Kath. Institut für berufsorientierte Religionspädagogik

„… beziehungsweise zur eigenen Stimme finden“ – Ergebnisse empirischer Forschung zum Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen

Klaus Kießling

Aus: Lernfelddidaktik als Herausforderung. Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, hrsg. von Albert Biesinger / Josef Jakobi et al. (gott-leben-beruf, Bd. 1), Norderstedt 2005, S. 114-132.

Jugendliche im Berufsvorbereitungsjahr, Kochlehrlinge, Wirtschaftsgymnasiastinnen, angehende Metaller und Sozialassistentinnen stellen sich im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen vielfältigen Lebensfragen. Sie setzen sich mit Positionen auseinander, die ihre Herkunftsfamilie, Lehrkräfte, Mitschülerinnen und Mitschüler dazu einnehmen. Es kommt ihnen darauf an, dass sie in dieser Vielstimmigkeit und aus mancher Fremdbestimmung heraus zur eigenen Stimme finden, um im Leben und im Beruf bestehen zu können.

Wie aber können Schülerinnen und Schüler zur eigenen Stimme finden? Welche Religionsstile pflegen sie? Was erwarten sie vom Religionsunterricht an einer berufsbildenden Schule? Und in der Rolle der Religionslehrerin oder des Religionslehrers: was würden Jugendliche als erstes ändern? Würden sie etwas vermissen, wenn es an ihrer Schule keinen Religionsunterricht mehr gäbe? Erinnern sich Lehrerinnen und Lehrer an eine richtig gute Religionsstunde aus ihrer eigenen Schulzeit? Worin sehen Lehrende heute ihre vorrangige Aufgabe? Was wollen sie ihren Jugendlichen unbedingt mitgeben? Wie verstehen sie religiöses Lernen? Welche Chancen räumen sie diesem an berufsbildenden Schulen ein, welchen Hindernissen ist es ausgesetzt? Welche Unterstützung brauchen Lehrerinnen und Lehrer nach eigenem Bekunden?

Zumindest einigen dieser Fragen haben sich bereits Untersuchungen gewidmet, die im Gefolge der empirischen Wendung der Religionspädagogik[1] während der letzten drei, vier Jahrzehnte entstanden sind. So geht es mir darum, zunächst den Forschungsstand zu erheben, der die Konzeption meines eigenen Forschungsgangs bedingt. Im Anschluss daran stelle ich die Untersuchungsergebnisse vor, bevor abschließend weitere Schritte vorgeschlagen werden.

Forschungsstand

Berufsbildende Schulen kennen in ihrer inzwischen klassischen Form ein duales Ausbildungssystem, also zwei Hauptträger: den Betrieb und die Schule, an welcher Teilzeitunterricht erteilt wird. Neben solchen gewerblichen, kaufmännischen, haus- und landwirtschaftlichen Berufsschulen existieren auch berufsbildende Vollzeitschulen. In seiner Vielfalt ermöglicht das berufsbildende Schulwesen heute sämtliche Schulanschlüsse und –abschlüsse, und die große Mehrheit der Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland besucht im Laufe ihres Lebens eine berufsbildende Schule.

Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen gestaltet sich höchst unterschiedlich – wenn überhaupt, denn nicht in allen Bundesländern ist Religion ordentliches Schulfach – ich denke an Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg –, und auch in anderen Bundesländern entfällt er oft – aus Mangel an Lehrkräften. Dabei können Prozesse religiösen Lernens und Lehrens konfessionell getrennt, konfessionell kooperativ[2] oder im Klassenverband erfolgen – und dies bei einer Stundentafel, die je nach Region und je nach Schulform beruflicher Bildung deutlich variiert.

Empirischer Forschung zum Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen kommt nach wie vor religionspädagogischer Seltenheitswert zu. In manchen Studien finden berufsbildende Schulen zwar Berücksichtigung, beispielsweise in der Allensbacher Forschung[3], bei Andreas Feige[4] und Anton Bucher[5], aber bisher liegen nur wenige Untersuchungen vor, die sich eigens auf berufliche Bildung konzentrieren und diese Schulform in ihrer Vielfalt würdigen. Meinem Überblick nach liegen dazu vorrangig Fragebogenerhebungen vor. Ich nenne Horst Gloy[6], Gerd Birk[7] sowie Paul Rittgen[8], ferner Norbert Weidinger[9] und schließlich Uwe Gerber, Peter Höhmann und Reiner Jungnitsch[10]. Ausnahmen von vorwiegend quantitativ-empirischer Forschung zum Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen bilden Dokumentationen von Selbstzeugnissen Berufsschuljugendlicher bei Robert Schuster[11] und Johann Siller[12], die Auswertung von Gruppendiskussionen bei Hans Schmid[13] und im Ansatz auch die Arbeit von Thomas Klie[14], der ausgewählte Sequenzen aus dem evangelischen Religionsunterricht mit Kraftfahrzeugmechanikern untersuchte. Insgesamt erscheint der Stand der empirischen Forschung in diesem Feld recht dürftig – angesichts und im Kontrast zu jener traditionsreichen Fülle an Untersuchungen, die anderen Schulformen gewidmet sind;[15] angesichts regional meist stark begrenzter Untersuchungen bei bundesweit jedoch stark divergierenden Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts; angesichts der Konzentration auf ausgewählte Berufszweige in einzelnen Studien bei einer kaum überschaubaren Pluriformität berufsbildender Schulen; angesichts der Erhebung von jeweils nur einer einzigen Perspektive zum Unterrichtsgeschehen, sei es der Blickwinkel von Lernenden, sei es der seltenere von Lehrenden; angesichts oft stark standardisierter Fragebögen, denen zwar etwas Verführerisches eignet, da in vergleichsweise kurzer Zeit weite Personenkreise erreicht und einmal erstellte Fragebögen rasch und computergestützt ausgewertet werden können – jedoch mit dem Nachteil, dass lediglich in diesen Bögen schon vorgegebene Inhalte gesichtet und gewichtet werden, nicht aber neue Qualitäten aufkommen können.

Vor diesem Hintergrund entstand im Rahmen des Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik das Konzept für meine eigene Forschung, die im Unterschied zum Gros der bereits vorliegenden Untersuchungen heuristisch ansetzt und darum auf qualitative Strategien baut, sowohl Lernende als auch Lehrende einbezieht – auch vergleichend –, der Vielfalt berufsbildender Schulformen zumindest im Ansatz gerecht zu werden versucht und bundesweit ausgerichtet ist.

Beim Umkreisen der einführend genannten Leitfragen setzte ich auf die Erschließung von Zusammenhängen religiösen Lernens an berufsbildenden Schulen.

Forschungsgang

Wenn ich keiner "Pistometrie" Vorschub leisten will, die sich auf Messbares beschränkt und "Früchte" nur in ihrer Zahl erfasst, nicht aber in ihrer Qualität als gute Früchte würdigt, die biblisch auf einen guten Baum verweisen (Mt 7, 16 – 20), bedarf es qualitativer Forschung, konkret exemplarischer Interviews mit Schülerinnen und Schülern, die nach kontrastierenden Kriterien ausgewählt wurden: Sie unterscheiden sich in Schulform und Berufszweig, Alter, Geschlecht, Region und Religion sowie in ihrer Lebenssituation. Dieser Forschungsschritt zielt nicht auf Repräsentativität, sondern auf die Erhebung eines möglichst breiten Spektrums von im Forschungsfeld möglichen Konstellationen. Datenerhebung, –aufbereitung und –auswertung führen erfahrungsgemäß zu Resultaten, die inhaltlich so klar konturiert sind, dass sich daraus in einem weiteren derzeit anlaufenden Forschungsschritt auch quantitative Untersuchungsinstrumente entwickeln lassen. Analoges gilt für die parallel erfolgende Befragung von Lehrerinnen und Lehrern. Zu den kontrastierenden Kriterien gehört bei ihnen jedoch nicht die Religionszugehörigkeit – sie sind allesamt katholisch –, stattdessen jedoch ihr Dienstalter, ihr Ausbildungsgang und ihre "Klientel".

Die mit teilstrukturierten Interviews gegebene Form der Gesprächsführung erlaubte einerseits die erforderliche Thematisierung der einleitend genannten und in Leitfäden zusammengestellten Fragestellungen und andererseits ein ebenso unerlässliches offen suchendes Vorgehen, das in dieser Pilotforschungsphase innovativ wirken sollte.

Im Rahmen dieser am Institut für berufsorientierte Religionspädagogik laufenden Forschung habe ich bundesweit 140 Personen ausführlich befragt, je zur Hälfte Lehrende und Lernende – im Umfang von jeweils minimal 50 und maximal 150 Minuten. Zugänge zu Schulen haben mir viele Kooperationspartnerinnen und –partner in Schulen, Diözesen, Verbänden, Kommunen und Landesbehörden verschafft. Auf Tonbändern sind die Gespräche aufgezeichnet, ebenso die von mir als Interviewer im Anschluss an jedes Gespräch angefertigten Kurzprotokolle, in denen ich für die Person oder das Interview Auffälliges festhalten wollte, was bei der Auswertung nicht verloren gehen sollte. Gespräche und Kurzprotokolle waren vollständig transkribiert worden, bevor sie der Auswertung nach bewährten sozialwissenschaftlichen Methoden zugeführt wurden, und zwar nach den für den Umgang mit solchen Gesprächen eigens entwickelten Regeln zur Erstellung so genannter Verdichtungsprotokolle im Anschluss an Inghard Langer[16]. Aus jeder dieser 140 Auswertungen habe ich schließlich ein Einzelporträt entwickelt. In ihrer Gesamtheit dienen diese Porträts der Präsentation einer Vielfalt von Erfahrungen bei Lehrenden wie bei Lernenden, die ich nachfolgend zu bündeln versuche.

Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten, bei aller Widersprüchlichkeit ihrer Angaben verbindet sie eine für mich beeindruckende Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Fragen, mit denen ich sie konfrontierte, und dies sowohl auf der Seite der Lehrkräfte, die ihre Wertschätzung dafür zum Ausdruck brachten, dass das Interesse wissenschaftlicher Religionspädagogik nicht mehr nur Gymnasien und Grundschulen gilt, als auch auf der Seite der Jugendlichen, die wohl die Chance witterten, sich und das eigene Ringen mit bohrenden Fragen in geschütztem Rahmen einem unabhängigen Menschen anvertrauen zu können: Harte Fragen waren das, aber ich bin saufroh, dass ich mitgemacht hab’ – warum spricht man darüber eigentlich nicht in Reli? So lautete eine typische Rückmeldung nach oft auch für mich eindrücklichen Begegnungen – an die ich mich nicht nur darum erinnere, weil mancher Schüler mit Schlagringen anrückte.

Die Untersuchungsergebnisse verstehen sich als Qualitäten, die nicht immer eindeutig als Chance oder als Hindernis religiöser Lehr- und Lernprozesse erscheinen, in unterschiedlicher Tönung sowohl bei Lehrkräften als auch bei Jugendlichen anklingen und von mir in Thesen gefasst sind. Ich werde Lehrende und Lernende darin weiterhin gern im Originalton einblenden, sofern deren Aussagen eine Typik innewohnt, die in ihrer Trefflichkeit mit nüchternen Paraphrasierungen meinerseits nur unterboten werden könnte.

Ergebnisse und Thesen

Am Anfang war und ist Beziehung[17], zunächst die Lehrer-Schüler-Beziehung. Beziehung genießt Priorität – nicht weil Inhalte unwichtig wären, sondern weil Beziehung erst die Spuren legt, auf denen Inhalte transportiert und verhandelt werden können. Lehrkräfte versuchen Besinnungstage und Kompaktveranstaltungen außerhalb des Schulgebäudes anzubieten, um in anderer Umgebung jenseits des 45-Minuten-Zeitdiktats mit ihren Jugendlichen in Beziehung treten zu können. So kann ich ohne Verbissenheit Zeuge meines Glaubens sein und meinen Humor bewahren – trotz allem, so ein Lehrer im Originalton. Beziehungsqualitäten kommen offenbar gut an, wie eine Schüleraussage belegt: Ich mein’, ich will jetzt nicht schleimen, aber der macht schon guten Unterricht. Vor allen Dingen, der ist locker, lässig drauf. Und der … versucht halt auch, auf die Schüler einzugehen [...]. Und der Unterricht [...] ich freu’ mich fast schon drauf.

Beziehung ist aber auch Beziehung der Lehrenden zu sich selbst: Sie umschreiben sie als Authentizität, als Stimmigkeit, als Kongruenz von Wort und Tat, als Glaubwürdigkeit aus dem Glauben, als Auseinandersetzung mit der Frage: Kann ich vertreten, was ich verkaufe? Vorbildcharakter kommt einer solchen Beziehung zu sich selbst empirisch in zweierlei Richtung zu: Bei der Frage nach der Motivation, Lehrkraft an einer berufsbildenden Schule zu werden, verweisen viele auf die eigene schulische Erfahrung mit ihren Religionslehrerinnen und –lehrern, die mit ihrer Bereitschaft, sich authentisch mit den Fragen Jugendlicher konfrontieren zu lassen, beeindruckten. Als entscheidend erweist sich eine Beziehungsstruktur, die zwischen Treue zur eigenen Person und Zuwendung zu Heranwachsenden balanciert. Aber auch die befragten Lehrkräfte selber sehen sich heute als Vorbilder beansprucht – von ihren Schülerinnen und Schülern, die ihrer Not Ausdruck geben, dass es ihnen an einem erwachsenen Gegenüber, an Personen, die ihnen Orientierung sind, an einem sicheren Felsen mangelt. Ich denke an eine Jugendliche, bei der ich mich danach erkundige, ob sie den Religionsunterricht, wenn er entfiele, vermissen würde: Wenn ich Fragen hätte, an wen sollte ich mich dann noch wenden?

Solche Beziehungsgestaltung fördert schließlich die Beziehungen von Schülerinnen und Schülern untereinander: In keiner Schulform ist die Heterogenität der Klassenzusammensetzung ähnlich groß – etwa im nach oben hin zunehmenden Altersspektrum, in der nationalen sowie in der religiösen Zugehörigkeit, in der regionalen Herkunft mitsamt ihren eher städtischen oder eher ländlichen Prägungen, oft auch in den Ausbildungszielen. So tut die Förderung von Beziehungen der Schülerinnen und Schüler untereinander besonders Not – und besonders gut, methodisch oft dank der Entwicklung einer Diskussionskultur, in den Worten eines Wirtschaftsgymnasiasten: Religion ist eigentlich in dem Sinne kein Unterricht, sondern eigentlich mehr eine Gesprächsrunde, wo man sich austauscht und Sachen über andere erfährt und eigentlich der Unterricht sehr, sehr locker ist [...] und ich das eigentlich ganz wichtig finde, weil das eigentlich das einzigste – hört sich vielleicht doof an – soziale Fach ist [...]. Deswegen denk’ ich auch, um das Gefühl zwischen den Schülern zu verbessern, ist das wichtig.

Erste These: Die Qualität des Religionsunterrichts resultiert primär aus der Qualität der darin lebendigen Beziehungen: der Lehrkräfte zu sich selbst, zwischen Lehrenden und Lernenden, schließlich der Schülerinnen und Schüler untereinander.

Es folgen Lernintentionen und Unterrichtsthemen.

Den neuen Grundlagenplan für den katholischen Religionsunterricht an Berufsschulen[18] werten die meisten Lehrerinnen und Lehrer als hilfreich und als klare Rahmung, die auch aus ihrer Sicht zentrale Themen benennt und gewünschte Freiräume lässt. Allerdings ist der Grundlagenplan etlichen Lehrkräften noch gänzlich unbekannt. Einige unter ihnen interessieren sich – über den Geltungsbereich des Grundlagenplans hinaus – für Formen und Stellung religiöser und beruflicher Bildung in anderen Ländern Europas, insbesondere in den skandinavischen Ländern. Nachfolgend führe ich diejenigen Lernintentionen an, die sowohl Lernende als auch Lehrende vorrangig nennen.

Ganz oben rangiert nach wie vor die Absicht, der Frage nach dem Sinn des Lebens nachzugehen – und damit einhergehend die Einsicht, dass sich der Sinn etwa einer Lebenskrise allenfalls im Nachhinein erschließt, wenn überhaupt. Die Sinnfrage stellt sich insbesondere in Auseinandersetzung mit Leid, Tod, Unfalltod, Suizid, Leben nach dem Tod, Himmel und Hölle; mit Krieg und Frieden, Gott und Gewalt, Gewalt in der Schule und in der Familie. Heranwachsende betonen eigens, wie wichtig es ihnen vorkommt zu erfahren, wie Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Lehrkräfte mit diesen Fragen umgehen, um sich selber positionieren zu können.

Eine zweite Absicht besteht darin, soziale Werte und Normen kennen zu lernen und bereits im Lebensraum Schule einzuüben. Denn wertlos bleibt ein Wertegeländer, das lediglich als theoretisches Gerüst in Erscheinung tritt. Seinen Wert gewinnt es erst, wenn es Jugendlichen die praktische Gewissheit eines tragfähigen Halts bietet und ihnen im Ernstfall auch Einhalt gebietet. Diese Lernintention verfolgen nicht nur Lehrende, sondern auch die Heranwachsenden selbst. Dass Letztere einem Werteverfall erlegen seien, lässt sich für den von mir befragten Personenkreis empirisch nicht belegen. Ihnen nahezu heilige Stichworte sprechen dagegen: Ehrlichkeit und Offenheit; Respekt und Akzeptanz; Hilfsbereitschaft, Solidarität, Freundschaft; Fairness; Toleranz – und dies insbesondere in den jungen Bundesländern; Bindung an die Herkunftsfamilie trotz allem – trotz allem deshalb, weil viele Jugendliche ihre Familie nicht als gute Kinderstube, sondern als Tatort schildern.

Zu lernen, gegen Ungerechtigkeiten in der Welt einzutreten, halten auch solche Jugendliche für eine wichtige Aufgabe des Religionsunterrichts, die sich selbst als konfessionell ungebunden, als fern stehend oder atheistisch bezeichnen. Ein gesellschaftlicher und politischer Anspruch des Religionsunterrichts findet also in weiten Kreisen Anerkennung – führt aber dort zur Übersättigung der Schülerinnen und Schüler, wo Lehrkräfte über Wochen hinweg nur noch den Krieg im Irak zur Diskussion stellen. Die Haltung der katholischen Kirche dazu bringt ihr Anerkennung ein, kulminierend in dem Satz eines Lehrers: Da hat man endlich ’mal wieder das Gefühl: Kirche is’ doch noch zu ’was gut.

Wachsendes Interesse findet bei Lernenden und Lehrenden gleichermaßen das Ziel, Kenntnisse verschiedener Religionen zu erlangen. Bekannt ist dieses Phänomen bei Menschen, die in einer christlichen Kultur sozialisiert wurden und sich aufgrund ihrer vielfältigen Präsenz für den Islam und asiatische Religionen interessieren, insbesondere für das Motiv der Wiedergeburt, das in seiner Bedeutung, die es in Europa gewinnt, allerdings seinem ursprünglichen Sinnzusammenhang diametral entgegengesetzt ist. Über diese bereits vertrauten Entwicklungen hinaus zeichnet sich jedoch ein Interesse an fremder Religiosität auch in anderer Konstellation ab, nämlich bei Heranwachsenden in den neuen Bundesländern gegenüber dem Christentum. Westliche Religionslehrerinnen und –lehrer erleben ihre Arbeit oft als biographisch letzten Kontakt ihrer Klassen mit Kirche. Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen des Ostens dagegen sorgt für eine biographisch erste Berührung mit Kirche. Als ich mich an einer solchen Schule nahe der polnischen Grenze vorstellte, wollte eine soeben aus Thailand angekommene evangelische Schülerin von mir wissen: Sind Katholiken auch Christen? Für diese Region äußert sich ein Lehrer wie folgt: Also das Wichtigste ist, dass die Schülerinnen und Schüler Religion und Religiosität als humane, elementare Dimension des Daseins oder des Lebens begreifen. Dass sie ihren religiösen Analphabetismus überwinden. Dass die wenigen getauften Schülerinnen und Schüler jegliche Form von Minderwertigkeitsgefühl abzulegen in der Lage sind [...]. Und ungetaufte Schülerinnen und Schüler eine Toleranz entwickeln für das Religiöse ihrer Mitmenschen.

Religiöse "Alphabetisierung" trägt zur (Selbst-) Verständigung bei. Damit klingt bereits eine weitere Lernintention an: nämlich die christliche Religion zu verstehen – als eigene wie auch als fremde. Themen wie Jesus Christus, Kirche und Bibelkunde gelten weitgehend als unbeliebt – oft aber wohl aufgrund unzureichender Didaktik. Manche Lehrkräfte erzählen in ihren Worten biblische Geschichten nach, so an passender Stelle diejenige von David und Goliath, und ernten nicht selten starke Resonanz: Das is’ ja eine starke Story! Wo haben Sie denn die her?

Sehr wichtig ist es den Befragten zu lehren und zu lernen, sich zur eigenen Religion bewusst zu bekennen, überhaupt im Konzert vielfältiger Überzeugungen – wie schon angedeutet – das mitzubekommen, wie Mitschüler denken, in der Auseinandersetzung auch mit der Herkunftsfamilie und mit Lehrkräften einen eigenen Platz zu finden und diesen in Wort und Tat zu bezeugen.

Zweite These: Die vorrangige Intention Lehrender und Lernender liegt darin, der Frage nach dem Sinn des Lebens nachzugehen, insbesondere angesichts existentieller Herausforderungen und leidvoller Erfahrungen der Jugendlichen. Sie legen aber auch großen Wert darauf,

  • soziale Werte und Normen kennen zu lernen und bereits im Lebensraum Schule einzuüben;
  • gegen Ungerechtigkeiten in der Welt einzutreten;
  • Kenntnisse verschiedener Religionen zu erlangen, und zwar aus Interesse an fremder Religiosität, auch am regional unbekannten Christentum, sowie
  • sich im Konzert verschiedener Religionen und Überzeugungen zu positionieren und dazu zu bekennen.

Schließlich bringen einige der Befragten als wichtiges Anliegen die Lernintention vor, die christliche Religion zu verstehen, als eigene wie als fremde.

Eine für berufsbildende Schulen spezifische Lernintention liegt darin, Zusammenhänge zwischen Religionsunterricht und beruflichem Lernen zu entdecken. Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen stößt bei Industrie und Handwerk mitunter auf Unverständnis. So spricht ein in Ausbildung zum Koch befindlicher Jugendlicher mit seinem Hotelchef darüber, dass an seiner Schule Fachunterricht in Küchenhygiene zugunsten des Religionsunterrichts gestrichen wurde: Ich habe es meinem Chef erzählt, und er war völlig empört. Er hat gesagt: "Lernt Ihr jetzt [...] ordentliche Katholiken zu sein oder lernt Ihr Koch zu sein?" Auch Lehrende und Lernende stehen der Absicht, religiöses und berufliches Lernen gemeinsam anzugehen, oft zurückhaltend gegenüber – jedoch aus anderen Gründen als der exemplarisch genannte Küchenchef: Der Religionsunterricht darf aus der Sicht der Lehrkräfte nicht auf ein berufliches Ziel hin zugerichtet werden, religiösem Lernen komme vielmehr ein Eigenwert zu, den es nicht erst in beruflichem Zusammenhang gewinne; im Originalton: Religionsunterricht ist Lebensschule! Zielperspektive ist nicht der Beruf, sondern der Mensch! Religionsunterricht ist ein anderes Fach, das nicht nur dem Kopf Nahrhaftes bietet! Emotionales Lernen hat hier seinen Platz! Und Schülerinnen und Schüler äußern sich ähnlich: Der Religionsunterricht ist das einzige Fach, das nicht berufsorientiert, wirtschaftsorientiert, gewinnoptimierend ist! Eine gute Abwechslung zum tristen Alltag! Anders verhalten sich die Einschätzungen bei Lehrenden und mehr noch bei Lernenden in sozialen Berufszweigen, wenn religiöse Motivationen eine wichtige Rolle spielen oder wenn religiöse Fragestellungen zum Arbeitsauftrag gehören, etwa in der Kindererziehung oder in der Sterbebegleitung: Berufsorientierte Rollenspiele und Praxisübungen sind im Religionsunterricht dann sehr willkommen; als Lehrer an einer Krankenpflegeschule habe ich selbst damit unvergessliche Schulstunden zugebracht.

Ganz anders urteilen Lehrende und Lernende, wenn sie nicht nach der Berufsorientierung des Religionsunterrichts, sondern nach dem Zusammenhang von Glauben und Arbeiten gefragt werden. Ein solcher findet starkes Interesse: Fragen nach dem Umgang mit späteren Kolleginnen und Kollegen werden laut, nach Selbstverantwortung und Berufsethik, nach Mobbing in der Schule und am Arbeitsplatz, nach der theologischen Würde der Arbeit und der Menschen ohne Arbeit, nach Menschen-Bildern und Menschen-Bildung, auch nach "job hopping", Flexibilität und Mobilität, die es braucht, wenn keine feste Stelle in Aussicht steht, sondern bestenfalls ein Dasein als Projektnomade – und auch dies nur nach dem Erwerb der Kompetenz, selbstorganisiert zu lernen. Es gibt nicht nur die viel gescholtenen hedonistischen Schlaffis, für die nur der Spaß- oder Fun-Faktor zählt und für die es unvorstellbar wäre, ihre Heimatregion zu verlassen, sondern insbesondere diejenigen Jugendlichen, die große Bereitschaft zeigen, sich stark zu engagieren, Umlernprozesse und berufliche Neuanfänge anzugehen. Mit anderen Worten: Eine berufliche Verzweckung des Religionsunterrichts stößt auf Ablehnung, die Frage nach der theologischen Dignität der Arbeit hingegen auf Interesse.

In diesem Zusammenhang streife ich die Diskussion um Voll- und so genannte Schmalspurtheologinnen und –theologen an berufsbildenden Schulen. Schmalspurtheologen, die neben Religion etwa auch EDV unterrichten, verschaffen sich bei ihren Schülerinnen und Schülern sowie in Betrieben leichter Anerkennung als fachlich ahnungslose Religionsfuzzis. Manchmal kommt es aber auch zu Rollenkonflikten etwa eines Religionslehrers, der zugleich Techniklehrer ist: Ich kann meine Konfession also nicht am Werkstor abgeben. Dieses Dilemma bleibt dem Volltheologen erspart, zudem ist er in seiner Profession umfassend ausgebildet – aber mitunter leider ohne inneren Bezug zu den Ausbildungsberufen, was insbesondere Schülerinnen und Schüler in Erziehungs-, Sozial- und Pflegeberufen bedauern.

Worauf aber zielt nun religiöses Lernen: auf berufliche Zusammenhänge oder auf Persönlichkeitsbildung oder auf das soziale und gesellschaftliche Umfeld der Jugendlichen? Alle drei Bereiche spielen idealerweise zusammen, und doch sehen die meisten Lehrkräfte die Persönlichkeitsbildung als primäre Wirkung religiösen Lernens – zum einen angesichts der Phase der Ablösung der Jugendlichen aus ihrer Herkunftsfamilie, zum anderen in der Überzeugung, dass Persönlichkeitsbildung auch der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt sowie dem sozialen und gesellschaftlichen Anspruch des Religionsunterrichts zugutekommt[19]. Mit anderen Worten geht es zuerst darum, religiöses Lernen pubertätstauglich zu gestalten – und unter dieser Voraussetzung auch um dessen Gesellschafts- und Berufsbezug!

Dritte These: Religiöses Lernen duldet keine berufliche Verzweckung, spielt aber auf dem indirekten Weg der Persönlichkeitsbildung mit beruflichem Lernen zusammen, insbesondere in der Auseinandersetzung mit der theologischen Würde der Arbeit und der Menschen ohne Arbeit.

Eine für Lehrende und Lernende eminent wichtige Qualität lässt sich mit dem Begriff Seelsorge umschreiben – eine Qualität, die ich nicht meinerseits angefragt habe, sondern die dank der qualitativen Forschungsstrategie zum Tragen kommen konnte und an berufsbildenden Schulen offenbar massiv zum Tragen kommt. Schülerinnen und Schüler brauchen Anlaufpersonen, in den Worten eines atheistisch gesinnten Metallers: Sonst könnte man [...], wenn der Religionslehrer schon keine Anlaufperson ist, finde ich, könnte man den Religionsunterricht ganz abschaffen! Jugendliche suchen bei einem erwachsenen Gegenüber vor allem Verständnis – angesichts ihres oft negativen Selbstbildes, ihrer Beziehungsprobleme, ungewollter Schwangerschaft, Alkoholismus der Eltern, Gewalt in der Familie, Arbeitslosigkeit, Sinnleere, seelischer Belastungen, depressiver Erkrankungen und Suizidalität ihrer selbst oder ihrer Nächsten. Diese Themen gehören für manche in den Unterricht, für manche in Einzelgespräche – mit dem Ziel der Betroffenen, Vertrauenspersonen zu finden und Niederdrückendes ausdrücken zu können, sowie mit dem Ziel der Lehrkräfte, Brücken zu Beratungsstellen zu bauen und das beschädigte Selbstwertgefühl der Jugendlichen zu stärken: Was ich meinen Schülern unbedingt mitgeben will? Da fällt mir als erstes ein: Selbstwertgefühl. Weil wir doch viele Schüler haben, die meiner Meinung nach sehr stark leiden, auch wenn sie es versuchen zu verdecken: ein sehr negatives Selbstbild, kaum Anerkennung, weder im Betrieb noch in der Familie. Als dramatisch empfinden viele Lehrerinnen und Lehrer daher die Situation, dass ihnen kaum alle ihre Schülerinnen und Schüler bekannt sind, sofern sie ausschließlich Religion unterrichten, und für Einzelgespräche kaum Zeit bleibt, wenn sie solchen oft lebenswichtigen Bedarf überhaupt erkennen. Der Nachmittagsunterricht erscheint dann nicht mehr nur als Hindernis religiösen Lernens – Die trinken mittags ihr Weizen und pennen dann im Nachmittagsunterricht –, sondern auch als Chance: Ich kann früh da sein und muss hinterher nicht gleich weiter rennen, und das wissen meine Schüler, dann fassen die schon mal den Mut, mich anzusprechen. Viele Religionslehrerinnen und –lehrer verstehen sich als Seelsorgerinnen und Seelsorger, ihren Unterricht als Seelsorge, so sehr, dass manche von ihnen noch Jahre später mit ihren Ehemaligen in einer Beziehung stehen, die klassisch Briefseelsorge heißt: Das macht meinen Job sinnvoll; und diesem lichtvollen Angebot entspricht eine große Nachfrage mit wohl noch größerer Dunkelziffer. Zugleich sind Lehrkräfte gerade in der Schulseelsorge stark mit ihren Grenzen konfrontiert, denn auch sie können nicht heilen, was familiär oder sonst gesellschaftlich versaut worden ist.

Seelsorge geschieht auch gegenüber Kolleginnen und Kollegen: Es gibt eine Reihe Kollegen [...]. Dann sind eigenartigerweise die größten Lästermäuler dann relativ klein, die dann kommen und sagen: "Kannst Du nicht ’mal [...]?" Sie suchen Hilfe so nach dem Motto: "Du bist doch Religionslehrer, Du kennst Dich doch damit aus."

Vierte These: Religionslehrerinnen und –lehrer wirken innerhalb und außerhalb des Unterrichts als Seelsorgerinnen und Seelsorger, vorrangig ihrer Schülerinnen und Schüler, aber auch ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Nachfolgend skizziere ich die Religiosität von Lehrenden und Lernenden in ihrer Bedeutung für das Unterrichtsgeschehen.

Das Ringen der von mir befragten Lehrkräfte um ein authentisches Zeugnis als Kundschafter, als Kundschafterin ihres Glaubens, als "confessor" lässt sich in folgenden Fragen verdichten: Wie bringe ich mich in das Unterrichtsgeschehen ein? Wie bleibe ich mir selbst treu? Wie elementarisiere ich meine theologische Kunde so, dass sie nicht auf taube Ohren stößt, sondern die Klasse dazu ermutigt, sich selbst einzubringen und sich selbst kundig zu machen? Wie bleibt solche "Selbst-kund-gabe"[20], solches "Sich-geben" nicht nur ein religionsdidaktisches Konzept des Lehrers und der Lehrerin, wie wird es vielmehr zu einem wechselseitigen Prozess unter Schülerinnen und Schülern? Lehrkräfte, die ihre eigene Konfessionalität auch in ihrer Bedeutung für die Unterrichtsgruppe als Stärke wahrnehmen, äußern sich wie folgt: Da können die sich dran reiben, und in Sternstunden ringen sie miteinander um Positionen zu Lebensthemen. Vielen Lehrkräften liegt zudem an Brücken zwischen Schule und Kirchengemeinde, auch an Brücken zwischen Religionsunterricht und liturgischem Vollzug zugunsten von Gottesdiensten, die unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern stattfinden. Der Bezug vieler Lehrkräfte zu ihrer Kirche gestaltet sich intensiv, und dies nicht nur, wenn sie als Pastoral- und Gemeindereferentinnen und –referenten, als Diakone oder Priester auch außerschulische kirchliche Arbeitsfelder kennen. Viele erleben ihren Bezug zu ihrer Kirche aber auch als spannungsvoll, führen den Umstand, dass sie ihren Unterricht mitunter eher religionskundlich verstehen, jedoch primär auf ihre Klientel zurück, [...] wenn ich der einzige konfessionell Gebundene in der Klasse bin oder viele meiner Schüler gar nicht wissen, ob sie getauft sind oder nicht.

Im Horizont ihres religiösen Selbstverständnisses stoßen sie Lehr-Lern-Prozesse an, die die von mir befragten Lehrkräfte bevorzugt umschreiben

  • als emotional und sozial: [...] weg von den rein kognitiven Inhalten, hin [...] zum Ausprobierendürfen von sozialen Fähigkeiten, von affektivem Lernen, auch im Reliunterricht,
  • als mystagogisch und diakonisch: Diakonisches und mystagogisches Lernen, das hängt eng zusammen, nichts geht ohne das andere,
  • als ethisch: Wertekanon, Dekalog, Bergpredigt, und schließlich
  • als interkulturell: Ich habe halt Schüler aus verschiedenen Kulturkreisen, Muslime und Leute, die aus dem Ostblock kommen, aus asiatischen Gebieten, also Leute, die eine ganz andere Kulturerfahrung mitbringen als wir.

Bekenntnisbedingte Grenzen zeichnen sich weniger deutlich zwischen verschiedenen christlichen Konfessionen ab, sondern in wachsendem Maße zwischen Christentum und Islam. Konfessioneller Religionsunterricht erfolgt angesichts geringer Katholikenzahlen oder mangels Lehrkraft oft jahrgangs- und insbesondere berufsübergreifend: Da sind die Arzthelferinnen, die sich für Sterbebegleitung interessieren, und da sind die Zimmerer, die sich zumindest für Kirchenarchitektur begeistern lassen. Wie aber lässt sich der Unterricht gestalten, wenn beide Gruppen plötzlich nicht mehr getrennt, sondern gemeinsam in Religion unterrichtet werden? Die Heterogenität der Schülerschaft nimmt aber ebenfalls zu, wenn katholischer Religionsunterricht im Klassenverband erfolgt, also auch für Evangelische, Muslimische, Orthodoxe und natürlich eine zunehmende Zahl von Nichtgetauften: "Ich bin gar nichts", sagt dann der Schüler oder die Schülerin. Mit konfessionellem Religionsunterricht im Klassenverband gehen bisher gute Erfahrungen einher, auch mit expliziten Atheisten, die nicht als Störfaktor drin waren, sondern wirklich als anregende Gesprächspartner. Allerdings lässt sich die Konfessionalität des Unterrichts dann wie angedeutet oft nurmehr an der Konfession der Lehrkraft, nicht aber an der Zusammensetzung der Klasse erkennen. Dort treffen Jugendliche, die, wie sie sagen, ein freundschaftliches Verhältnis zu Gott pflegen und sich eine spirituelle Vertiefung ihres Lebens erhoffen, zusammen mit Heranwachsenden, die eine katholische Schule lediglich wegen ihres guten Rufs aufsuchen, auch mit jenen, die an früher besuchten Schulen schlechte Erfahrungen mit dem Religionsunterricht gesammelt haben und darin nun nach eigenem Bekunden nur abgammeln wollen und sich beschallen lassen. In etlichen Regionen kommen evangelikal orientierte junge Menschen und Andersgläubige nichtchristlicher Herkunft hinzu. Eine Chance religiösen Lernens liegt zumindest darin, dass letztere ihr Leben im Islam authentisch präsentieren können; ein Hindernis aber entsteht, wenn Schüler den Unterricht gefährden oder bremsen – oft zum Bedauern nicht nur der Lehrenden, sondern auch der anderen Lernenden.

Kirchlich engagierten ebenso wie nur formal gebundenen und ungetauften Jugendlichen gemeinsam ist eine religiöse Suchbewegung, die sich etwa im Interesse an meditativen Übungen und in Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod manifestiert. Dieses Motiv des Suchens und Fragens lässt sich religionspädagogisch am ehesten mit der sogenannten "quest"-Dimension[21] von Religiosität identifizieren, einer Gestalt des religiösen Lebens, das mit der Dynamik einer Frage bei ausbleibender Antwort besser zurecht kommt als mit der Rigidität einer Antwort bei ausbleibender Frage – und Schulseelsorge auf ganz eigene Weise provoziert, wenn seelische Labilität und diffuse Zukunftsaussichten zusammenspielen. Unter ihnen sind viele von religiösen Fragen stark bewegte Jugendliche, die sehr interessiert sind an religiösen Erfahrungsräumen, wenn diese klar strukturiert und zeitlich begrenzt sind, etwa in Form von Meditations- und Kontemplationsübungen, von kommunikativer Selbst- und Fremdwahrnehmung. Methodisch kommen solcher Religiosität ferner entgegen die Gestaltung des Religionsunterrichts als Diskussionsforum, die Einladung von Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionen in den Unterricht, sofern sie daran nicht ohnehin mitwirken, sowie "team teaching" – eine Praxis gemeinsamer, insbesondere konfessionell kooperativer Unterrichtsgestaltung, die bei darin erfahrenen Lehrenden und Lernenden großen Zuspruch findet, jedoch bislang offenbar nur selten vollzogen wird, seltener wohl als im Norden Europas.

Fünfte These: Die religiöse Heterogenität einer suchenden und fragenden Schülerschaft verlangt nach methodischer Kreativität und einer Beziehungsdidaktik, die Religionsunterricht – zumindest im Ansatz – zu einem Ort wechselseitiger Selbstkundgabe werden lässt. Seine Konfessionalität hängt oft an der Konfessionalität allein der Lehrenden.

Ich komme zum Bedarf an Aus-, Fort- und Weiterbildung, den Lehrkräfte anmelden. Dieser richtet sich weniger auf einzelne Inhalte ihrer Landeslehrpläne, sondern vorrangig auf die möglichst multimediale Bereitstellung von möglichst brandneuen Materialien zu möglichst hochaktuellen Themen, ausgestattet mit methodischen Hinweisen, die keinen Lehrer binden, aber jeden orientieren, und einem Basiswissen, das ebenso umfassend wie überschaubar zusammengestellt ist, abrufbar am besten unter einer keiner Schülerin und keinem Schüler, aber allen Lehrkräften bekannten und zugänglichen elek­tronischen Adresse.

Daneben setzen die von mir befragten Lehrkräfte auf das Vertrautwerden mit ihnen zunächst fremden Unterrichtsmethoden, etwa zur Gestaltung von Meditationsübungen, angesichts ihrer mitunter erschütternden Herausforderungen als Seelsorgerinnen und Seelsorger auf psychologische Grundkenntnisse, auf praktische Angebote zum Konflikttraining und ganz massiv auf Supervision – zur Selbstreflexion und zur Sicherstellung der eigenen Authentizität, zur Klärung der eigenen Rolle sowie von Interaktionen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers, zur Erlangung von Orientierung und Deutungssicherheit im seelsorglichen Umgang mit Jugendlichen. Unheilvolles oder Dunkles im Leben von Schülerinnen und Schülern kann vielgestaltig ans Licht kommen, nicht nur auf direkte Weise in Worten, in denen sie oft Unfassbares zu fassen versuchen, sondern auch auf indirekte Weise in Beziehungskonflikten. Sie ereignen sich auch in die Gottesbeziehung hinein, wenn die schulische Auseinandersetzung mit dem barmherzigen Vater zu einer bewegten und bewegenden Rückmeldung führt: Ich kann das alles nicht glauben, weil ich nicht so einen Vater gehabt habe! Eine weitere Verkoppelung von Eltern- und Gottesbild, die jedoch nicht bei Vater oder Mutter, sondern bei deren Beziehung zueinander ansetzt, stammt ebenfalls von einem Schüler: Wie kannst Du gut von Gott denken, wenn Deine Mutter, Dein Vater nicht gut sind miteinander? Manche Lehrkräfte sind in Supervision bereits erfahren: Allein schon dieses ganz einfache Gefühl, dass man in seinem Frust gelegentlich nicht allein ist, das ist manchmal schon ziemlich entlastend. Dabei melden sich auch selbstkritische Stimmen zu Wort: Wir sind mehr so die Einzelkämpfer, und man lässt sich nur ganz ungern in die Karten gucken, und das find’ ich schade, denn wir können ja nur von den Fehlern, von den eigenen und von denen der anderen, lernen in der Supervision.

Aus der Einsicht, dass die Qualität der Beziehung, die unter den am Unterrichtsgeschehen Beteiligten lebt, und der Umgang mit Konflikten, die sich in Lehr- und Lernprozessen auftun, zum Ge- oder Misslingen von Religionsstunden entscheidend beitragen, resultiert nicht nur der genannte Bedarf an Supervision, sondern konsequenterweise auch ein Interesse an der Erstellung von Unterrichtsprotokollen, an denen man die Interaktion studieren könnte – und viel dran lernen.

Sechste These: Lehrende melden vielfältige Aus-, Fort- und Weiterbildungswünsche an, vor allem starken Supervisionsbedarf. In hohem Maße fragen sie auch nach Angeboten zum mystagogischen Lernen sowie zu Theorie und Praxis von Psychologie und Seelsorge.

Und ich füge aus eigener Erfahrung hinzu: Wenn es um Selbst-kund-gabe, um ein Sich-geben geht, in welchem Menschen sich angreifbar und verletzbar machen, kann Supervision diese Einzelkämpfer entlasten – in der Gewissheit, dass keiner von ihnen alles wissen, alles können, alles glauben muss: Denn andere stehen mir zur Seite, meine Kirche steht mir zur Seite. Und Supervision – das sagt ihr Name schon – vermag darüber hinaus einen Bezug herzustellen zu einer Vision, zur Aussicht auf das Reich Gottes, in dessen Horizont Supervision als theologische und pädagogische Praxis Gestalt gewinnt, und damit vor allem der Religionsunterricht selbst.

Weitere Schritte

Damit zeichnen sich bereits einige Konsequenzen ab, die sich aus diesem Forschungsgang ziehen lassen. Um die Weiterentwicklung von Religionsdidaktik an berufsbildenden Schulen zugunsten von Selbstkundgabe voranzutreiben, braucht es – ich nenne zusammenfassend zehn Punkte –

  1. weitere empirische Untersuchungen, die diese Thesen festigen oder modifizieren können;
  2. Unterrichtsforschung: Weitere qualitativ-empirische Arbeit zugunsten einer Religionsdidaktik, die sich als Beziehungsdidaktik versteht, wird das Binnengeschehen des Unterrichts fokussieren[22] – etwa auf gelungene und misslungene Sequenzen der Selbstkundgabe hin;
  3. religiöses Lernen und Lehren unter Rahmenbedingungen, die diakonisch-mystagogische Lernprozesse in kulturell pluraler Welt überhaupt zulassen und erlauben, dass Beziehung als deren erster Inhalt spürbar wird;
  4. die Entwicklung und leicht zugängliche Bereitstellung multimedialer Unterrichts­materialien;
  5. die Stärkung des Eigenwerts religiösen Lernens: Religiöses Lernen an berufsbildenden Schulen setzt auf eine Theologie der Arbeit – und Arbeit zu haben hat für Jugendliche Vorrang vor einem Beruf[23] –, auf den Umgang mit Menschen-Bildern und in diesem Sinne auf Bildung: Gewinnt nicht auch die Wirtschaft, wenn sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnt, die sich mit den großen Sinn-Themen des Menschseins und der Gesellschaft reflektiert auseinandersetzen können?[24];
  6. Aus- und Fortbildungsangebote: Dazu gehören Einführungen in Psychologie und Seelsorge, in Meditation und Kontemplation, in kommunikative Selbst- und Fremdwahrnehmung – jeweils in der Mischung von Grundwissen und praktischem Einüben, so dass Lehrende als Lernende die Prozesse erleben können, die sie im Unterricht initiieren wollen, und mit innovativen Methoden vertraut werden;
  7. die Weiterentwicklung eines Konzepts von Supervision – mit der Vision einer diakonischen Schulkultur;
  8. Kirchen, die weiterhin unmissverständliche Optionen für Jugendliche und deren Zukunft setzen und nach Kräften dafür sorgen, dass bereits das Antlitz dieser Geschichte wenigstens Züge des Reiches des beziehungsreichen Gottes aufweist;
  9. Kultusministerien, die dem Ausfall des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen wirksam entgegentreten, und
  10. Verbände von (Religions-) Lehrerinnen und Lehrern, die europaweit kooperieren – zugunsten einer Religionsdidaktik, die Wege zur Selbstkundgabe entdecken beziehungsweise zur eigenen Stimme finden lässt.

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[1] Vgl. Wegenast, Klaus, Die empirische Wendung in der Religionspädagogik, in: Der Evangelische Erzieher 20 (1968) S. 111–125.

[2] Vgl. Schweitzer, Friedrich / Biesinger, Albert et al., Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden. Erfahrungen und Perspektiven zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, Freiburg im Breisgau/Gütersloh 2002.

[3] Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Religionsunterricht heute. Eine Befragung von Religionslehrern über Aufgaben und Möglichkeiten, Gestaltung und Resonanz des Religionsunterrichts, Allensbach am Bodensee 1988 (unveröffentlicht); dass., Religionsunterricht – zwei Perspektiven. Schüler und Lehrer über den katholischen Religionsunterricht, Allensbach am Bodensee 1988 (unveröffentlicht).

[4] Vgl. Feige, Andreas, Erfahrungen mit Kirche. Daten und Analysen einer empirischen Untersuchung über Beziehungen und Einstellungen junger Erwachsener zur Kirche. Ein Beitrag zur Soziologie und Theologie der Volkskirchenmitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Hannover 21982; ders. et al., "Religion" bei ReligionslehrerInnen. Religionspädagogische Zielvorstellungen und religiöses Selbstverständnis in empirisch-soziologischen Zugängen. Berufsbiographische Fallanalysen und eine repräsentative Meinungserhebung unter evangelischen ReligionslehrerInnen in Niedersachsen, Münster 2000.

[5] Vgl. Bucher, Anton, Religionsunterricht zwischen Lernfach und Lebenshilfe. Eine empirische Untersuchung zum katholischen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Mit einem Geleitwort von Bischof Karl Lehmann, Stuttgart/Berlin/Köln 32001.

[6] Vgl. Gloy, Horst, Die religiöse Ansprechbarkeit Jugendlicher als didaktisches Problem dargestellt am Beispiel des Religionsunterrichts an der Berufsschule, Hamburg 1969.

[7] Vgl. Birk, Gerd, Grundlagen für den Religionsunterricht an Berufsschulen. Eine empirische Untersuchung an Münchener Berufsschulen, Düsseldorf 1974; ders., Akzeptanz des BRU, in: Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, Gütersloh 1997, S. 35–37.

[8] Vgl. Rittgen, Paul, "Gott" in der Berufsschule. Exemplarische Analyse der beiden Rahmenplanentwürfe für den katholischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen in der BRD (Studien zur Praktischen Theologie, Bd. 5), Zürich/Einsiedeln/Köln 1974.

[9] Vgl. Weidinger, Norbert, Elemente einer Symboldidaktik (RU abS), Bd. 1: Elemente einer Symbolhermeneutik und –didaktik (Studien zur Praktischen Theologie, Bd. 35), St. Ottilien 1990; ders., Elemente einer Symboldidaktik (RU abS), Bd. 2: Zur Situation des Religionsunterrichts an beruflichen Schulen (Studien zur Praktischen Theologie, Bd. 38), St. Ottilien 1991.

[10] Vgl. Gerber, Uwe / Höhmann, Peter / Jungnitsch, Reiner, Religion und Religionsunterricht. Eine Untersuchung zur Religiosität Jugendlicher an berufsbildenden Schulen (Darmstädter Theologische Beiträge zu Gegenwartsfragen, Bd. 7), Frankfurt am Main 2002.

[11] Vgl. Schuster, Robert, Was sie glauben. Texte von Jugendlichen, Stuttgart 1984.

[12] Vgl. Siller, Johann, Möglichkeiten und Grenzen biographischen Glauben-Lernens mit Lehrlingen aus gastgewerblichen Berufen. Analyse der Lebens- und Glaubenssituation junger Koch- und Kellner-Lehrlinge im Bundesland Salzburg mit religions­pädagogischen Aspekten der schulischen und außerschulischen Berufsbegleitung, Salzburg 1991 (unveröffentlicht).

[13] Vgl. Schmid, Hans, Religiosität der Schüler und Religionsunterricht. Empirischer Zugang und religionspädagogische Konsequenzen für die Berufsschule (Beiträge zur Fachdidaktik und Schulpädagogik, Bd. 2), Bad Heilbrunn 1989.

[14] Vgl. Klie, Thomas, Religionsunterricht in der Berufsschule. Verheißung vergegenwärtigen. Eine didaktisch-theologische Grundlegung (Arbeiten zur Praktischen Theologie, Bd. 14), Leipzig 2000.

[15] Vgl. ausführlich Kießling, Klaus, Zur eigenen Stimme finden. Religiöses Lernen an berufsbildenden Schulen (Zeitzeichen, Bd. 16), Ostfildern 2004.

[16] Vgl. Langer, Inghard, Das Persönliche Gespräch als Weg in der psychologischen Forschung, Köln 2000.

[17] Vgl. Boschki, Reinhold, "Beziehung" als Leitbegriff der Religionspädagogik. Grundlegung einer dialogisch-kreativen Religionsdidaktik (Zeitzeichen, Bd. 14), Ostfildern 2003.

[18] Vgl. Grundlagenplan für den katholischen Religionsunterricht an Berufsschulen, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2002.

[19] Vgl. Lernen in Lernfeldern. Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept, hrsg. von Reinhard Bader / Peter F. E. Sloane, Markt Schwaben 2000.

[20] Vgl. Tzscheetzsch, Werner, Gott teilt sich mit. Heilsgeschichte im Religionsunterricht, Ostfildern 2002.

[21] Vgl. Batson, C. Daniel / Ventis, W. Larry, The Religious Experience. A Social-Psychological Perspective, New York/Oxford 1982; Ziebertz, Hans-Georg et al., Modern Religiousness. Extrinsic, Intrinsic or Quest?, in: Journal of Empirical Theology 14 (2001), S. 5–26.

[22] Vgl. Faust-Siehl, Gabriele et al., 24 Stunden Religionsunterricht. Eine Tübinger Dokumentation für Forschung und Praxis, Münster 1995; Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung von religionsunterrichtlicher Praxis, hrsg. von Dietlind Fischer / Volker Elsenbast / Albrecht Schöll, Münster 2003.

[23] Vgl. Horstmann, Dietrich, Berufsbezug oder umfassende Handlungskompetenz? Der Beitrag des Religionsunterrichts in den Bildungsgängen der Teilzeitberufsschule des Berufskollegs – ein Diskussionsbeitrag, in: Berufsbezug im Religionsunterricht der Berufsbildenden Schule. Theoretische Grundlegung und Praxisbeispiele, hrsg. von Werner Läwen / Hans-Jürgen Pabst / Andrea A. Pabst-Dietrich (Quellen und Forschungen zum evangelischen sozialen Handeln, Bd. 16), Hannover 2003, S. 15–26.

[24] Biesinger, Albert, Was gewinnt die Wirtschaft durch den Religionsunterricht an Berufsschulen? Gott – mehr als Ethik, in: rabs 30 (1998), S. 35–38; Nipkow, Karl Ernst, Was gewinnt das Gemeinwesen im Ganzen durch den Religionsunterricht an Berufsschulen? Zwölf Thesen mit Erläuterung, in: rabs 30 (1998), S. 39–41.