Forschung und Projekte
Astroteilchenphysik (AG Jochum)
Die gemeinsame Motivation unserer Aktivitäten ist die Suche nach Physik jenseits des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Die beiden Schwerpunkte sind dabei die Suche nach der Dunklen Materie und die Untersuchung der Eigenschaften von Neutrinos.
Zahlreiche kosmologische Beobachtungen kommen zu dem Schluss, dass nur etwa 1/6 der Materie im Universum aus den bekannten Elementarteilchen aufgebaut ist - woraus der überwiegende Teil der Materie besteht ist also unbekannt. Da dieser Anteil nicht mit Licht wechselwirkt und somit unsichtbar ist wird er Dunkle Materie gennant. Viele Modelle versuchen die Dunkle Materie mit neuen Elementarteilchen zu erklären. Zwei der vielversprechendsten Kandidaten sind WIMPs und Axionen.
Das CRESST-Experiment am Gran-Sasso-Labor in Italien setzt Tieftemperaturdetektoren basierend auf szintillierenden Kristallen ein um nach Kernrückstößen zu suchen, die von WIMPs hervorgerufen werden. In Tübingen steht für die Charakterisierung dieser Detektoren ein abgeschirmter Entmischungskryostat in einem unterirdischen Messraum zur Verfügung. Außerdem betreibt die Gruppe im Rahmen von LISA+ ein Aufdampfgerät mit dem die supraleitenden Phasenübergangsthermometer (TES) aus Wolfram produziert werden können.
MADMAX ist ein geplantes Experiment zur Suche nach Dunkler Materie in Form von Axionen, das am DESY in Hamburg aufgebaut werden soll. In den nächsten Jahren soll ein erster Prototyp eines neuartigen dielektrischen Haloskops gebaut werden. Die Grundidee dabei ist, dass die Axionen in einem externen Magnetfeld in Mikrowellenstrahlung umgewandelt werden. Um diese Mikrowellen zu verstärken müssen eine Reihe von dielektrischen Scheiben in bestimmten Abständen zueinander angeordnet werden. Die Gruppe entwickelt gemeinsam mit der AG Fortagh ein neuartiges Messsystem um die Abstände mit der nötigen Präzision von etwa 1 µm zu kontrollieren.
Der Nachweis des extrem seltenen neutrinolosen Doppelbetazerfalls (0νββ) würde beweisen, dass Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind. Dies könnte zumindest zum Teil erklären warum das Universum hauptsächlich aus Materie (und nicht zu gleichen Teilen aus Antimaterie) besteht. Die Gruppe ist dabei an den Experimenten GERDA und dem Nachfolgeexperiment LEGEND (ebenfalls im Gran-Sasso-Labor) beteiligt. In den Experimenten werden neuartige Halbleiterdetektoren aus Germanium eingesetzt, die mit dem Isotop 76Ge angereichert sind, in dem der Doppelbetazerfall möglich ist. Neben der Charakterisierung dieser Detektoren arbeiten Mitglieder der Arbeitsgruppe an Monte-Carlo-Simulationen um den radioaktiven Untergrund in den Messungen besser zu verstehen. Ein wichtiger Beitrag zum Experiment war auch der Entwurf und Aufbau des Myon-Vetos, das Untergrundereignisse aufgrund von kosmischer Strahlung identifizieren soll und zugleich als Abschirmung gegen Umgebungsradioaktivität dient.
Aus der Beobachtung von Neutrinooszillationen wissen wir, dass Neutrinos eine Masse haben müssen. Diese Masse ist allerdings so klein, dass bis heute nur Obergrenzen bestimmt werden konnten. Die empfindlichsten Experimente suchen nach Abweichungen im Energiespektrum der Elektronen in Betazerfällen von Tritium aufgrund der Masse der ebenfalls emittierten Antineutrinos. Das ECHo-Experiment verfolgt einen neuen Ansatz: anstelle der Betazerfälle werden Elektroneinfangsprozesse von Holmium beobachtet. Hier wird ebenfalls ein Neutrino emittiert, dessen Masse das beobachtete Energiespektrum verändert. Die Zerfallsenergie wird dabei von Tieftemperaturdetektoren extrem genau gemessen.
Neutrinophysik (AG Lachenmaier)
Die Arbeitsgruppe Neutrinophysik ist an mehreren internationalen Forschungsprojekten beteiligt. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt momentan auf dem JUNO-Experiment, das im Süden von China aufgebaut wird. Das Herzstück von JUNO ist ein sphärischer Detektor mit etwa 35m Durchmesser, der mit 20000 Tonnen Flüssigszintillator gefüllt wird, damit handelt es sich um den größten Detektor dieser Art.
Hauptziel von JUNO ist die Bestimmung der Massenhierarchie der Neutrinos, indem ein feines Oszillationsmuster im Energiespektrum der gemessenen Neutrinos beobachtet wird. Das Oszillationsmuster entsteht durch Interferenz zweier Terme in der Wahrscheinlichkeit für Neutrinooszillationen und hängt von der Hierarchie der Neutrinomassen ab. Um das Interferenzmuster sichtbar zu machen wird das Szintillationslicht von etwa 18000 Photomultipliern (PMTs) mit einem Durchmesser von etwa 50cm detektiert.
Ein wesentlicher Beitrag der Gruppe (gemeinsam mit der Universität Hamburg) ist der Aufbau eines automatisierten Testsystems um alle in JUNO eingesetzten PMTs zu charakterisieren. Darüber hinaus werden Messverfahren für die optische Qualität von Flüssigszintillatoren entwickelt sowie an Methoden zur Rekonstruktion von Teilchenspuren im Detektor oder an Studien zur Sensitivität des Detektors gearbeitet.
Im Rahmen des ANNIE-Projekts am Fermilab untersucht die Gruppe neuartige siliziumbasierte Photodetektoren, sog. LAPPDs (Large Area Picosecond Photodetectors). Diese bieten gegenüber den bisher verwendeten PMTs eine bessere Orts- und Zeitauflösung und sollen in zukünftigen Neutrinoexperimenten eine bessere Ereignisrekonstruktion und damit eine bessere Trennung von Signal und Untergrund ermöglichen.
Die Gruppe war außerdem am DoubleCHOOZ-Experiment am Kernreaktor im französischen Chooz beteiligt. Mit dem Experiment konnte der Neutrinomischungswinkel θ13 bestimmt werden. Die Messungen sind mittlerweile abgeschlossen und die Detektoren werden momentan abgebaut.
Ultrarelativistische Schwerionenphysik - Kernmaterie unter extremen Bedingungen (AG Schmidt)
Schwerionenkollisionen bei ultra-relativistischen Energien bieten die einzigartige Möglichkeit, Materie im Labor bei extreme hohen Dichten oder Temperaturen zu untersuchen. Die so erzeugten baryonischen Dichten kommen ansonsten nur im Innern von Neutronensternen vor. Es können Temperaturen von bis zu 1012K erzeugt werden; dies sind Werte wie sie einige Mikrosekunden nach dem Urknall im Universum vorherrschten, und bei denen ein Phasenübergang von einem Quark-Gluon Plasma zu hadronischer Materie stattfand. Diese Bedingungen werden beim ALICE Experiment am CERN-LHC zur Zeit hergestellt und analysiert.
Die enormen baryonischen Dichten, wie sie in Neutronensternen vorherrschen, können im CBM Experiment, das zur Zeit am zukünftigen Beschleunigerzentrum FAIR in Darmstadt aufgebaut wird, simuliert werden. In diesem Experiment kollidieren schwere Kerne bei Energien, die gerade so gewählt sind, dass sich die Kerne durchdringen und gegenseitig abbremsen. Dabei entstehen Regionen mit einem vielfachen der normalen Kerndichte.
In beiden Experimenten messen komplexe Detektoren die Vielzahl von Fragmenten und neu produzierten Teilchen, die in diesen Kollisionen erzeugt werden. Komplizierte Analysen erschließen daraus die Eigenschaften von Ur-Materie, die in diesen Kollision nur für wenige 10-23 Sekunden existiert.