Promotionsverbund "Die andere Ästhetik"

Leitende Ansätze

Analog zu den skizzierten Grundfragen setzt das Forschungsprogramm in drei Bereichen an:

Methodisch

Bei der Suche nach einer ,anderen’ Ästhetik ist zunächst der mögliche Ort der ästhetischen Reflexion zu verhandeln. Die Arbeitshypothese lautet, dass eine alternative Ästhetik sich dort am ehesten eruieren lässt, wo man den Bereich der expliziten Ästhetiktheorie verlässt. Untersucht werden sollen daher die ästhetischen Reflexionen, die der Kunst bzw. den Kunstwerken selbst eigen sind. Da Kunst immer schon die Disposition zur Selbstreferenz und ‚Selbstreflexion’ in sich trägt, lässt sich von hier Aufschluss darüber gewinnen, wie sich ein ästhetischer Diskurs jenseits und gleichsam ‚neben’ der traditionellen Ästhetik konstituiert. Gesucht wird somit nach Formen, Typen und Figuren, in denen sich ästhetische Kommentare im Vollzug des Werkes performativ herausbilden. Für die verschiedenen Formen, Typen und Topoi ästhetischer Selbstreflexion, die sich innerhalb der Künste bzw. innerhalb des Kunstwerkes vollziehen, prägt das Projekt den Begriff der ,ästhetischen Reflexionsfigur’ und etabliert ihn als interdisziplinäres Forschungskonzept.

Ästhetische Reflexionsfiguren durchdringen künstlerische Produkte in ihrer Oberflächen- wie Tiefenschicht, in ihrer Genese, in Form von ,Potenzierungen’, Spiegelungen, Paratexten aller Art (z.B. Selbstbeschreibungen, Figurenreflexionen usw.). Das Spektrum reicht von Tropen (Personifikationen, Bilder, Metaphern) über spezifische Motive bis hin zu Gattungszitaten oder Autoranrede. Differieren kann weiter die Intensität des Reflexionsgrades: von der ostentativen Selbstausstellung über experimentelle Anspielungen im Vorübergehen bis hin zu zufälligen Spuren, kontingenten Marginalien in Nischen, Schattenzonen oder an der Peripherie. Entscheidend ist durchgehend der wenn nicht vorläufige, so doch ‚bewegliche’ Charakter der Reflexionsfiguren, die sich eingebunden in die Performanz der Kunst selbst zeigen, ohne sich bereits zu einer Theorie, einem kohärenten Narrativ, zu verdichten. Damit rückt ein reflexives Ausdruckspotential ,neben’ der theoretisch fundierten expliziten Ästhetik in den Blick, das in der Vielfalt seiner Erscheinungsformen, in Hinblick auf eine mögliche Systematik oder auch etwa in der Perspektive eines konkurrierenden Anspruchs, der das ,neben’ als eigentlichen Hauptschauplatz ins Spiel bringen könnte, noch nicht interdisziplinär erforscht ist.

Aufgabe der Explorationsphase, die durch den Promotionsverbund umschrieben ist, wird es u.a. sein, eine Übersicht über den heterogenen Bestand in großer zeitlicher und medialer Breite zu gewinnen. Zur Ordnung des Bestandes gehen wir von vier heuristischen Grundkategorien aus:

Diese Grundkategorien bieten eine Rahmenstruktur, die in historischer wie systematischer Hinsicht auszudifferenzieren ist:

Historisch

Eine in dieser Weise anvisierte ‚Ästhetik neben der Ästhetik’ muss auch das geschichtsphilosophische und das anthropologische Modell historisch differenzieren und gegenüber dem ,immer schon’ bzw. gegenüber dem teleologischen Entwurf alternative Denkmodelle zu entwickeln. Den Ansatz hierzu bildet die diachron wie synchron ansetzende Analyse von historischer Konstanz und Varianz einzelner Reflexionsfiguren. Ausgegangen wird von der Beobachtung, dass es innerhalb der Rahmenstruktur eine durchaus begrenzte Zahl ästhetischer Reflexionsfiguren gibt, die in Dimensionen einer ‚longue durée’ wiederkehren, weil sie entweder an feste Elemente, Positionen und Figuren eines Textes / Kunstwerkes gebunden sind (z.B. Spiegelungsphänomen wie die ‚Mise en abyme’), oder aber Elemente einer Fundamentalrhetorik darstellen (z.B. das Feld der literarischen Bildlichkeit, Anschaulichkeit usw.). Damit nähert sich das Unterfangen einer literarischen Topik, deren Gründungswerk in Ernst Robert Curtius’ Kompendium Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter vorliegt, versucht dieses jedoch zu aktualisieren. So geht es nicht um das mechanisch registrierende Sichten ‚stoffförmiger’ Bestände im Sinne einer Motiv- und Stoffgeschichte, sondern vielmehr darum, die Reflexionsfiguren als historische ,Kristallisationspunkte gesellschaftlich anerkannten Wissens’ (Haug) zu erschließen und sie damit an ihre kulturellen und historischen Kontexte zurückzubinden.

Systematisch

Um die Befunde auch unter systematischen Gesichtspunkten auswerten zu können, bedarf es spezifischer Kriterien, auf die sich der Anspruch einer ,Ästhetik’ konzeptuell gründen kann. Auch hier setzt das Projekt zunächst kritisch an. So sind die bisher maßgeblichen Wertungsindices ,eigentlicher’ Kunst, Autonomie und Schönheit, in einem breiten Zugriff auf ästhetische Zeugnissee seit der Antike validierend zu befragen bzw. neu zu perspektivieren. In Bezug auf den Autonomiebegriff sollen dabei zwei Möglichkeiten diskutiert werden: Die erste Möglichkeit versteht Autonomie und Pragmatik nicht als absolute Gegensätze, sondern als Spannungspole, zwischen denen die Kunst einen je eigenen Standpunkt finden und ‚aushandeln’ muss in Graden der Annäherung. Die zweite (radikalere) Möglichkeit stellt die Kategorie der Autonomie ebenso wie die Kategorie der Schönheit als dominante Beschreibungsparadigmen grundsätzlich in Frage. Gerade der Blick auf vormoderne ästhetische Reflexionsfiguren lässt Möglichkeiten einer Neubestimmung ästhetischer Leit- und Wertbegriffe zu, ja fordert diese ein: Begriffe wie Polyvalenz, Anschlussfähigkeit oder handwerkliche Perfektion, Meisterschaft bzw. Könnerschaft führen auf Konzeptualisierungen zu, die die Entelechie ,eigentlicher’ Kunst nicht im gesellschaftlich abgelösten Selbstbezug des ,schönen Scheins’ sehen, sondern in Optionen gesellschaftlicher Rekurrenz und Funktionalität.