Uni-Tübingen

17.10.2024

Mit Weitblick und Humor gegen die Angst: Autor Thorsten Glotzmann im Gespräch

Anti-Angst-Strategien findet der Alumnus unter anderem in seinem Studienfach: der Philosophie

In seinem erzählenden Sachbuch Herr G. hat Angst befasst sich Alumnus Thorsten Glotzmann mit dem großen Thema Angst: Wie sie uns lähmt und was wir tun können, um sie zu besänftigen.

Herr Glotzmann, was hat Sie dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben?

Die Angst selbst hat mich dazu bewegt. Sie hat mein Leben so sehr bestimmt, dass ich keine andere Wahl hatte, als mich mit ihr zu beschäftigen. Das Schreiben des Buchs war auch deshalb hilfreich, weil ich die Angst dadurch auf Distanz bringen und neugierig erforschen konnte. Diese Verschiebung der Perspektive scheint mir wichtig, denn oft heißt es ja, eine Person sei „von einer Angststörung betroffen“. Das suggeriert, sie sei der Angst hilflos ausgeliefert. Dabei sind angstgeplagte Menschen sehr wohl handlungsfähig. Es gibt Methoden, die Angst zu besänftigen. Genau darum geht es in „Herr G. hat Angst“.

Welche Rolle hat Ihr Studium in Tübingen beim Schreiben Ihres Buches gespielt?

Ich habe in Tübingen Philosophie, Germanistik und Französisch studiert – alle drei Disziplinen spielten eine wichtige Rolle beim Schreiben des Buches, vor allem aber die Philosophie. Ich versuche mich z.B. an den angstbefreienden Übungen der Stoiker, die dabei helfen sollen, mit Ungewissheit umzugehen, sich mental auf Katastrophen vorzubereiten und gelassener zu werden. Auch von Kierkegaard und Schopenhauer habe ich viel über die Angst gelernt. Ihre Gedanken sind sehr wichtig für die Heldenreise des Herrn G. Und sie sind mehr als nur Theorie: Interessant wird es, wenn man sie mit dem konkreten Alltag verknüpft – mit der Frage, wie wir unser Leben besser leben können. 

Gibt es einen besonderen Ort in Tübingen, an dem Sie während Ihres Studiums Kraft getankt haben? 

Neben Burse, Brechtbau und Bars, in denen ich großartige Freundschaften geschlossen habe, die mich bis heute tragen, fällt mir der Kraftraum am Sportwissenschaftlichen Institut ein. Dort habe ich im wahrsten Sinn des Wortes Kraft getankt. Das Pumpen war der perfekte Ausgleich zum vergeistigten Studium. Überhaupt ist Sport bis heute eine der wichtigsten Ressourcen für mich, um aus Angstspiralen herauszufinden.

In Ihrem Werk beleuchten Sie die biologischen und neurologischen Grundlagen der Angst. Was hat Sie bei Ihrer Recherche am meisten überrascht?

Ich bin kein Experte für Neurobiologie, fand es aber sehr spannend, die Bücher von Forscherinnen und Forschern aus diesem Bereich zu lesen. Sie haben mir dabei geholfen, zu verstehen, wie sich die Angst im Körper zeigt, vor allem im Gehirn. Wie in Panikmomenten Stresshormone ausgeschüttet werden, um den Körper auf die Flucht oder den Kampf vorzubereiten. Wie in der Angst ausgerechnet jene Teile des Gehirns „abgeschaltet“ werden, die aktiv sind, wenn wir langfristig planen oder rational abwägen. Ich vereinfache etwas, aber es hat mich überrascht, wie sich unsere kognitiven Fähigkeiten in Angstsituationen vermindern, wie schwer es uns dann fällt, klar zu denken und gute Entscheidungen zu treffen.

Wie stark beeinflussen globale Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder der Klimawandel die Ängste der Menschen?

Sie erzeugen ein Gefühl der Verunsicherung und des Kontrollverlusts – der ideale Nährboden für Ängste, die von Populistinnen und Populisten wie auch von Extremistinnen und Extremisten zusätzlich befeuert und instrumentalisiert werden. Die Angstmache führt dazu, dass Menschen in gefährliche Freund-Feind-Denkmuster verfallen und die Fähigkeit zu komplexem Denken verlieren. Umso wichtiger ist es, dass wir uns unseren Ängsten stellen, dass wir über sie sprechen und uns immer wieder bewusst machen, wie es uns gerade geht und dass wir in der Angst auch miteinander verbunden sind. Denn wir alle tragen einen „inneren Kritiker“, eine innere Stimme der Angst mit uns herum, die uns das Leben schwer macht.

Wie Sie ist Herr G. stark von der südwestdeutschen Gesellschaft der 1990er geprägt. Was hat diese mit Angst und Wettbewerb zu tun?  

Ich bin in den 1990er-Jahren in der Nähe von Tübingen aufgewachsen und habe als behütetes Kind einer Mittelschichtsfamilie viele Privilegien genossen. Ich war sozial eingebettet, geliebt und frei von vielen Sorgen, die andere belasten. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass in der Schule oder beim Sport ein übertriebener Leistungsdruck vorherrschte, dass man immerzu gefordert war, sich im Wettbewerb zu behaupten. Verbunden mit der Drohung, bei ausbleibender Leistung durchzufallen und den Anschluss zu verlieren. Dadurch gedeihen Versagensängste, die einen das ganze Leben lang begleiten.

Wenn Herr G. einen tierischen Gefährten hätte, welcher wäre es und warum? 

Einen Elefanten! Ich liebe Elefanten. Das sind nach allem, was ich über sie weiß, großartige Tiere: emotional intelligent, mitfühlend, sozial und treu. Ich würde mir deshalb wünschen, dass Herr G. einen Elefanten zum Freund hätte. Denn wer Mitgefühl, Großzügigkeit und Wärme in sich nährt, löst Angst auf.

Am 12. Dezember kehren Sie an die Universität Tübingen zurück, um im Rahmen der alljährlichen Alumni-Lesung eine Lesung im Café Haag zu halten. Was erwartet das Publikum bei dieser Veranstaltung?

Das wird ein toller, angstbesänftigender Abend. Das Publikum wird erfahren, wie die Angst durch Herrn G.’s Leben wütet und wie er lernt, immer besser mit ihr umzugehen. Ich werde aus meinem Buch lesen, dazu Jazz-Gitarre spielen und singen. Denn auch das ist eine wirksame Strategie der Angstbesänftigung: Musik! Habe ich Lampenfieber? Immer. Aber ich kenne ja jetzt ein paar Mittel gegen Versagensängste. 

Das Interview führte Rebecca Hahn 

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