachen und Kulturen des Christlichen Orients sowie – in der Politikwissenschaft verankert – den politischen Verhältnissen im heutigen Nahen Osten. Dazu kam das damals noch bestehende Sondersammelgebiet Orientalistik der Universitätsbibliothek Tübingen mit eigener Fachbibliothekarsstelle. Diese Konstellation war damals konkurrenzlos in Deutschland, ja sogar international. Dazu kam, dass ich als gebürtige Tübingerin der Stadt eng verbunden war. Ich hatte meine ersten Studienjahre in Jerusalem schon hinter mir, und entschied mich dann, den Magister in Tübingen abzuschließen, weil es einen besseren Ort dafür einfach nicht gab.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Studienzeit?

Vor allem die Erinnerung an eine überwältigende intellektuelle und organisatorische Freiheit. Ich kam gerade von vier Semestern hart durchgetaktetem B.A.-Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem in der Erwartung, dass es schon irgendwie so ähnlich weitergehen werde. In Tübingen aber sagte mir plötzlich niemand mehr, welche Kurse ich zu besuchen und wie viele Punkte ich wann zu erwerben hatte. Das war irritierend, aber auch sehr befreiend. Es ist mir klar, dass nicht jeder Studierende mit dieser Freiheit umgehen kann, aber für mich war sie eine große Chance. Diese Freiheit führte zum Beispiel dazu, dass manche Seminare als Privatissimum endeten, weil ja niemand verpflichtet war, sie zu besuchen. Wer sich aber wirklich interessierte, kam in den Genuss einer intensiven Betreuung, von der heutige Studierende nur noch träumen können. Für diese Betreuung bin und bleibe ich meinen Tübinger Professoren mein Leben lang dankbar. Zweitens die Erfahrung, am Orientalischen Seminar in der Alten Aula der Tübinger Universität eine Art neues Zuhause zu finden. Wir „älteren Studenten" hatten alle aus irgendeinem Grund den Seminarschlüssel, weil jeder irgendwo Hiwi war, und wir benutzten unsere Schlüssel, um dort die Nacht zum Tage zu machen und umgekehrt. Mehr wird hier nicht verraten.

Ihre Arbeit als Übersetzerin, Musikerin und Moderatorin ist sehr vielseitig: Wie hat Ihr Studium Sie darauf vorbereitet?

Erst wollte ich antworten: Überhaupt nicht. Aber dann fiel mir ein, dass ich jetzt, in meiner freiberuflichen Tätigkeit, zu einem Arbeitsstil gefunden habe, der ähnlich große Freiheiten beinhaltet wie mein Tübinger Studium. Insofern hat es vielleicht doch mehr miteinander zu tun, als ich selbst glaubte.

2001 und 2004 waren Sie mit Günter Grass im Jemen. Was genau war Ihre Aufgabe bei diesen Reisen und welche Erlebnisse hatten Sie?

Ich hatte den Auftrag, ein Musikprogramm zu organisieren, mit dem die Lesungen und Ausstellungseröffnungen von Günter Grass umrahmt beziehungsweise flankiert werden sollten. Dazu durfte ich mit jemenitischen Musikern und einer libanesischen Sängerin zusammenarbeiten und wurde zu den Proben einige Zeit vor der Delegation eingeflogen. In diesen Tagen der intensiven musikalischen Zusammenarbeit entstanden nicht nur Freundschaften, die bis heute anhalten, sondern auch eine von der deutschen Botschaft und dem Goethe-Institut initiierte CD-Aufnahme mit Liedern zu Gedichten von Günter Grass in der arabischen Übersetzung durch die Irakerin Amal al-Jubouri. Die Studiotage mitten in der Altstadt von Sanaa werde ich nicht vergessen, und die Reisen mit Grass und seiner Delegation haben noch viele andere sehr intensive Erinnerungen hinterlassen.

Im Moment arbeiten Sie an einer Tübinger Handschrift, was hat es damit auf sich?

Die Handschrift „Tübinger Umar“ kenne ich seit meiner Tübinger Studienzeit. Ich habe sie schon in meiner Magisterarbeit behandelt. Sie bildet einen zweiten Teil von Tausend und einer Nacht, der eine ganz eigentümliche Sonderstellung in der Textüberlieferung einnimmt. Wir stehen mit dieser Handschrift an der Wiege eines bedeutenden Teils von Tausend und einer Nacht: Sie verbindet uns mit der arabischen Epik einerseits, und mit den typischen Erzähltechniken von Tausend und einer Nacht andererseits. Außerdem erlaubt sie uns einen Einblick in die faszinierende Bücherwelt Syriens, wo die Handschrift zusammengestellt, aufbewahrt, gelesen und verliehen wurde. Der „Tübinger Umar“ wurde bisher weder ediert noch in irgendeine Sprache übersetzt und ich bin froh, dass ich dies mit der deutschen Übersetzung jetzt tun darf.

Was würden Sie heutigen Studierenden für Studium und Beruf raten?

In der Orientalistik ist es gottlob immer noch so, dass nach dem Studium kein genau definierbarer Beruf wartet. Für mich war das genau das Richtige, mancher andere bekommt eher Panik davor. Darum rate ich den Studierenden, schon ganz früh Praxiserfahrungen zu sammeln, zum Beispiel durch Praktika in deutschen Botschaften oder Goethe-Instituten im Ausland, bei NGOs oder Wirtschaftsverbänden, bei Radiosendern oder Museen, in Verlagen oder großen Bibliotheken. Alles das könnten potentielle Berufsfelder bzw. Arbeitgeber werden. Es reicht aber nicht, das zu wissen. Man muss jede Möglichkeit wirklich am eigenen Leib ausprobiert haben, um festzustellen, in welche Richtung man sich später orientieren möchte.

Claudia Ott online: www.tausendundeine-nacht.com

Das Interview führte Simona Steeger