Institute for Astronomy and Astrophysics

Nachricht von den Sternen

XMM-Satelliten-Mission mit der Ariane 5 und Tübinger Technik an Bord

(Schwäbisches Tagblatt vom 9.12.99)

TÜBINGEN. Die einen schicken mit Sicherheit ein Stoßgebet zum Himmel, während der Count-Down für den Raketen-Start läuft. Die anderen werden sich noch einmal überlegen, wieviele Stunden sie diesem Projekt gewidmet haben. Viel Geld und viel Arbeit stehen auf dem Spiel, wenn morgen um 15.32 Uhr der bislang größte europäische Wissenschaftssatellit ins All geschickt wird. Auch Tübinger Astronomen haben daran mitgearbeitet.

In früheren Jahrhunderten konnten Astronomen am Himmel nur das beobachten, was sie mit dem Auge sehen konnten: nämlich das Licht. Es gibt jedoch im Weltall noch ganz andere Arten von Strahlung. Eine der wichtigsten ist die kosmische Röntgenstrahlung. Für die Astronomen ist sie heutzutage deshalb so interessant, weil man sich von ihr Aufschluss über die Entstehung des Kosmos erhofft.

Röntgenstrahlung aus dem All wird allerdings von der Erdatmosphäre absorbiert. "Das ist eine vermutlich nicht zufällige Koinzidenz", findet der Tübinger Röntgen-Astronom Prof. Rüdiger Staubert, "dass die für den Menschen gefährliche Strahlung, zum Beispiel auch die UV-Strahlung, absorbiert wird. Und nur das optische und für den Menschen wahrnehmbare, ungefährliche Licht durch die Atmosphäre dringt." Für die Astronomen macht das die Sache freilich auch ziemlich schwierig: Um kosmische Röntgenstrahlung aufzuzeichnen, muss man die Messgeräte außerhalb der Erdatmosphäre platzieren.

Das versuchten Wissenschaftler des Tübinger Instituts für Astronomie bereits in den 70er Jahren. Damals schickten sie Versuchsballons mit Messgeräten und Röntgen-Kameras in 40 Kilometer Höhe. Später beteiligten sich die hiesigen Röntgen-Astronomen an etlichen Satelliten-Missionen. Ihre langjährige Forschungsarbeit und die Erfahrung bei Messungen kosmischer Strahlung hat sie jetzt auch für eines der größten wissenschaftlichen Projekte der European Space Agency (ESA) qualifiziert: für die XMM-Mission. XMM ist ein 3,8 Tonnen schwerer Forschungssatellit, der Physiker und Astronomen mit einer Fülle von Daten über Röntgenstrahlung aus dem All versorgen soll. Der Satellit selbst wurde unter Leitung der Dornier Satellitensysteme GmbH in Friedrichshafen gebaut. Ins All verfrachten soll ihn morgen die Trägerrakete Ariane 5. Start ist um 15.32 Uhr (MEZ) in Kourou in Französisch-Guyana. Die ESA lässt sich diese Mission knapp 500 Millionen Mark kosten.

Die Ausstattung des Satelliten ist ein Gemeinschaftswerk von Wissenschaftlern in ganz Europa. Der Satelliten-Körper besteht aus einer zehn Meter langen Röhre mit drei Teleskopen. Flügelgleich sind die Solargeneratoren für die Energieversorgung mit einer Spannweite von rund 30 Metern am Satelliten-Leib angebracht. Am hinteren Ende der Teleskop-Röhre sitzen die Bilddetektoren: Kameras, die die eingehende Röntgenstrahlung abbilden und in Datenmaterial umwandeln, das zur Erde geschickt wird. Darin besteht auch der Tübinger Beitrag: Eine der drei Detektor-Kameras haben die Tübinger Astronomen unter Leitung von Prof. Staubert und Dr. Eckhard Kendziorra in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching konstruiert. Die MPI-Leute bauten den 6 x 6 Zentimeter großen Silizium-Chip. Die Tübinger konstruierten die Elektronik, die die 153 600 Pixel des Chips abliest.

Von jedem einzelnen eingehenden Röntgen-Quant wird gemessen, wo und wann er auf dem Silizium-Chip auftrifft und welche Energie er trägt. Ein eigenes Kunstwerk sind die Teleskopröhren, an deren Entwicklung die Firma Zeiss beteiligt war. Sie fokussieren die Röntgenstrahlen auf den Silizium-Chip. Die 58 ineinandergeschachtelten, aus Nickel gefertigten Spiegel-Schalen sind einen halben Meter lang. Ihre Oberfläche muss extrem glatt sein, erklärt Staubert. Nimmt man als Vergleichswert eine 10 Kilometer breite Wasseroberfläche (so breit ist der Bodensee etwa zwischen Konstanz und Meersburg), so dürfte sich das Wasser nicht einmal um sechs Tausendstel Milimeter kräuseln. Dieses filigrane Werk gab dem Satelliten auch seinen Namen: XMM steht für "x-ray" und "multi-mirror".

Rund 3,3 Millionen Mark hat die vom Bund finanzierte Tübinger Forschung für XMM bisher gekostet, berichtet Staubert. Zehn Jahre Entwicklungsarbeit stecken in der Detektor-Kamera. Neben den Instituts-Mitarbeitern haben zahllose Studierende von diesem Projekt in Form von anschaulichem und anwendungsnahem Unterricht profitiert. Allein 16 Examensarbeiten entstanden in Tübingen zur XMM-Mission.

Wenn der Satellit dann auf seiner exzentrischen Umlaufbahn die Erde umkreist, wird er die Tübinger (und andere Wissenschaftler) noch mit viel mehr Arbeit versorgen. "Wir sind ja nicht an dem Projekt beteiligt, damit wir Elektronik bauen können, sondern um damit Astrophysik zu machen", sagt Staubert. Wie alle XMM-Mitarbeiter haben sich die Tübinger durch ihre Konstruktionsarbeit einen Anteil an den XMM-Daten gesichert. Um 90 Prozent des zu erwartenden Materials gibt es in einer weltweiten Ausschreibung aber einen regelrechten Wettbewerb unter Forschungs-Instituten; auch dabei haben sich die Tübinger um weiteres Material beworben. Welche Rückschlüsse sich aus dem nun zu erwartenden Röntgen-Material über die Entstehung des Kosmos ziehen lassen, werden allerdings erst die Analysen der kommenden Jahre zeigen.


Bilder: Angela L. Marciniak / ESA