Baden-Württemberg erzählt - Kulturwissenschaft und Sprachwissenschaft im Dialog
Gefördert von: | Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) |
Projektleitung: | apl. Prof. Dr. Hubert Klausmann |
Wiss. Projektmitarbeiterinnen: | |
Projektlaufzeit: | 05/2024 - 01/2025 |
Zwei weitere Folgen werden in Kürze noch veröffentlicht.
Die einzelnen Podcast-Folgen werden dann auf den gängigen Plattformen (Spotify, Apple Music, Amazon Music, Deezer) zur Verfügung gestellt.
Projektbeschreibung
Das vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg geförderte Projekt „DialektLand BW“ – Eine Zeitreise zum Strukturwandel im ländlichen Raum“ beleuchtet den umfassenden Wandel ländlicher Regionen aus sprach- und kulturwissenschaftlicher Perspektive.
Die Kulturwissenschaftlerin Valeska Flor und die Sprachwissenschaftlerin Julia Braun, Mitarbeiterinnen des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen, gehen in ihrem Podcast der Frage nach, wie sich der ländliche Raum Baden-Württembergs in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat und wie Sprache und Kultur in diesem Zusammenhang gelesen werden können. Im Mittelpunkt stehen historische Tonaufnahmen aus dem Arno-Ruoff-Archiv, die Erzählungen von Menschen aus ländlichen Regionen dokumentieren. Die Berichte geben Einblicke in frühere Lebens- und Arbeitswelten, die Herausforderungen und Chancen des Strukturwandels sowie die Entwicklung regionaler Dialekte.
In den verschiedenen Folgen kommen außerdem Expertinnen und Experten zu Wort, um Themen wie Flucht und Vertreibung, Migration, Vorurteile und Fragen von Identität im ländlichen Raum zu diskutieren.
Der Podcast „Baden-Württemberg erzählt“ bietet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Dynamiken sprachlicher und kultureller Veränderungen im ländlichen Raum Baden-Württembergs und gibt einen hörbaren Eindruck baden-württembergischer Sprach- und Kulturgeschichte der Vergangenheit.
Folge 1: Einführung
Im Mittelpunkt der Einführungsfolge steht eine historische Tonbandaufnahme einer 1899 geborenen Bäuerin aus Oberbergen. Davon ausgehend zeigen Valeska Flor und Julia Braun, wie man aus verschiedenen Perspektiven auf diese Aufnahme schauen kann. Kulturwissenschaftliches Interesse besteht hier beispielsweise an gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im Alltag, in der Arbeitswelt und der Mobilität im ländlichen Raum zeigen. Auf der anderen Seite dient die Aufnahme auch als Paradebeispiel für einen alemannischen Basisdialekt, der deutliche Spuren aus dem Mittelhochdeutschen aufweist.
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Speaker1: [00:00:10] Herzlich willkommen zu unserer ersten Folge von Baden-Württemberg erzählt, dem Podcast der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland des Ludwig-Uhland-Instituts hier in Tübingen. Mein Name ist Valeska Flor und ich arbeite hier als Kulturwissenschaftlerin. Bei mir sitzt meine Kollegin Julia Braun, die Sprachwissenschaftlerin in der Arbeitsstelle. Hallo Julia, schön, dass du da bist.
Speaker2: [00:00:30] Hallo Valeska, ich freue mich, dass wir heute über ganz grundsätzliche Themen sprechen, die im Podcast immer wieder auftauchen werden. Im Podcast geht es nämlich um den ländlichen Raum in Baden Württemberg und den schauen wir uns aus verschiedenen Perspektiven an du aus kulturwissenschaftlicher und ich aus sprachwissenschaftlicher Perspektive.
Speaker1: [00:00:50] Ganz genau. Und dabei wird es uns um ganz unterschiedliche Themen gehen, um Sprache und im Speziellen um Dialekt, um Stereotype, um Wandlungsprozesse in der Arbeit und Freizeit um Migration und Flucht, um Themen also, die unseren Alltag betreffen und auch, wie sie sich zu dem entwickelt haben, was sie heute sind bzw. wie sich unsere Ansichten auf die Themen entwickelt haben und weiterhin entwickeln. Besonders spannend finde ich dabei, wie sich diese Aspekte in einem ländlichen Kontext verorten lassen.
Speaker2: [00:01:22] Und damit das Ganze anschaulich bleibt, werden wir zum einen Gäste einladen, mit denen wir über diese Themen sprechen. Das wird ab der nächsten Folge dann der Fall sein. Und zum anderen werden wir Hörbeispiele aus unserem Arno-Ruoff-Archiv anhören. Arno Ruoff, das war ein Sprachwissenschaftler, der sich intensiv mit der Sprache und Kultur des ländlichen Raums beschäftigt hat. In unserem Archiv finden sich viele interessante Aufnahmen aus verschiedenen ländlichen Gegenden in Südwestdeutschland. Man hat damals sozusagen mit neuester Tontechnik untersucht, wie die gesprochene Sprache in Baden Württemberg funktioniert. Und die hat man dann eben auch aufgenommen. Das Ergebnis sind zahlreiche Tonbandaufnahmen, in denen Männer, Frauen und Kinder in ihrem jeweiligen Ortsdialekt aus ihrem Alltag erzählen. Diese Aufnahmen wurden ab den 1950er und 60er Jahren durchgeführt und enthalten mitunter Zeugnisse von Menschen, die noch im 19. Jahrhundert geboren sind. Wir werden gleich zusammen in so eine Aufnahme reinhören und dabei wird klar: Unsere Kultur hat sich seitdem verändert und auch unsere Sprache ist anders geworden.
Speaker1: [00:02:33] Bevor wir zur Aufnahme kommen, möchte ich kurz etwas Grundlegendes über den ländlichen Raum sagen. Begriffe wie ländlicher Raum oder Ländlichkeit sind in den letzten Jahren wieder stärker in den Blick der Forschung geraten. Und das ist egal in welcher Disziplin. Sie stehen, oft für ein Alltagsverständnis, des einerseits nostalgisch geprägt ist, ein Leben im Einklang mit der Natur, fern von städtischer Hektik und andererseits von Erzählungen über schlechten ÖPNV, schlechter Versorgung, generell weiter Wege. Doch diese Imaginationen, wie wir sie in der Forschung Kulturwissenschaft nennen, sind nicht immer deckungsgleich mit der Realität.
Speaker2: [00:03:09] Das klingt spannend. Meinst du dann damit, dass der ländliche Raum irgendwie sowas in unseren Köpfen ist? So eine Art Konstrukt?
Speaker1: [00:03:17] Ja, genau. Diese Bilder sind historisch geprägt und darüber hinaus von einem urbanen Blick beeinflusst. Sie romantisieren oft den ländlichen Lebensstil, während die Herausforderungen wie Landflucht, fehlende Infrastruktur oder der Strukturwandel eher im Hintergrund bleiben oder eben als sehr negative Geschichten. Gleichzeitig beobachten wir, wie der ländliche Raum durch Globalisierungsprozesse und Mobilitäten beeinflusst wird. Wichtig ist zu sagen, dass eben Stadt-Land nicht ultimativ gegeneinanderstehen, sondern dass da auch die Grenzen fließend sind, aber dass es eben bestimmte Ideen über diese Räume gibt.
Speaker2: [00:03:57] Ja, dann würde ich sagen, lass uns doch gleich mal in so eine Aufnahme reinhören, wo wir auch Beispiele für diese Veränderungsprozesse entdecken. Die Aufnahme, die wir ausgesucht haben, die stammt von einer 70-jährigen Bäuerin und Winzerin, die im Jahr 1899 geboren ist. Sie kommt aus Oberbergen, einem heutigen Ortsteil von Vogtsburg im Kaiserstuhl. Und in der Aufnahme erinnert sie sich an ihre Jugend.
Speaker3: [00:04:28] Ja, und so, am Feierabend, in ihrer Jugend. Was hat man da gemacht? Ist man da reingefahren?
Speaker4: [00:04:33] Oh je, oh je, Oh je. Stadt.
Speaker3: [00:04:37] Das hat man das gar nicht gekannt.
Speaker4: [00:04:39] Ja man hat ja keine Autos gehabt. Kein Radio, kein Fernsehen, nicht. Stricken haben wir als müssen bis nachts um zehn. Früher haben wir alles selber gestrickt. Ich bin in einer Stelle gewesen. Ich habe als zu Nacht im Bett Strümpfe gestrickt. Für mich, finster, was ich grad gut hab können stricken. Und keinen und keinen freien Tag. Am Sonntag haben wir müssen hinsitzen und unser Sach flicken, die Dienstboten. Jetzt gibt es ja keine Dienstboten mehr, nicht. Gibt keine Magd und keinen Knecht mehr. Und das hat es früher halt gegeben. Oje, jetzt haben es die Leute schön, die Jungen gegen uns.
Speaker1: [00:05:29] Zwischen der Jugendzeit der gerade gehörten Bäuerin Anfang des 20. Jahrhunderts und dem Zeitpunkt des Interviews liegen knapp 60 Jahre. In diesem Zeitraum veränderte sich die ländliche Lebenswelt tiefgreifend. Nicht nur die landwirtschaftliche Arbeit wandelte sich grundlegend. Mit den technischen Entwicklungen und infrastrukturellen Neuerungen dieser Zeit ging ein umfassender kultureller Wandel einher, der das Alltagsleben der Menschen im ländlichen Raum nachhaltig prägte. Die Stimmen aus dem Archiv erzählen von diesem Wandel. Die Befragten beschreiben persönliche Erlebnisse, kleine alltägliche Begebenheiten, die stark subjektiv geprägt sind. Der individuelle Alltag zeigt sich dabei als eng verwoben mit den großen Umbrüchen der Zeit.
Speaker2: [00:06:13] Dann lass uns doch gerne da noch mal einen gemeinsamen Blick auf diesen Wandel werfen. Du aus kulturwissenschaftlicher und ich aus sprachwissenschaftlicher Sicht.
Speaker1: [00:06:22] Okay, ich als Kulturwissenschaftlerin wird da direkt mal mit der Erzählung an sich anfangen. Wenn wir uns eben diese Erzählung der Bäuerinnen anhören, erkennen wir, wie stark sich der Alltag im ländlichen Raum innerhalb weniger Jahrzehnte verändert hat. Ihre Erinnerungen spiegeln eine Zeit wider, in der harte körperliche Arbeit und Selbstversorgung den Tagesablauf bestimmten. Das Stricken und Flicken von Kleidung, wie sie es beschreibt, war nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch Ausdruck einer Lebensweise, die von Autarkie und Handarbeit geprägt war. Was besonders auffällt, ist das Verschwinden von Dienstboten. Mägde und Knechte, die früher einen festen Platz in den sozialen Strukturen hatten. Das zeigt, wie sich Arbeitsverhältnisse und soziale Hierarchien durch Industrialisierung und Modernisierung auflösen. Heute sind solche Arbeitsmodelle fast völlig verschwunden. Interessant ist auch die Distanz, die sie zur Stadt beschreibt. Das Oh je, oh je zeigt, wie stark das Landleben und das Stadtleben als getrennte Welten erfahren wurden. Zumindest von einer spezifischen Gruppe, die eben ländlich lebte. Diese Trennung hat durch die Mobilität und moderne Technik wie das Auto oder auch die Massenmedien stark verändert. Was mich an Ihrer Erzählung besonders interessiert, ist, wie sie den Wandel bewertet und reflektiert. Sie zieht einen Vergleich zwischen ihrer Jugend und der Gegenwart und sieht in den heutigen Möglichkeiten eine Art Erleichterung. Zumindest wirkt das so oder würde ich als Kulturwissenschaftlerin in der Form interpretieren. Eine Perspektive, die uns daran erinnert, dass kultureller Wandel immer auch individuelle Geschichten und Emotionen mit sich bringt. Diese Stimmen aus dem Archiv geben uns nicht nur Einblicke in eine vergangene Zeit, sondern lassen uns auch verstehen, wie sich unser heutiges Verständnis von Arbeit, Gemeinschaft und Identität entwickelt hat.
Speaker2: [00:08:23] Wow. Okay, also da habe ich tatsächlich gar nicht so richtig drauf geachtet, weil ich so eine ganz andere Perspektive darauf habe. Also es ist vielleicht auch ein Problem, wenn man als Sprachwissenschaftlerin arbeitet, dass man dann oft darauf hört, wie was ausgesprochen wird, welche Grammatik verwendet wird und es gar nicht so sehr um den Inhalt manchmal geht. Also ich war jetzt eher damit beschäftigt, den Dialekt zu verorten, den man da gehört hat. Und man erkennt da auch ganz gut an einigen Punkten, dass es sich um einen alemannischen Dialekt handelt. Und genau, ich wollte auch gleich noch was zu den Dienstboten sagen, aber lass mich mal ganz kurz ausholen, wenn es um die Dialekte geht. Was viele Menschen nämlich gar nicht wissen, ist, dass die Dialekte, die wir in Baden-Württemberg kennen, keine schlechten Formen des Deutschen sind. Die Dialekte sind schon viel älter als die Standardsprache. Genau genommen kommen die Dialekte nämlich aus dem Mittelhochdeutschen, also die Sprache, in der auch das Nibelungenlied zum Beispiel geschrieben ist. Und beim alemannischen Dialekt kann man das ganz gut daran erkennen, dass viele mittelhochdeutschen Laute sich gar nicht verändert haben. Zum Beispiel wurde das Wort für Haus im Mittelhochdeutschen mit einem langen u ausgesprochen, und so ist es auch heute im Alemannischen noch. Da sagt man nämlich auch Huus. Und so einen langen Vokal finden wir auch im Pendant für gewesen. Im Alemannischen sagt man hier nämlich gsi, also mit einem langen i. Und das gab es auch schon im Mittelhochdeutschen, da hieß das Wort im Ganzen nur ein bisschen anders. Da war das Gesin aber auch mit diesem langen n, was sich eben bis heute erhalten hat. Und auch in der Art und Weise, wie die Bäuerin das Wort Dienstbote ausspricht, kann man erkennen, dass der Dialekt aus dem Mittelhochdeutschen kommt. Wir hören da gerade noch mal rein.
Speaker4: [00:10:15] Dienstboten. Jetzt gibt es ja keine Dienstboten mehr, nicht.
Speaker2: [00:10:20] Spannend ist hier: Sie sagt nicht Dienstbote mit einem langen i, sondern Dienstbote. Also i+e, diese zwei Laute, das nennt man auch einen Diphthong. Und genau so hätte das auch ein Mensch aus dem Mittelalter ausgesprochen. Da waren nämlich nicht so ein. Also das e war da kein Dehnungszeichen, wie es heute bei uns, sondern diese zwei Laute wurden getrennt voneinander ausgesprochen, so wie sie es in der Aufnahme eben jetzt auch noch tut. Und in den Dialekten haben sich eben solche alten Formen bis heute bewahrt.
Speaker1: [00:10:54] Okay, das ist wirklich faszinierend, wie sich diese Sprachform in den Dialekten bis heute erhalten haben, vor allen Dingen relativ neu, auch für mich. Und genau solche sprachlichen Eigenheiten machen die Erzählungen aus dem Archiv nicht nur historisch interessant oder sprachwissenschaftlich interessant, sondern sie zeigen uns auch, wie tief die Sprache in unserer Lebenswelt und Kultur verknüpft ist. Ich freue mich darauf, in den nächsten Episoden mehr zu erfahren und mit dir zu besprechen. Aber für heute lassen wir es erst einmal dabei. Ich hoffe, unsere Zuhörerinnen haben einen guten ersten Eindruck vom Thema bekommen. Wenn ihr Fragen habt oder mehr über bestimmte Aspekte wissen wollt, schreibt uns gerne. Wir sind gespannt auf euer Feedback.
Speaker2: [00:11:32] Ja, danke, dass ihr heute mit uns in diese spannende Thematik eingetaucht seid. Wir freuen uns auf die nächste Folge und wir werden euch der Podcast gefallen hat. Dann lasst uns doch eine Bewertung da und erzählt natürlich auch allen anderen davon, die an der Verbindung von Sprache und Kultur interessiert sind. Wir freuen uns auf die nächsten Episoden und darauf, mit euch auf dieser Entdeckungsreise zu bleiben. Bis bald.
Folge 2: Flucht und Vertreibung
Wie beforscht man eigentlich historische Tonbandaufnahmen? Und was ist heute faszinierend an den Stimmen des Tübinger Arno-Ruoff-Archivs? Zu Gast im Studio ist Magret Findeisen, die über ihre Dissertation berichtet. Sie beschäftigt sich mit Tonbandaufnahmen aus dem Archiv, die in den 1950er Jahren mit sogenannten “Heimatvertriebenen” angefertigt wurden. Im Gespräch gehen wir der Frage nach, welche Perspektiven Kulturwissenschaft heute auf dieses historische Material hat. Margret Findeisen berichtet über ihre Gespräche mit Nachfahren der Personen, die vor über 70 Jahren in das Tonbandgerät der Tübinger Sprachforscher gesprochen haben. Dabei wird nicht zuletzt deutlich, wie Migration den deutschen Südwesten schon immer geprägt hat und welche Spuren diese beispiellose Umsiedlungsaktion bis in die Gegenwart hinterlassen hat.
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Speaker1: [00:00:15] Willkommen bei Baden-Württemberg erzählt: Kulturwissenschaft und Sprachwissenschaft im Dialog, dem Podcast mit Wissenswertem rund um Dialekt, Alltag und Wandel in Baden Württemberg. Heute widmen wir uns einem Thema, das Wissenschaft, Geschichte und persönliche Erinnerung verbindet. Ich bin Valeska.
Speaker2: [00:00:33] Und ich bin Julia. Gemeinsam mit unserer heutigen Gästin Margret Findeisen werfen wir einen detaillierten Blick auf ein Stück Vergangenheit. Es geht um historische Tonbandaufnahmen und um die spannenden Geschichten, die sie uns heute erzählen können. Und damit wir gut reinkommen, hören wir uns jetzt gleich mal ein Tonbeispiel an.
Speaker3: [00:00:57] Ja, wir hatten bei Ihnen daheim. Das war ja anders als hier.
Speaker4: [00:01:00] Oh ha ja. Gell da war's wärmer. Schöner, gell. Wärmer war es bei uns. Warm nicht so kalt, wie es da draußen war. Da hat man jetzt um so ne Zeit äh- hat man noch nicht brauchen groß schüren bei uns. Es ist warm, stark warm ist bei uns gewesen. Ja, so warm war es alleweil. Da hat man nicht keine Strümpfe brauchen den ganzen Sommer anziehen oder ein Kittel anziehen, so wie da. Da muss man alleweil angezogen sein warm, sonst verkältet man sich. Bei uns war es stark warm.
Speaker1: [00:01:35] Margret, du bist Rhetorikerin, empirische Kulturwissenschaftlerin und Doktorandin am Ludwig Uhland Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Du beschäftigst dich in deiner Forschung mit Tonbandaufnahmen, mit sogenannten Heimatvertriebenen, die Mitte der 50er Jahre im deutschen Südwesten aufgezeichnet wurden. Kannst du uns kurz ein paar einleitende Worte zu deiner Forschung erzählen?
Speaker5: [00:01:58] Erst mal vielen Dank für die Einladung und dass ich hier sein darf. Ihr beiden habt in der letzten Folge ja schon ein bisschen was über das Arno-Ruoff-Archiv erzählt. Insgesamt umfasst dieses Archiv ja über 2000 Tonbandaufnahmen aus fast 70 Jahren. Das sind insgesamt 800 Stunden gesprochene Sprache. Die Besonderheit von diesem Archiv ist, dass es Tondokumente beinhaltet. Das ist deswegen interessant, weil die Dialektforschung ja lange Zeit eigentlich ausschließlich schriftlich durchgeführt wurde. Also Befunde wurden in Lautschriften transkribiert oder noch früher, so Ende des 19. Jahrhunderts, hat man sogar Fragebögen verschickt, meist an Lehrer oder Pfarrer, und hat dann eben darum gebeten, dass diese dann den örtlichen Dialekt aufschreiben und diese Beispielsätze quasi übersetzen. Mit den technischen Möglichkeiten gab es dann das erste Mal die Chance, diese regionalen Sprachvarietäten auch tatsächlich im Gesprochenen aufzunehmen. Also das heißt, die Technik spielt da so ein bisschen mit rein und hat die Forschung dynamisiert und hat eben ganz neue Zugänge ermöglicht. Und von diesen rund 2000 Aufnahmen gibt es eben einen Teilkorpus die sogenannten Heimatvertriebenen-Aufnahmen. Die stammen alle aus dem Jahr 1955 und stehen im Zentrum meiner Dissertation. Und eine dieser Aufnahmen haben wir gerade als Einleitung gehört. Aufgenommen wurde mit den Heimatvertriebenen. So war die Selbstbezeichnung wir sagen vertriebenen Menschen, die im Zuge der mannigfaltigen Umwälzungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen waren, ihre einzige Heimat im Osten bzw Südosten Europas zu verlassen und im deutschen Südwesten angesiedelt wurden.
Speaker5: [00:03:46] Für Baden-Württemberg besonders im Fokus steht die Volksgruppe der sogenannten Donauschwaben, deshalb vielleicht auch der eine oder die andere schon mal gehört. Das ist eine Bevölkerungsgruppe, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert die Heimat im Südwestdeutschland verlassen hat, um dann fruchtbares Land im Südosten Europas zu bewirtschaften. Der Begriff Schwaben in den Donauschwaben ist vielleicht ein bisschen irreführend, weil es nicht nur Leute aus dem Schwäbischen waren oder aus Bayerisch-Schwaben, sondern es war eigentlich auch so ein bisschen eine Sammelbezeichnung für all jene, die donauabwärts in Hoffnung auf ein besseres Leben ein Stück weit sich aufgemacht haben. Vielleicht kennt der eine oder die andere diese berühmten Ulmer Schachteln, diese Boote mit denen die dann die Donau abwärts gefahren sind.
Speaker1: [00:04:33] Also hat sich nicht nur die Gesellschaft in der Region verändert, sondern auch das Archiv, das der Fokus ist breiter geworden sozusagen. Genau. Das war tatsächlich was relativ Besonderes, dass diese zwangsweise Rückgesiedelten auch ins Arno-Ruoff-Archiv aufgenommen wurden, also aufgenommen im doppelten Wortsinn. Das heißt, diese beispiellose Migrationsbewegung Mitte des letzten Jahrhunderts schlägt sich auch in unserem Archivbestand nieder. Man hat sie 1955 in gleichem Proporz gegenüber den Einheimischen berücksichtigt. Jetzt muss man aber sagen: Trotz dieser gleichwertigen Berücksichtigung bei der Sammlung der Forschungsdaten ist die Auswertung dieser Daten ganz lange prekär gewesen. Das hat auch was mit dem gesamtgesellschaftlichen und vor allem dem wissenschaftlichen Umgang mit diesem Thema Flucht und Vertreibung zu tun. Wenn man zurückdenkt, die 50er, das waren die Wirtschaftswunderjahre. Die Zeichen standen auf Aufbruch, auf wirtschaftlichem Aufschwung. Alexander und Margarete Mitscherlich sprechen von der libidinösen Energie, die diese Wirtschaftskraft freigesetzt hat.
Speaker5: [00:05:44] Das heißt, das Ganze war so ein bisschen unter ferner liefen und hat dann sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch in der Wissenschaft lange niemand interessiert. Es gibt auch vereinzelt die Rede vom Tabu dieses Themas. Auch das ist so ein bisschen in seiner Pauschalisierung umstritten. Der Historiker Matthias Behr spricht eher von einem angeblichen Tabu. Also wir sind da vielleicht ein bisschen vorsichtiger. Fest steht aber auf jeden Fall, dass diese Vertriebenen-Aufnahmen in dem Arno-Ruoff-Archiv tatsächlich fast über 70 Jahre ungehört waren. Das war so ein bisschen die Ausgangslage für mein Dissertationsprojekt. Also ich hatte eben diese Aufnahmen, die sich niemand angehört hatte, davor oder nur in Teilen angehört hatte und hatte dann mir überlegt, welche Fragen wir als Kulturwissenschaftlerinnen heute an das Material von gestern haben könnten.
Speaker1: [00:06:38] Bevor wir mit der Beantwortung dieser Frage beginnen, würde ich gerne noch ein bisschen was mehr über die Grundlagen hören. Was sind das für Aufnahmen, die du für deine Arbeit beforscht hast? Ja, dazu vielleicht ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte, wie diese Heimatvertriebenen-Aufnahmen überhaupt entstanden sind. Es gab Mitte der 50er Jahre ein deutschlandweites Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das hatte zum Ziel, alle Dialekte im damals ja noch sehr jungen Nachkriegsdeutschland systematisch zu erforschen. Also salopp gesagt, man wollte wissen: Wie spricht Deutschland und wie sprechen die Menschen in Deutschland? Dazu ist man relativ pragmatisch vorgegangen und hat einfach die Deutschlandkarte genommen und hat da so ein Gitternetz drübergelegt. Immer mit so ähm, quasi Quadraten, die dann entstanden sind durch dieses Gitternetz mit 16 Kilometer Seitenlänge ungefähr. Und man hat dann immer in jedem dieser Quadrate einen Erhebungsort ausgesucht, der repräsentativ sein sollte für diese Gegend.
Speaker1: [00:07:37] Jetzt kann man sich so ungefähr ausrechnen 16 Kilometer Länge pro Quadrat, das sind über 1000 Aufnahmeorte im ganzen Bundesgebiet. Das heißt, es konnte natürlich nicht von einem forschenden Team allein bewerkstelligt werden, sondern das haben sich verschiedenen Landesuniversitäten untereinander aufgeteilt und haben diese Sprachdatenerhebung quasi für sich so ein bisschen segmentiert. Und für Württemberg haben das damals Arno Ruoff und Hermann Bausinger gemacht. Beides keine Unbekannten in Tübingen. Arno Ruoff haben Julia und Valeska letztes Mal schon ein bisschen vorgestellt. Ein Tübinger Sprachwissenschaftler, nach dem auch unser Archiv benannt ist. Und natürlich Hermann Bausinger, Galionsfigur der Volkskunde, empirischen Kulturwissenschaft, auch weit über Tübingen hinaus, der 2021 verstorben ist. Und diese beiden Arno Ruoff und Hermann Bausinger fuhren also über die Lande und haben mit damals revolutionärer Aufnahmetechnik Erzählungen gesammelt und wollten quasi Leute dazu bringen, in ihrem Dialekt und in ihrer Mundart zu sprechen. Jetzt ist es vielleicht für uns heute so ein bisschen schwer vorstellbar, wie das damals technisch funktioniert hat, wo wir einfach unser kleines Diktiergerät haben oder einfach nur noch das Handy auf den Tisch legen und auf Aufnahme drücken. Damals war das natürlich ein immenser Aufwand. Es gab extra so einen roten VW-Bus vom Rundfunk, damals mit einem eigenen Toningenieur. Die haben dann meistens in den Rathäusern oder in den Schulhäusern der jeweiligen Aufnahmeorte wie so ein Mini Tonstudio eingerichtet und Kabel verlegt in diesen roten VW-Bus. Also das war tatsächlich ein enormer Aufwand, der damals betrieben wurde. Und die Besonderheit, ich habe es eben schon gesagt, es wurden eben bei dieser Erhebung von 1955 Vertriebene im gleichen Proporz berücksichtigt wie die Einheimischen.
Speaker2: [00:09:28] Margret, vielleicht kannst du uns noch mal erzählen, warum wurden denn gerade Vertriebene in den Archivkorpus aufgenommen? Und was ist vielleicht auch das Besondere an diesen Heimatvertriebenen-Aufnahmen?
Speaker5: [00:09:40] Ich glaube, zum einen zeigt diese gleichwertige Berücksichtigung die Brisanz, die das Thema damals hatte. Eine Zeitschrift hat Anfang der 50er Jahre getitelt Zitat Deutschlands Problem Nummer eins 12 Millionen Vertriebene. Allein in Württemberg hat ungefähr 15 % der Bevölkerung haben diese Vertriebenen ausgemacht, in anderen Landesteilen waren es weit mehr. Das heißt, es war also da schon ziemlich, ja ziemlich Musik drin, vielleicht lapidar gesagt in diesem Thema. Und man wollte eben dieses Thema dann auch wissenschaftlich abbilden. Der, sage ich mal so ein bisschen hehre Plan war damals noch, sogenannte Ausgleichsvorgänge zwischen den Sprachen zu dokumentieren. Also vereinfacht gesagt hat man sich überlegt, wenn jetzt, da diese Donauschwaben kommen, die vorher im südlichen Ungarn gelebt haben, sprechen dann auf einmal in einem schwäbischen Dorf alle wie die Donauschwaben oder wer nimmt welche Sprache an? Das war so ein bisschen die Idee dahinter. Das ist deswegen interessant, weil es in der Dialektforschung lange Zeit das Diktum des sogenannten NORM gab. NORM ist ein Akronym, also N O R M. Und vielleicht Julia, kannst du als Linguistikexpertin uns ein bisschen erklären, was denn hinter diesem NORM steckt?
Speaker2: [00:11:01] Ja, genau. Also NORM kommt aus dem Englischen und steht für non mobile oder rural males. Also in der traditionellen Dialektforschung wurden häufig alte, nicht mobile Männer aus ländlichen Gegenden befragt. Und diese sogenannten Gewährspersonen, später dann auch Frauen, wurden sozusagen als Stellvertreter für einen bestimmten Ortsdialekt dann angesehen. Man nennt das auch Basisdialekt, also ein Dialekt, der von der Standardsprache weit entfernt ist und eine geringe kommunikative Weite hat. Es ist vielleicht auch aber problematisch, irgendwie die Sprechergruppe so zu homogenisieren. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht gibt es da vielleicht auch Einwände. Ja.
Speaker1: [00:11:48] Genau. Also dieses Thema Vertriebenen-Linguistik hat ja dann auch relativ bald gezeigt, dass dieser Non Mobile Sprechertypus, der sein ganzes Leben lang an einem Ort gewohnt hat, der möglichst über Generationen hinweg diesen Ort nicht verlassen hat, dass dieses Konzept so nicht mehr tragfähig war in Zeiten mannigfaltiger Migrationsbewegungen. Für mich ist es deswegen besonders spannend, weil ich ja als Kulturwissenschaftlerin auf die sprachwissenschaftliche Arbeit von damals schaue. Dabei fallen mir natürlich ein paar Dinge auf, die teilweise fachspezifisch sind, für die Linguistik aber natürlich auch einfach im Geiste ihrer Zeit gelesen werden müssen. Interessant ist zum Ersten, dass bei den Befragungen selbst ganz wenig Wert auf eine inhaltliche Systematik gelegt wird. Also man wollte, salopp gesagt, damals einfach diese Gewährspersonen, Julia hat es gerade schon gesagt, so wurden die genannt, einfach irgendwie zum Reden bringen. Worüber die dann geredet haben, war eigentlich vollkommen egal. Es gab so ein bisschen Erfahrungswerte, worüber die Vertriebenen gut und gerne erzählen. Das waren meistens Feste und Bräuche aus der alten Heimat. Es war die Landwirtschaft in der einstigen Heimat, die meist riesigen Ländereien, die bestellt wurden. Der Anbau von Mais Kukuruz haben die Donauschwaben dazu gesagt. Oder die Arbeit im Weingarten. Also das heißt, die einzige Begrenzung für diese Sprachaufnahmen war tatsächlich die Bandlänge. Die Bänder waren damals wahnsinnig teuer, die Technik war hochmodern für die damalige Zeit, aber es war vollkommen egal inhaltlich, was die gesagt haben. Ich finde es außerdem auch wichtig, immer diese Konstruiertheit des Aufnahmesettings mit im Kopf zu haben. Man stelle sich vor, diese Vertriebenen haben sich meistens nicht freiwillig zu diesen Aufnahmen gemeldet.
Speaker5: [00:13:37] Was nicht heißt, dass es irgendwie alle ganz schrecklich fanden, aber meistens geschah das über so Gatekeeper, würde man heute sagen. Also so lokale Autoritätsperson, das war meistens der Bürgermeister oder der Pfarrer. Die wurden im Vorfeld angeschrieben und man hat sie gefragt: Habt ihr nicht, wie die Julia schon so ein bisschen gesagt hat, den Prototyp des Sprechers also. Wer repräsentiert diesen Dialekt am besten? Und dann ist es natürlich auch ein bisschen die Frage, wenn man weiß, da kommt jetzt jemand von der Universität und der will hören, wie man denn daheim so spricht. Wie natürlich ist dann dieses Sprechverhalten und wie frei ist vielleicht auch das Sprechverhalten, wenn ich weiß, der Herr Pfarrer hat mich jetzt hier ausgewählt und ich soll jetzt was sagen. Also das finde ich auch immer wichtig mit zu berücksichtigen. Für uns als Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen ist dieses Vorgehen natürlich heutzutage total sonderbar, nicht nur aus forschungsethischen Gründen, sondern auch aus methodischen Gründen. Gerade dieser Umstand, dass man die Leute einfach irgendwas fragt, Hauptsache die erzählen dann irgendwas und Hauptsache, die sprechen irgendwas. Da würden wir in der Sozial- oder Kulturwissenschaft natürlich heute uns genau überlegen wie sieht so ein Fragebogen aus, worauf zielen die Fragen ab? Man würde vielleicht Testläufe machen, man würde das Ganze nachjustieren. Also das ist ja gemeinhin, dass wir unsere Datenerhebung in der Kulturwissenschaft funktioniert. Vielleicht. Julia, kannst du im Vergleich, das finde ich immer ganz spannend nochmal erzählen, wie eigentlich die Datengewinnung in der Linguistik funktioniert. Also wie geht es eigentlich? Wie sammelt man Dialekt, wie geht man da vor?
Speaker2: [00:15:14] Also klar, die Linguistik an sich ist jetzt viel größer und es gibt ganz unterschiedliche Methoden, je nachdem, welche sprachliche Ebene man sich anschauen möchte. In der Dialektforschung geht es aber hauptsächlich um die Aussprache. Also man ist da hauptsächlich in der Phonetik unterwegs und und möchte irgendwie Sprachgrenzen identifizieren. Und das ist auch das, was ich in der letzten Aufnahme mit Valeska gemeint habe, wenn ich gesagt habe, ich höre manchmal gar nicht so richtig auf den Inhalt, wenn irgendjemand spricht, sondern ich bin dabei, auf die Grammatik und die Aussprache zu achten. Und deshalb ist es halt auch aus linguistischer Sicht egal, was die Leute dann reden. Man will sie halt einfach zum Reden bringen, weil man halt an der Aussprache, an den Lauten interessiert ist. Und das braucht man auch. Man braucht auch eine große Datenmenge, egal mit was gefüllt, also egal mit welchen Inhalten. Wenn man zum Beispiel Sprachatlanten machen will, wo man dann auch rausfinden will, welche Sprachgrenzen es vielleicht gibt. Und genau das wäre sozusagen Datengewinnung aus der Linguistik. Also dann ist der Inhalt tatsächlich nicht so wichtig.
Speaker1: [00:16:19] Nachdem wir jetzt schon einiges über die technischen und methodischen Hintergründe der Aufnahmen erhalten haben und Julia eben noch ergänzt hat, wie unterschiedlich auch Fachverständnisse methodisch sein können, wollen wir uns nun den Menschen hinter den Stimmen widmen. Was erzählen Sie uns über ihre Erlebnisse, ihre verlorene Heimat und ihre neuen Anfänge? Margret, hast du ein Beispiel, das uns einen Einblick gibt?
Speaker5: [00:16:47] Ja, ich habe einen kurzen Einspieler mitgebracht von einem jungen Mann, der zum Aufnahmezeitpunkt ungefähr Mitte 20 ist. Ursprünglich stammt er aus einem kleinen Dorf, heute im südlichen Ungarn gelegen, und kam Mitte der 50er Jahre in einen kleinen Ort in der Nähe von Tübingen und erzählt in der Aufnahme so ein bisschen über seinen Alltag.
Speaker6: [00:17:12] Weil man da keine Möglichkeit hat, für einen größeren Arbeitsraum zu bekommen, haben wir uns entschlossen, umzusiedeln. Da sind wir hergekommen, nach Kreis Tüb also. Gemeldet haben wir uns nach Kreis Tübingen. Da waren wir, sind wir nach Bad Niedernau ins Lager und noch von Niedernau hierher auf Hirrlingen. Und dann haben wir da wieder angefangen zu schaffen und haben uns wieder eine ganz schöne Existenz gegründet. Wir haben mal ein ganzes Jahr, haben wir allein geschafft mit unseren alten Maschinen. Noch haben wir schon so viel Geld wieder beieinander gehabt, dass man uns mal eine größere Maschine haben kaufen können. Und dann haben wir angefangen im Lohn, grösstenteils im Lohn schaffen. Und so haben wir uns wieder unsere Existenz aufgebaut und wir haben uns auch. Also ich wenigstens habe mich ziemlich gut eingelebt hier. Ich habe mich noch gleich angeschlossen, Kameraden und ich fühl mich jetzt fast wie daheim. Es ist wohl. Ich meine, mir wäre schon lieber daheim, aber es ist halt mal die Zeit so und da kann man nichts machen. Jetzt bleiben wir halt mal da und schauen weiter. Dann wird man wieder sehen.
Speaker5: [00:18:33] Was haben wir hier jetzt gehört? Kannst du uns das genauer erläutern? Was ist das Spezifische an dieser Aufnahme?
Speaker1: [00:18:40] Ja, die Aufnahme ist insofern vielleicht prototypisch, als dass sie ganz klassisch diese Schilderungen des Innenlebens in den Anfangsjahren enthält. Also es geht auch oft um prekäre Bedingungen um Ortswechsel, um verschiedene Arbeitsstätten, um verschiedene Tätigkeiten, die ausgeübt wurden, aber eben auch so ein bisschen anklingen. Vielleicht dieses Aufstiegsversprechen, dass man zwar von Null anfängt, aber trotzdem das Leben irgendwie weitergeht. Also in vielen dieser Aufnahmen ist so ein bisschen der Dreiklang aus Schilderungen der alten Heimat natürlich vielleicht auch ein Stück weit Glorifizierung der alten Heimat. Dann diese Zeit der Umsiedlung, die bei vielen ja auch sehr lange gedauert hat, mit Lageraufenthalten und verschiedenen Stationen. Und dann eben das Ankommen und Einleben in in der Aufnahmegesellschaft, die ja, wie wir aus vielen Erzählungen wissen, einfach auch nicht immer wohlgesonnen waren, die denjenigen, die da gekommen sind und die mitunter in deren Haus einziehen mussten. Interessant ist an der Schilderung vielleicht auch, dass es so ein bisschen ein Stück weit so einen rebellischen Geist zeigt, den Ruoff und Bausinger bei ihren Forschungen damals an den Tag gelegt haben. Denn es gab für dieses gesamtdeutsche Forschungsprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft verschiedene Richtlinien, wie diese Aufnahmen durchzuführen seien, wie lang die sein sollten, wer befragt werden sollen, wie alt die Leute sein sollen und eben auch, welche Themen ausgespart werden sollten. Und das waren eben bei Vertriebenen das Thema Flucht und Vertreibung und bei Männern auch das Thema Militärzeit. Da hat eigentlich die Vorgabe vorgesehen, dass man das gar nicht abfragen sollte. Hintergrund war so ein bisschen, dass man vermutet hat, dass Leute dann bei derartigen Erzählungen in so eine Art, ja vielleicht könnte man sagen Bürokratiesprech verfallen oder einfach in so eine Sprache, die dem der Standardlautung, also dem Hochdeutschen, umgangssprachlich sehr nahe ist und dass das dann die Aufnahmen verfälschen könnte. Aber wie wir gehört haben, Arno Ruoff und Hermann Bausinger haben sich da nicht dran gehalten und auch eigentlich würde ich sogar sagen eher im Regelfall nach Flucht und Vertreibung gefragt, als das auszulassen, wie vorgesehen.
Speaker2: [00:20:52] Eine kleine Anmerkung vielleicht dazu an der Stelle. Du hast erzählt vom Einleben in die Aufnahmegesellschaft. Damit wären wir sozusagen auch bei dem linguistischen Thema, was du vorhin erwähnt hast, dass so die Ausgleichsprozesse für die Linguistik interessant waren. Und das war tatsächlich auch eine Frage, die ich mir gestellt habe beim Hören. Wenn ich jetzt diese Aufnahme mit anderen aus Hirrlingen vergleiche, dann gibt es da natürlich Unterschiede. Und das wäre zum Beispiel jetzt eine linguistische Fragestellung, wie jetzt sich die Dialekte der Vertriebenen anpassen, verändern, wie es vielleicht auch die Dialekte der Hirrlinger verändert, wenn da andere dazukommen. Als Kulturwissenschaftlerin hast du, Margret, ja einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Vielleicht können wir darüber mal noch sprechen.
Speaker1: [00:21:37] Genau, Margret. Bisher haben wir ja vor allen Dingen direkt über die historischen Aufnahmen gehört. Also sprich, wer hat gesprochen, wer hat mit wem gesprochen? Aber du bist in deiner Forschung ja nicht nur in der Vergangenheit geblieben oder vor allen Dingen nicht in der Vergangenheit geblieben, sondern hast auch mit Nachfahren der Personen gesprochen, deren Originalstimmen wir eben hören. Kannst du uns ein bisschen erzählen, wie du überhaupt dazu gekommen bist und wie sich das Ganze abgespielt hat?
Speaker1: [00:22:08] Ja, sehr gerne. Ich habe ganz am Anfang, als ich diese Aufnahmen dann allesamt abgehört hatte und transkribiert hatte, festgestellt, dass das finde ich, so einen ganz interessanten Widerspruch gibt in der Gegenwart. Auf der einen Seite ist, glaube ich, dieses Thema Flucht und Vertreibung für all diejenigen, die nicht im Familienkreis direkt betroffen sind, fast aus der Wahrnehmung verschwunden. Auf der anderen Seite habe ich aber das Gefühl, dass es in den Familien, in denen es Flucht und Vertreibung gab oder bei den Nachfahren einstiger Vertriebener tatsächlich noch ein ziemlich brisantes Thema ist. Ich habe das festgestellt, auch in meinem eigenen Freundeskreis, dass ich auch da bei den allermeisten meisten weiß, ob die Großeltern Heimatvertriebene sind. Was ich ganz interessant finde, weil ich kenne natürlich diese Großeltern nicht. Ich kenne auch die meisten Eltern nicht, aber trotzdem hatte ich so die Beobachtung. Das ist irgendwie in so Familienerzählungen noch ein Thema, auch in meiner Generation. Ich bin selber Jahrgang 89 und das fand ich eben ganz spannend, noch mal zu gucken, wo sind diese Spuren von Flucht und Vertreibung auch in der Gegenwart? Zum einen ist es natürlich auch deswegen interessant, weil erinnerungskulturell gerade so ein relativ großer Umbruch stattfindet. Die Zeitzeugengeneration ist beinahe verstorben. Ich hatte aber das große Glück, dass ich tatsächlich zwei Damen interviewen konnte, die einst selbst als junge Frauen in dieses Tonband gesprochen haben und die mir dann unglaublicherweise 70 Jahre später gegenüber gesessen sind und noch mal ihre eigene Aufnahme angehört haben, was sehr bewegend war, wie ich fand.
Speaker1: [00:23:39] Und wie genau findest du diese Menschen, mit denen du sprichst? Also entweder die beiden Damen, von denen du gerade gesprochen hast, die du zufällig wiedergefunden hast, aber eben auch vor allen Dingen die Nachfahren. Ich stelle mir das schon ein bisschen kompliziert vor.
Speaker1: [00:23:53] Ja, in der Tat ist es wahrscheinlich fast ein Thema für eine eigene Folge. Diese Nachfahren-Recherche, die so ein bisschen auf meiner Miste gewachsen ist, ist, glaube ich, selbst für die Kulturwissenschaft jetzt kein richtig gängiger Weg ins Feld. Und am Anfang war das tatsächlich auch einfach nur der relativ naive Gedanke, dass ich das total interessant fände. Diese Archivaufnahmen, die bei uns so lange unbearbeitet lagen, so ein Stück weit auch zu den Menschen zurückzubringen, denen, die ja gehören oder deren Familienidentität ja vielleicht auch ein Stück weit mit ausmachen. Mir war dann relativ schnell klar, dass ich bei meiner Suche nach Nachfahren nicht auf Behörden oder öffentliche Stellen zurückgreifen können werde, einfach aus Gründen des Datenschutzes. Also man kann jetzt nicht vereinfacht gesagt beim Einwohnermeldeamt anrufen und sagen: Hat der Josef Tomaschek also fiktiver Name, natürlich hat er irgendwie Kinder. Und wo wohnen die? Und kann ich die Telefonnummer haben? Sondern es war klar, das geht nur über öffentlich einsehbare Daten, über Vor-Ort-Recherche über Mund zu Mund Propaganda. Und am Ende kann man, glaube ich fast sagen, dass zu jedem, zu jedem Interview gibt es fast so eine eigene kleine Geschichte, wie das Interview zustande gekommen ist. Meistens unter Mithilfe ganz vieler Akteurinnen vor Ort, die für mich recherchiert haben, die nachgefragt haben. Ich habe viele E-Mails geschrieben, viele Telefonate geführt, auf viele Anrufbeantworter gesprochen, bin oft zurückgerufen worden, oft auch nicht. Und am Ende würde ich sagen, hatte ich so grundsätzlich, so vielleicht von der Hälfte der gesuchten Personen gab es dann tatsächlich auch einen Treffer, weil ich einfach den damaligen, den damaligen Ortsnamen, wo diese Erhebung durchgeführt wurde, habe korrelieren lassen mit dem Nachnamen der einstigen Gewährsperson, die ich hatte.
Speaker1: [00:25:45] Und das hat in rund der Hälfte der Fälle auch dazu geführt, dass ich tatsächlich jemanden gefunden habe. Das soll aber nicht verschleiern, dass tatsächlich nur in einem Drittel der Fälle Leute auch tatsächlich bereit waren, mit mir zu sprechen. Das heißt, es gab auch eine nicht so kleine Gruppe von Leuten, die ich tatsächlich gefunden habe oder die für mich gefunden wurden, von Kontaktpersonen, die aber nicht gesprächsbereit waren. Ich finde dabei zwei Sachen wichtig: Zum einen, das nicht zu bewerten, warum Leute nicht darüber sprechen wollen. Das ist vielleicht für uns als Kulturwissenschaftlerin immer ein bisschen schwierig nachzuvollziehen. Die deformation professionell. Wir finden ja das alles wahnsinnig interessant. Und wenn jetzt an meiner Tür jemand klopfen würde und sagen würde: Ich habe deine Urgroßmutter aufgenommen, wie sie von der Umsiedlung aus Ungarn erzählt, dann wäre ich natürlich Feuer und Flamme. Aber ich glaube, das darf man auch einfach mal so stehen lassen, dass das nicht jeden interessieren muss und dass man das vor allem nicht bewertet. Und ich würde zweitens auch immer davor warnen, die Gründe dafür nur in diesem Thema Flucht und Vertreibung zu suchen. Ich glaube, wenn man jetzt eine Volkserhebung machen würde. Mit Einheimischen gäbe es wahrscheinlich ungefähr gleichen Prozentsatz an Leuten, die sagen das interessiert mich nicht und bleiben sie fort. Und ich finde, das steht auch jedem frei.
Speaker2: [00:26:55] Also die Nachfahren-Recherche hört sich an sich schon sehr schwierig an, aber würdest du sagen, das war die größte Herausforderung oder gab es noch andere Herausforderungen in deiner Arbeit?
Speaker1: [00:27:05] Ich glaube, darüber hinaus sind auf inhaltlicher Sicht wahrscheinlich vor allem ethische Fragen, also die Fragen: Wie gehen wir respektvoll mit den Stimmen der Menschen um, die damals aufgenommen wurden? Ich habe es ja vorhin schon gesagt, auch nicht immer so ganz freiwillig. Oft wurden die Leute auch ziemlich angeflunkert. Man hat denen zum Beispiel gesagt, man würde gar nicht aufnehmen und das Aufnahmegerät würde sich erst automatisch dann einschalten, wenn sie was Spannendes erzählen. Und paradoxerweise ist natürlich gerade das aufgenommen. Also da finde ich schon, dass man da sensibilisiert sein sollte und sich gut überlegen, in welchem Rahmen man das wie abspielt und weitergibt. Aber natürlich auch mit Blick auf die Nachfahren kann man sich, muss man sich fragen: Was ist zumutbar? Das sind ja oft auch sehr tragische Schilderungen, Schilderungen von Verstorbenen in Lagern, also auch einfach sehr emotionale Gespräche, sowohl damals aufgezeichnet als auch im Zuge meiner Forschung. Und ich glaube, da muss man sich schon sehr genau überlegen, welche Interviewpartnerinnen man mit welchen Aufnahmen konfrontiert.
Speaker1: [00:28:10] Und es gehört natürlich auch zur Reflexionsleistung dazu, die wir als Kulturwissenschaftlerinnen generell bei Projekten mitbedenken müssen und auch in die Arbeit mit einbringen müssen. Aber Margret, die Arbeit ist ja noch im Werden. Möchtest du hier aber vielleicht schon auf ein paar erste Teilergebnisse eingehen?
Speaker5: [00:28:30] Ja, vielleicht ein paar wirklich ganz holzschnittartige Insights. Ich war natürlich total gespannt, wie die Leute reagieren würden, wenn ich diese Tonaufnahmen von den Verwandten vorspiele und hatte ehrlich gesagt geglaubt, es gäbe von Anfang an so einen Moment des Wiedererkennens und wieder Hörens. Freude vielleicht oder so ein Moment von Intimität. Und tatsächlich war das in den allermeisten Fällen aber überhaupt nicht der Fall. Die Leute haben die Verwandten nicht wiedererkannt und haben sich mehrmals bei mir erkundigt, ob das auch wirklich ihre Mutter sei oder ob das wirklich der Opa sei. Und tatsächlich hat sich dann erst im Laufe des Anhörens durch die inhaltlichen Schilderungen die Person legitimieren können als diejenige, die sie ist. Und dieses Moment von Nähe hat sich. Was ich vermutet hatte, hat sich dann am Ende tatsächlich auch eher als Moment von Fremdheit herausgestellt. Besonders interessant war natürlich auch auf inhaltlicher Ebene, wenn eigene Erinnerungen an diese aufgenommene Person mit dem kollidiert sind, was auf der Tonbandaufnahme zu hören ist. Also ein bisschen Bruchstücke sind Fundstücke und das war insbesondere dann der Fall, wenn mir zum Beispiel die Großmutter geschildert wurde als brüchige Frau, die ihr Leben lang gelitten hat und die immer defensiv war und gar nicht gesprochen hat.
Speaker5: [00:29:52] Und auf dem Tonband war dann eine junge, dynamische Mutter, die an das Versprechen von Aufstieg durch Arbeit geglaubt hat und die witzige Anekdoten erzählt hat über die Lebensverhältnisse. Wie prekär die doch waren und dass jede Nacht das Bett runter gebrochen ist und sie versucht hat, so ein bisschen das Leid auch als Tragik darzustellen. Also das war, glaube ich, ein sehr großer Bruch mit dem, was meine Interviewpartnerinnen erwartet hatten. Dann vielleicht noch so als letzte inhaltliche Beobachtung war es natürlich interessant, welchen Stellenwert meine Interviewpartnerinnen im Vorfeld diesem Tonband zugeschrieben haben. Also in nicht wenigen Fällen gab es so die Annahme, es ist auf diesem Tonband jetzt das eine, die des Rätsels Lösung für das Familiengeheimnis konserviert, oder das würde irgendwie Klarheit bringen in ein Kapitel der Familie, das immer verborgen geblieben ist. Also es wurde diese Tonbandaufnahme auch im Vorfeld ein Stück weit sehr sozialisiert und so eine soziale Bindungsfunktion zugesprochen. Und natürlich, in den allermeisten Fällen wurde dieses erhoffte Versprechen nicht eingelöst. Und statt des Rätsels Lösung kam eher des Rätsels neues Rätsel hinzu. Und statt vielen Leerstellen, die dann erhellt wurden, kamen neue Leerstellen dazu.
Speaker2: [00:31:11] Ja, vielen Dank. Jetzt haben wir ganz schön viel gehört über die Interviews und wie die stattgefunden haben und was es für Hoffnungen und Erwartungen gab. Lass uns doch aber vielleicht noch mal den Blick auf unser Bundesland richten. Was würdest du denn sagen? Können wir aus deinem Projekt für Baden Württemberg, den ländlichen Raum und für vielleicht auch Transformationsprozesse lernen?
Speaker5: [00:31:33] Ja, ich glaube zum einen, dass es noch mal ganz deutlich zeigt, dass Migration in Baden Württemberg sehr stark geprägt hat und das nicht erst mit Gastarbeitern, sondern dass Bewegungen von Zuwanderung oder Abwanderung schon immer charakteristisch waren für dieses Bundesland. Hermann Bausinger hat immer auch die Rolle der Donau als Verkehrsader betont, was ja natürlich für die Donauschwaben auch wichtig ist, hat aber auch, das fand ich, so schön gesagt: Die Donau ist keine Einbahnstraße. Also Baden Württemberg war schon immer sehr geprägt von Zu und Abwanderung und ich glaube, dieses migrationsgeschichtliche Kapitel hat die Arbeit auch noch mal deutlich gemacht. Mit Blick auf meine Nachfahren-Recherche ich hatte es schon gesagt nicht so ganz üblich ist vielleicht oder kein ganz üblicher Weg ins Feld wurde glaube ich noch mal ganz deutlich, welche Netzwerke es an Orten gibt, gerade auch in kleinräumigeren Orten. Wie stark das Ehrenamt da zum Glück für mich noch immer ist. Also allein die Akteurinnen, mit denen ich Kontakt hatte, Geschichtsvereine, die Landfrauen, Ortsvorsteher auf irgendwelchen Websites irgendwelche Ansprechpartner. Das gibt ja meistens in den meisten kleinen Dörfern irgendwie so einen zuständigen Hans Dampf, der irgendwie in jedem Verein ist und der natürlich für mich Gold wert war. Als Mittler. Und ohne diese Person und ohne dieses ehrenamtliche Engagement in Gruppen und Vereinen wäre tatsächlich auch mein Feldzugang einfach nicht denkbar gewesen. Ich fand es außerdem charmant, noch mal so ein Stück weit einen lokalen Zugang sichtbar zu machen. Der ist ja vielleicht so ein bisschen back to the roots der Volkskunde Schrägstrich empirische Kulturwissenschaft. Also die ersten Zugänge waren ja so sehr lokale, und das fand ich interessant, dem noch mal nachzuspüren und das aber zu kombinieren mit den Möglichkeiten, die die Digitalisierung gibt. Also so ein bisschen Vor-Ort-Recherche und Netzrecherche zu kombinieren. Denn rund die Hälfte meiner aufgefundenen Fälle, würde ich sagen, habe ich die auch schlicht übers Internet gefunden, weil die Namen in irgendwelchen Amtsblättern standen und ich dann eben dort angerufen hatte und nachgefragt hat. Also das war, glaube ich, so ein schöner Dreiklang aus verschiedenen Zugangsweisen.
Speaker1: [00:33:48] Wir in der EKW überlegen ja auch immer so ein kleines bisschen, was unsere Arbeit, unsere Projekte bezwecken sollen. Und du hast ja vor allen Dingen sowohl über die Vergangenheit als auch die Gegenwart gesprochen. Siehst du in irgendeiner Form die Chance, dass deine Arbeit dabei helfen kann, Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, sowohl in Forschung, aber vielleicht auch im Alltag?
Speaker5: [00:34:12] Also ich würde natürlich immer eine Lanze brechen für diesen Weg: raus aus dem Archiv, hin zu den Menschen. Nicht nur, weil das jetzt in meiner Arbeit der maßgebliche methodische Zugang war, sondern ich glaube, das kann auch so ein bisschen dieser Sammelwut, sagen wir in der empirischen Kulturwissenschaft immer des Fachs etwas Produktives entgegensetzen. Also dass man eben noch mal deutlich macht, es bringt nichts, über die Jahre und Jahrzehnte einfach Dinge anzuhäufen und im Archiv zu lassen, wenn sich niemand damit beschäftigt. Und das fand ich irgendwie auch vielleicht unter so einem Berg Propheten Zugang irgendwie noch mal ganz charmant zu sagen: Das Archiv kommt zu den Menschen und wir bringen das zu den Leuten, denen das ja ein Stück weit auch gehört.
Speaker1: [00:34:56] Margret Es war eine schöne Reise durch Geschichte, Sprache und Erinnerung. Danke, dass du uns mitgenommen hast.
Speaker2: [00:35:04] Ja, danke für die Einblicke. Deine Arbeit zeigt, wie lebendig und relevant Geschichte sein kann, besonders auch, wenn sie durch autobiografische Stimmen nachvollzogen werden kann.
Speaker5: [00:35:15] Ja, ich danke euch. Vielen Dank für die Einladung.
Speaker1: [00:35:18] Das war Baden Württemberg erzählt. Wenn euch diese Folge gefallen hat, abonniert uns und teilt die Episode mit Freund*innen. Wir freuen uns, euch bei der nächsten Episode wieder begrüßen zu dürfen. Bleibt neugierig.
Folge 3: Wie funktioniert kulturwissenschaftliche Dialektforschung? Von Tragekörben und Tonbändern
In dieser Episode nehmen wir euch mit auf eine kleine Zeitreise durch die Geschichte der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland – vom Tonbandbus in den 50ern bis hin zur Dialektforschung heute. Gemeinsam mit den Hosts Julia Braun und Valeska Flor spricht Hubert Klausmann über Dialekte, Kulturwandel und darüber, wie aus einem riesigen Archiv nicht nur ein Sprachatlas, sondern auch Hörbücher, Ausstellungen und Schulprojekte entstanden sind. Warum alte Wörter wie Brente heute als Schimpfworte weiterleben, was Märkte über Gesellschaft erzählen – und wie Dialekte uns auch heute noch viel über unsere Region verraten? Das erfahrt ihr hier.
Listen
Speaker1: [00:00:09] Willkommen bei "Baden Württemberg erzählt. Kulturwissenschaft und Sprachwissenschaft im Dialog". In diesem Podcast erkunden wir, wie Sprache und Kultur miteinander verwoben sind. Mein Name ist Valeska Flor. Ich bin Kulturwissenschaftlerin an der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland.
Speaker2: [00:00:25] Und ich bin Julia Braun. Die Sprachwissenschaftlerin im Projekt. Zu Gast heute ist bei uns Professor Dr. Hubert Klausmann, der langjährige Leiter der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland. Ja und Hubert, wir freuen uns sehr, dass du dich bereit erklärt hast, heute mit uns ins Gespräch zu kommen. Herzlich willkommen!
Speaker3: [00:00:47] Ja, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr.
Speaker1: [00:00:49] Gut, dann wollen wir einfach direkt mal starten. Und zwar würde uns zunächst einmal interessieren, mehr über die Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland von dir zu hören. Hubert, du hast diese Arbeitsstelle ja viele Jahre geleitet. Kannst du uns einen Überblick geben über ihre Entstehung und ihre Aufgaben? Vor allen Dingen?
Speaker3: [00:01:08] Ja, also angefangen hat die Arbeitsstelle in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, muss man jetzt schon sagen. Und die Aufgabe war eine ganz andere, als wir es heute erleben bei der Arbeitsstelle. Damals hatte man über ganz Deutschland Quadrate gemacht und man wollte in jedem Quadrat drei Einheimische und drei sogenannte Aussiedler aufnehmen, um einen Bestand zu haben über die ganzen Dialekte und sprachlichen Varietäten in Deutschland. Und Arno Ruoff und Hermann Bausinger waren zuständig für Württemberg. Sie haben also dann angefangen, Interviews zu machen. Und mit der Zeit aber war dann doch die Arbeit für Bausinger doch zu stark mit dem Institut verbunden, so dass dann Arno Ruoff alleine weitergemacht hat. Und bald darauf ist auch dieses Zwirner-Projekt zu Ende gegangen und war plötzlich mit den ganzen Aufnahmen alleine und hat dann angefangen ein eigenes Institut zu gründen. Die Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland hat dann die Aufnahmen weitergeführt in Eigenregie, hat immer wieder Geld geholt, so wie das bei Projekten halt üblich ist, von Jahr zu Jahr und hat dann ein riesiges Archiv aufgebaut, um Sprache aufzunehmen. Und zwar... Damals gab es sehr viele Sprachatlanten, die ja sehr gezielt Wörter und Lautungen erforscht haben. Und er wollte etwas machen, was man nicht nur nicht abfragen kann, sondern was man einfach durch Erzählungen, durch freie Rede erforschen kann, nämlich mehr oder weniger Syntax und Stilistik hat er es dann genannt. Das ist der Anfang der Arbeitsstelle Sprache und in Südwestdeutschland. Ja, und dann hat er diese Interviews weitergeführt, auch räumlich weitergeführt nach Vorarlberg, Liechtenstein, ins Bayerische hinein. Und viele Doktoranden haben dann Arbeiten an diesem Institut gemacht.
Speaker2: [00:02:59] Ja, vielen, vielen Dank. Wir haben es ja in den letzten Folgen auch schon gehabt vom Arno-Ruoff-Archiv mit den Aufnahmen. Da haben wir auch schon ein paar Beispiele gehört. Es war ja aber, wie du gesagt hast, der Anfang der Arbeitsstelle. Wie ging es denn dann weiter?
Speaker3: [00:03:15] Ja, das weiter war immer schwierig bei dieser Arbeitsstelle, wie das so üblich war. Von Jahr zu Jahr mussten wieder Gelder besorgt werden und Ruoff hat aber dann immer wieder auch Schülerinnen und Schüler gefunden, die dann interessante Arbeiten geschrieben haben zu Themen wie Wortbildungen in gesprochener Sprache oder Konjunktiv, in gesprochener Sprache oder auch Entlehnungen aus den französischen Gegenden, die ja zu Württemberg mal gehört haben. Auch da wurden dann Arbeiten gemacht, also sehr viel, auch Statistik. Welche Wörter werden verwendet, wenn man spricht? Was sind die häufigsten Wörter? Also es war eine ganz interessante Arbeitsreihe. Und da hat er dann die Reihe "Idiomatica" gegründet, in der dann diese ganzen Arbeiten dann aufgenommen worden sind. Das ist so dann hat sich über Jahrzehnte hingezogen, bis eines Tages eben dann auch Arno Ruoff in den Ruhestand gegangen ist. Und dann war wirklich auch Ruhe in der Arbeitsstelle und da war nichts mehr da. Und da ist Gott sei Dank, hat der Förderverein Schwäbischer Dialekt dann sich wenigstens um die Aufnahmen gekümmert und hat dann die Aufnahmen auf CDs übertragen lassen, was schon sehr, sehr gut war, denn es ist ein unglaublicher Schatz, das ist ja klar. Wir haben hier die Kulturgeschichte des ganzen Landes in Interviews aufgenommen, sozusagen vorliegen. Und das hat der Förderverein damals wenigstens gemacht. Eine Stelle war zunächst mal keine da.
Speaker2: [00:04:47] Also wir wissen ja, dass die Geschichte dann gut ausgegangen ist und es dann irgendwann auch die Möglichkeit gab, dass du angestellt wurdest dort und ein neues großes Projekt gestartet hast, nämlich den SNBW, den Sprachatlas von Nordbaden Württemberg. Kannst du uns dazu vielleicht was erzählen?
Speaker1: [00:05:04] Ich würde hier vielleicht noch nachfragen, ob dann genau da der Zeitpunkt war, auch wenn Ruoff und Bausinger vorher schon zusammengearbeitet haben, wo dieser interdisziplinäre Aspekt der Dialektforschung noch mal stärker hervorgekommen ist. Also vor allen Dingen auch dieses Interesse an kulturwissenschaftlicher Dialektforschung. Wir gehen zwar später noch auf die einzelnen Projekte genauer ein, aber wenn du hier diesen Wechsel vielleicht noch mal kurz erläutern könntest, das wäre super.
Speaker3: [00:05:30] Ja, der Wechsel kam eigentlich erst mit den neuen Projekten, also unter Ruoff und das war einfach klar. Seine Zielrichtung war eben die gesprochene Sprache und deswegen hat er auch die Aufnahmen so gemacht, dass gesprochen wurde. Also er hat alles mögliche an Anreizen unternommen, damit die Leute reden. Das Kulturwissenschaftliche hat ihn weniger interessiert. Es war einfach und für uns... Aber glücklicherweise haben die Leute halt über was erzählt und über das, was sie erzählt haben, das ist dann natürlich die kulturwissenschaftliche Seite, die dann so interessant ist und die, von der immer klar war, irgendwann muss man das mal bergen, diesen Schatz. Aber das kam eigentlich dann erst in dem neuen Projekt, in der neuen Epoche, sozusagen der Arbeitsstelle. Ich hatte nämlich... Damals war ich in Bayreuth an der Uni und hatte von dort aus Anträge gestellt nach Baden Württemberg. Man sollte mal endlich den Nordteil von Baden Württemberg erforschen. Die Grundlagen, also die Grunddialekte, waren noch nicht erforscht und das war deswegen schade, weil der gesamte oberdeutsche Raum praktisch vom Main bis nach Südtirol erforscht war, denn die Dialekte kannte man und nur diese Lücke fehlte Und somit war auch irgendwie unklar, was eigentlich jetzt mit der Entwicklung der Dialekte passiert. Gehen die jetzt von den Ortsdialekten aus oder vom Standarddeutschen? Oder wie funktioniert das? Und dazu braucht man einfach die Grundlagen. Man braucht den Grunddialekt sozusagen. Und wir haben dann damals ja mehrere Versuche gestartet und schließlich Glück gehabt, dass sozusagen das Schimpfen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde von der damaligen Landesregierung. Ganz maßgeblich war Herr Hubert Wicker, damals Chef von der Staatskanzlei, und hat diese Schimpferei gehört von mir und hat dann gesagt, das Land muss was tun. Und dann war aber die Bedingung, ich sollte von Bayreuth dann nach Baden Württemberg gehen, denn es muss natürlich im Land bleiben.
Speaker3: [00:07:25] Und ich habe mich dann für Tübingen entschieden, weil ich Arno Ruoff kannte und wusste, dass da eigentlich eine gute Arbeitsstelle vorhanden ist. Und damals auch schon... Bernhard Tschofen habe ich gekannt durch ein Symposium, das er geleitet hatte, und bei dem ich diese Schimpfkanonade losgelassen habe. Und ja, dann habe ich gefragt in Tübingen, und Bernhard Tschofen war gleich angetan von dieser Idee. Und jetzt kam es zur Verbindung von Sprach- und Kulturwissenschaften. Mit Bernhard war ja klar, dass die Kulturwissenschaften auch eine Seite sein sollte in diesem neuen Projekt. Also haben wir nicht nur die GrundDialekte erforscht in Nordbaden-Württemberg, sondern parallel dazu kulturwissenschaftliche Arbeiten gemacht. Und in dem Fall hat Nina Kim Leonhard zum Beispiel immer wieder auch nach den subjektiven Räumen gefragt, die die Leute haben. Also wie weit geht denn Schwäbisch? Wie weit geht ihr Ortsdialekt? Wo spricht man ganz anders? Warum spricht man dort anders usw. Sie hat ja sehr viele Erhebungen gemacht parallel zu den Dialekterhebungen. Und so kam es zur Verbindung von Kultur- und Sprachwissenschaft. Und das waren dann vier Jahre, die wir Zeit hatten, das zu machen. Das war eine verdammt geringe Zeit. Also Sprachatlas-Projekte gehen meistens 20 Jahre. Aber man nimmt das, was man kriegt. Das ist so meine Devise. Man kann nicht jammern und dann nicht annehmen, sondern wenn man was kriegt, dann muss man es machen. Und ich hatte den Vorteil, dass ich schon den Sprachatlas von Vorarlberg gemacht hatte und wusste, wo man einsparen kann, wo man Zeit gewinnen kann, wo man was weglassen kann. Und in der Hinsicht haben wir da natürlich auch sehr viel Zeit gewonnen in der Vorbereitung. Die war relativ kurz, so dass dann die drei gleich loslegen konnten, Nina Kim Leonhard, Rebekka Bürkle und Rudolf Bühler.
Speaker1: [00:09:16] Vielleicht nur kurz als Ergänzung von mir: Bernhard Tschofen, früher Professor am Institut für Empirische Kulturwissenschaft, also Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft und mittlerweile in Zürich. Also für alle, die ihn nicht kennen oder nicht genau kennen, wie es in Tübingen ausgesehen hat.
Speaker2: [00:09:33] Hubert, für die Hörerinnen und Hörer, denen jetzt Sprachatlas nicht wirklich was sagt. Kannst du uns vielleicht erklären, wie ist es, wenn ich jetzt zum Beispiel Basisdialekt sprechen würde und du zu mir kommst, um den Sprachatlas zu erheben. Mit was muss ich denn da rechnen? Also, was würdest du machen? Welche Daten würdest du abfragen? Wie würde das denn so funktionieren?
Speaker3: [00:09:57] Ja, Sprachatlanten funktionieren eigentlich immer auf dieselbe Art und Weise. Man hat einen Fragebuch, das an die Region angepasst ist und in diesem Fragebuch geht es nach Sachkapiteln zu. Das heißt, man sucht dann Personen, die bereit sind, mit einem zu sprechen. Das ist natürlich schon mal eine Voraussetzung und das klappt aber sehr gut, weil wir das immer über die Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher machen, die uns immer helfen. Entweder machen sie es selber, wenn sie kompetent sind, oder sie wissen Personen, die da gerne was beitragen würden. Wir gehen dann zu denen nach Hause, meistens und teilen es auf. So ein Fragebuch ist sehr lang und sehr anstrengend, so dass man sagt ja, mit der Person machen wir eine Stunde, mit der Person machen wir zwei, maximal zwei Stunden. Mehr geht nicht. Man ist auch selber erschöpft und dann fragt man das Fragebuch durch. Und in diesem Fragebuch sind halt alle Themen versteckt, sozusagen. Also es geht ums Lautliche, es geht um die Wortbildung, es geht selten um Syntax. Das ist schwierig zu machen, aber natürlich auch um Wortschatz. Und man fragt dann zum Beispiel: Ah, jetzt geh mal zum menschlichen Körper, das geht von oben nach unten. Dann beginnt es eben bei den Haaren, den Augen und riechen tut man mit der Nase. Also wir tun dann ein bisschen umschreiben und essen tun wir mit dem Mund, kommt dann und die Leute antworten dann immer in die Lücke hinein.
Speaker3: [00:11:13] Wir schreiben das sofort auf, nehmen es aber auch gleichzeitig noch mit dem Tonbandgerät auf. Heutzutage ist es kein Problem. Zu Anfangszeiten war das ein Riesenproblem. Die mussten damals mit einem VW-Aufnahmebus rumfahren. Das war natürlich schon schlimm, mit so einem Ding auf den Hof zu kommen. Und wir hatten natürlich schon das den Vorteil, dass wir das kleine Aufnahmegerät hatten, das genauso groß war damals wie ein Handy, heutzutage das Smartphone. Und wenn man dann einen, dann macht man dieses Fragebuch in allen Ortschaften, damit man das vergleichen kann und dann geht man die Nummern durch der Fragebuchnummern und sagt: Ja, hier haben wir die Lösung, da haben wir die Lösung. Wir haben es dann meistens so gemacht, dass man die 160 Ortschaften untereinander geschrieben haben. Also die Frage 160 eins zum Beispiel immer die Antworten untereinander. Dann sieht man sehr schön, was rauskommt und macht sich Gedanken, wie man daraus eine Karte erstellen kann. Und das ist das Ziel eines Sprachatlas. Dann, dass man eine Karte macht. Auf den und auf den Karten sind dann die Phänomene in räumlicher Verteilung kartiert und damit bekommt man ein sehr schönes Bild, wenn man durch so einen Atlas hindurchgeht, durch seine Hunderten von Karten, von der Sprachlandschaft, die aufgenommen worden ist. Und da wir Gott sei Dank im oberdeutschen Raum alle nach demselben Verfahren arbeiten, auch dieselbe Transkription haben, lassen sich die Ergebnisse sehr gut vergleichen.
Speaker1: [00:12:31] Wir werden euch auch Karten einmal verlinken, damit ihr seht, wie diese Karten ausschauen.
Speaker2: [00:12:36] Ja, das ist eine gute Idee. Bei uns geht es ja jetzt im Podcast auch um den Strukturwandel in Baden-Württemberg. Was denkst du denn? Hubert? Kann man das denn auch am Sprachatlas erkennen? Also wenn man sich die Sprache anschaut, zum Beispiel verloren gegangene Wörter habt ihr da also ja auch erhoben. Oder Wörter, die man jetzt heutzutage vielleicht nicht mehr kennt, die aus dem landwirtschaftlichen Bereich stammen. Fallen dir da ein paar Beispiele ein oder wie könnte man sonst den Strukturwandel vielleicht noch beschreiben, den man dem Sprachatlas sieht?
Speaker3: [00:13:08] Ja, natürlich haben wir ja verschiedene Gruppen, kann man einteilen. Also es gibt Wörter, die ich zum Beispiel als in Baden-Württemberg nicht mehr abgefragt habe, weil der Abstand zu Vorarlberg, zur Schweiz schon zu groß war. Das sind dann Wörter, wo man einfach sagen muss, die hatten vor 30 Jahren bei ihren Erhebungen noch Personen, die wussten über bestimmte Dinge, zum Beispiel Waschen mit Aschenlauge. Das ist so ein Beispiel gewesen. Das kannte man in Vorarlberg noch überall in den 70er Jahren. Das war bei uns gar nicht mehr möglich. Wir haben es nach einer Woche dann weggelassen. Schon die Fragerei, das sind Dinge. Aber dann habe ich auch sehr viel Sachen weggelassen, etwa den Leiterwagen, weil ich weiß, das dauert erstens sehr lange, zweitens bringt es nichts, weil in ganz Süddeutschland überall dieselben Bezeichnungen vorhanden sind. Aber interessant sind natürlich Gefäße, weil man die immer noch kennt, und die werden oft anders verwendet als früher. Also wenn man früher die die Sau noch selber geschlachtet hat, dann gab es große Gefäße und diese Gefäße sind noch vorhanden. Man verwendet sie jetzt vielleicht als Kinderbadewanne oder sonst was. Und das ist interessant. Wir fragen dann diese Gefäße ab, bekommen Wörter und bekommen dann Wörter oftmals, die dann wieder weggehen vom Gefäß und dann als Schimpfwort erhalten bleiben. Ein schönes Beispiel für mich ist immer das Wort "Brente". Das ist ein altes romanisches Reliktwort, das weitverbreitet war und auch in Süddeutschland und das dann in ganz verschiedenen Bedeutungen gelandet ist. Bis zum Schlittenaufsatz eines Schlittens also auch wieder ein Gefäß wäre, sozusagen. Und irgendwann wussten die Leute gar nichts mehr anzufangen mit diesem Wort und haben gesagt Ja, das ist ein Schimpfwort für eine alte Person. Da sieht man so einen Strukturwandel. Wörter werden oft noch gekannt, aber man weiß die Bedeutung nicht mehr und fängt dann an herumzuspielen.
Speaker3: [00:15:03] Oft ist es in der Situation auch so, dass die Leute etwas antworten wollen, aber ebenso in Schimpfwörter. Die bleiben dann oft, manchmal noch da, bleiben die Wörter noch erhalten. Also solche Bedeutungsverschiebungen. Das ist eigentlich das Interessante, was wir dann beim Sprachatlas noch so herausbekommen. Ja, ja, ansonsten natürlich. Inhaltlich hört man sehr viel, aber auch über das Sprechen selber ist zum Beispiel sehr interessant. Also wir haben jetzt in jüngerer Zeit wieder Interviews durchgeführt und haben festgestellt, dass es eben nicht mehr so leicht ist, als außenstehende Person von der Uni kommend mit den Leuten im Dialekt zu sprechen. Also das heißt, die Leute wussten zwar, dass wir von ihnen das gerne wollten, da sich der Sprachatlas ich dann einfacher, weil wir nach Wörtern fragen und und da geht es dann schon, dann schalten sie um. Aber wenn wir es gern möchten, dass Sie mit uns eine Erzählung bringen wie zu Ruoffs Zeiten und zu sagen jetzt erzählen Sie mal von früher oder so, und dann ist es heute fast nicht mehr möglich, dass die Leute uns im Dialekt antworten. Also das ist ein sehr interessantes Phänomen, das ich mir erst jetzt bewusst geworden die letzten Jahre durch die neuen Interviews, weil man eben dann keinen Fehler machen darf. Man darf nicht dann sagen, das ist ein Lautwandel passiert von früher auf heute, sondern Nein, nein, das ist ein Registerwandel. Passiert, Ja. Der Dialekt ist heute etwas für den familiären Bereich und ich als forschende Person gehöre nicht zum familiären Bereich. Also spricht man mit mir Regionalsprache. Also das sind so Dinge, auf die muss man unbedingt achten, sonst macht man ganz schlechte Ergebnisse. Eigentlich falsche Ergebnisse. Man bringt dann etwas heraus, was gar nicht stimmt.
Speaker1: [00:16:40] Wir haben dahingehend tatsächlich auch ein bisschen was vorbereitet. Wie in den letzten Folgen auch haben wir ein paar Beispiele rausgesucht aus dem Arno-Ruoff-Archiv. Und du hattest ja eben schon kurz erwähnt, dass diese Aufnahmen zum einen eben viel Möglichkeiten bieten, um sprachwissenschaftlich zu forschen, aber eben auch kulturwissenschaftlich, weil es Erzählungen sind. Und darum geht es jetzt in dem nächsten Beispiel vor allen Dingen. Sprich was erzählen uns die Aufnahmen? Und wir würden jetzt gerne eben aus dieser Sammlung ein Beispiel aus Oppelsbohm anhören von 1964. Die Aufnahme ist erfolgt mit einem Sprecher, einem Bauern, der 1895 geboren wurde. Und hier hören wir jetzt einen kurzen Ausschnitt, wo es thematisch darum geht, einen Markt zu besuchen bzw. Wie der Weg hin zum Markt ist.
Audiobeispiel 1: [00:17:38] Ha – [Räuspern] Auf den Markt sind die Leute schon, nicht. Wir haben hier auch einen Markt, jetzt, schon etliche Jahre, zwei Mal im Jahr. Ja. Zum Beispiel meine Schwieger [= Schwiegermutter] gerade ist da von Necklinsberg gewesen. Die hat 200 Eier hineingetragen von Necklinsberg nach Winnenden auf dem Kopf, ungehoben [= ohne sie zu halten], ungehoben. Das sollte heute auch eines machen. [Lachen] Tatsächlich. Da haben sie so einen Bausch [= gepolsterter Tragring] gehabt, also so ein, so einen runden Bausch, nicht wahr, und da sind Spreuer [= Kornhülsen] drin gewesen. Nicht, das ist vielleicht so dick gewesen. Und in, und in der Mitte ist er hohl gewesen, und das hat (da)nach, nicht wahr, gut gehoben [= gehalten] auf dem Kopf. Da haben – und (da)nach haben die, mit dem Kopf haben die balanciert, da.
Speaker1: [00:18:24] Hubert, könntest du uns vielleicht kurz noch ein bisschen was sagen, was wir im Hinblick auf Dialektforschung von dieser Aufnahme herausfinden können?
Speaker3: [00:18:32] Ja, bei dieser Aufnahme hört man natürlich erst mal ganz genau hin. Hört sie sich zwei, drei Mal an und stellt dann fest, dass hier einige schwäbische Elemente ganz klar vorhanden sind und zum Beispiel der Diphthong dieses ei, das wir nennen das mittelhochdeutsch langes i, das wird hier gesprochen, aber eben auch sehr schön, das gwea/gwäa, also die Vergangenheit gewesen. Typisch schwäbischer, schwäbisches Partizip, dann Oier, und und dass die Eier, also der Diphthong. Wir haben in der Sprachwissenschaft immer wieder als Bezugssystem das Mittelhochdeutsche, weil die Dialekte eben aus dem Mittelhochdeutschen kommen und nicht aus dem Hochdeutschen. Und deswegen müssen wir immer wieder nachgucken, wie war denn das mittelhochdeutsche Ausgangswort? Und dementsprechend machen wir dann so kleine Gesetze und sagen Ja, aus einem i wird ein ei, und aus dem u wird ein ou, und aus einem ei wird ein oi oder so, und wenn wir das dann durchgehen, dann können wir festhalten, woher die Person kommt. Und hier haben wir es natürlich mit einer ganz klaren schwäbischen Mundart zu tun. Und dann könnten wir jetzt ins Detail gehen und nehmen den Sprachatlas und schauen uns dann im Sprachatlas bestimmte Phänomene an, also zum Beispiel dieses gwea, gwäa. Wo gilt dies Im Schwäbischen? Es gibt ja auch Gegenden, wo man gwest, gwäst sagt für gewesen. Also zum Beispiel im Raum Ellwangen, Ostalb da oben, der Fall. Und dann guckt man sich an, wo das ei, also nicht Eier, sondern Oier sagt, Dann gheebt das lange E oder was noch alles gehabt. Man schaut einfach dann bestimmte Lautungen durch und wenn man das hat, dann kann man die Person sogar eingrenzen, wo sie also her ist. Und in dem Fall haben wir es meines Erachtens hier mit einer Grundmundart zu tun. Eindeutig durchgehend. Ich habe jetzt gar nichts gehört, dass da irgendwas aus der Standardsprache reingerutscht ist. Auch der Märkt ist sehr schön in dem Fall. Also auch das ist eine Lautung statt Markt, dass man Märkt sagt, die ganz klar zur Grundmundart gehört. So etwas würde man dann vorgehen um diese, dieses Beispiel, dieses kleine Beispiel bereits etwas zu analysieren.
Speaker2: [00:20:52] Schön fand ich auch, dass wir jetzt so ein verlorenes Wort da auch dabei hatten. Unter anderem "Bausch" ist jetzt ein Wort, was mir und meiner Generation, denke ich, nichts mehr sagen würde. So wie ich es verstanden habe, ist es irgendein Tragegerät, was man auf dem Kopf trägt. Hubert, ist es so, oder?
Speaker3: [00:21:10] Ja, ich glaube, das ist also auf dem Kopf ist wie so eine Art, so habe ich es verstanden jetzt, ein, ein wie ein Kranz. Ja, so ein, so ein Etwas, wo dann die Eier nicht rausfallen können. Also das Phänomen ist ja wirklich schon großartig. Die Frau trägt die Eier auf dem Kopf. Und wer immer so schön sagt auch schön im Grunddialekt õgheebt. Also ohne dass er mit den Händen nach oben greift und die Eier hält, sondern ungehoben/ungehebt sozusagen. Ähm, das ist also. Ja, habe ich selber nie mehr erlebt. Sie selbst als Kind nicht. Also das ist schon eine sehr, sehr archaische Methode, aber eben umso schöner. Hier hat man auch wieder ein ja, wenn man so will, einen Kulturwandel. So gehen die Leute schon in den 70er Jahren nicht mehr auf den Markt, wie er es erzählt. Überhaupt, das ist ja auch interessant. Wie gehen die Leute auf dem Markt, welche Möglichkeiten haben sie heute? Auch das erzählen ja die, die die Geschichten, die gebracht werden, auch sehr viel. Also ich finde auch das, was wir in den Hörbüchern haben, auch da immer wieder wird der Wandel thematisiert. Am Anfang wird man pitschnass, wenn man auf den Markt geht, ist den ganzen Tag in nassen Klamotten auf dem Markt und dann kommt der Bus und dann kommt das eigene Auto usw. Und dann wird es immer besser. Also auch das ist interessant, wie so Kleinigkeiten nebenbei erzählt werden und die dann zeigen, wie was ist, wie sich die Welt inzwischen verändert hat.
Speaker1: [00:22:36] Und gerade aus kulturwissenschaftlicher Sicht sind Märkte ein tolles Thema, das wir uns anschauen können, weil sie also Märkte grundsätzlich nicht nur eine wirtschaftliche Funktion haben, sondern vor allen Dingen auch gesellschaftliche, historische, symbolische Dimensionen aufweisen, die hier auch nachzulesen sind. Auch an so einem kleinen Beispiel oder auch weiteren Beispielen, die auf den Hörbüchern zu hören sind, weil es da eingeordnet wird, wie Menschen, die zum Markt wollten, um dort Produkte zu verkaufen, die in der Landwirtschaft produziert worden sind, in irgendeiner Form. Und da ging die Frau als Marktsteherin zu Fuß und brauchte irgendwie eine Möglichkeit, um die Produkte auch zu transportieren. Und darüber hinaus sind Märkte eben grundsätzlich als soziale Räume anzusehen, wo Interaktion stattfindet zwischen den Händler:innen, zwischen den Besuchenden und Kaufenden und nicht nur im Hinblick auf Ökonomien, sondern auch ganz alltäglich Teil unseres Lebensalltags. Und das im Wandel der Zeit. Wir haben aber jetzt gerade durch das Beispiel und auch durch deine Ausführungen schon einiges über die Hörbücher gehört und wir würden jetzt gerne mal die wichtigsten Projekte der Arbeitsstelle zentrieren. Die Wanderausstellung, die Hörbücher, vielleicht auch das Schulprojekt oder die Schulprojekte, weil es ja jetzt mehrere sind. Und da würde uns interessieren, auch weil hier jetzt eben genau diese sprachwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Vernetzung oder Zusammenarbeit immer konkreter wurde in diesen Projekten, was du uns zu diesen einzelnen Projekten erzählen kannst. Vor allen Dingen im Hinblick auf die dahinterliegenden Themen, auf Fragestellungen und vielleicht auch Probleme, die aufgekommen sind und weshalb die Arbeitsstelle auch immer weiter existiert hat und diese Probleme auch angegangen wurden.
Speaker3: [00:24:32] Ja, gerne. Die Arbeitsstelle hat sich unglaublich verändert und weiterentwickelt. Also zunächst mal war es ja nur dieser Sprachatlas und ich hatte eigentlich gedacht, nach drei Jahren ist Schluss. Wir haben noch ein, wie gesagt ein Jahr bekommen Verlängerung, aber auch nur so auf Minimalbasis und dann war Feierabend und ich hatte dann angefangen, schon so erste Karten selber zu zeichnen, weil ein Atlas muss ja auch irgendwie veröffentlicht werden. Auch das Gott sei Dank schon digital war, hatten wir das gedacht, dass man das macht für Geld. Geld für Publikation war nicht vorhanden. Und dann hatten wir überlegt, wie geht es weiter? Und ich hatte dann damals mit dem damaligen Dekan, aber auch mit Bernhard Johler [Korrektur des Namen durch die Redaktion: Reinhard Johler ist hier gemeint], dann ein Besuch beim Ministerium, das ganz arg schwierig war, bei dem wir richtig abserviert wurden und man hat uns aber beim Rausgehen dann gesagt, wir sollten einfach einen neuen Antrag stellen. Also wir können mit den alten Sachen nicht weitermachen. Und da fiel dann das Wort Digitalisierung. Und das war damals ein Zauberwort. Da muss ich schon sagen. Und dann war uns klar, wir könnten ja den Sprachatlas digital veröffentlichen und wir bräuchten dazu aber einen Informatiker. Und dann haben wir überlegt Digitalisierung, Das machen wir jetzt aber ganz groß. Und im Zentrum soll jetzt das Archiv stehen. Wir möchten gerne das Archiv digitalisieren mit den ganzen Aufnahmen und dann den Sprachatlas digitalisieren und digital veröffentlicht und auch noch einen sprechenden Sprachatlas machen. Da wir ja einen Informatiker hatten, wollten wir den natürlich auch möglichst gut nutzen.
Speaker3: [00:26:07] Und so ist das Ganze plötzlich ganz breit gestaltet worden. Ganz viel weiter, als es ursprünglich mit diesem Atlasprojekt. Und jetzt kamen wir zum Schwerpunkt Digitalisierung des Archivs. Der Atlas war praktisch nur noch so eine Art Endprodukt. Damit das abgeschlossen wird. Aber die Digitalisierung stand jetzt im Zentrum. Und da war das Glück, dass wir mit Mirjam Nast eine Kulturwissenschaftlerin dabei hatten, die also dann diese Aufnahmen ganz gezielt auf kulturwissenschaftliches Interesse untersucht hat. Wir haben dann die Aufnahmen von Baden-Württemberg alle noch mal übersetzt und und dann mit Kommentaren versehen, aber auch Kommentare sowohl sprachwissenschaftlich als auch kulturwissenschaftlicher Seite. Wir haben da anfangs noch ein bisschen getüftelt, weil wir nicht wussten, wie wollen wir es machen. Es ist ja dann immer ganz wichtig, finde ich, dass man schaut, was andere schon gemacht haben, damit man nichts Neues erfinden muss. Und wir sind damals nach Zürich gefahren und haben bei den Schweizer Kollegen gefragt, wie sie denn digitalisieren. Und haben dann selber ein paar Versuche gemacht und kamen dann darauf. Es hat keinen Wert, das mit dem Computer zu machen, der dann Übersetzungen, die schon unter Ruoff gemacht worden sind, dass man die dann einscannt und der Computer korrigiert die. Wir haben ein paar Versuche gemacht. Das war so kompliziert, das war mit so vielen Fehlern behaftet, dass das eintippen, neue eintippen viel schneller war als das mit dem Computer. Und dann haben wir das gemacht und haben das sozusagen in Mannheim beim Institut für deutsche Sprache eine Software bekommen, mit der wir dann die Digitalisierung durchführen können.
Speaker3: [00:27:39] Und dann haben wir dann zu, äh, ja zu dritt diese Arbeit durchgeführt, auch mit Kontra lesen. Also ich habe dann alle Übersetzungen immer noch im Bus damals gelesen, auf der Heimfahrt. Ähm und äh und Miriam hat sich auch ein Register erstellt. Und so kamen wir dann dazu, dass wir sowohl den Sprachatlas an digital hatten, am Ende aber auch einen sprechenden Sprachatlas. Dank unseres Informatikers Andreas Ganzenmüller, der eine volle Stelle hatte damals. Das war eigentlich ungewöhnlich. Meistens gibt es nur halbe Stellen, aber er hat mit dieser vollen Stelle tolle Arbeit geleistet und hat dann eben auch noch mit dem sprechenden Sprachatlas ein schönes Projekt gemacht für die Öffentlichkeit. Denn wir wollten immer auch etwas für die Öffentlichkeit tun und dann mit der Wander.... Und dann kam eben mit der Digitalisierung die Idee, eigentlich könnte man doch mal was Kulturwissenschaftliches machen mit dem Arno-Ruoff-Archiv. Und da haben wir beim Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz angefragt, ob sie nicht uns da ein Hörbuch-Projekt finanzieren, was sie getan haben. Und so hat dann Miriam vor allen Dingen aus den Aufnahmen ein paar Themen herausgenommen und hat diese Themen dann mal chronologisch beschrieben. Mit Originalaufnahmen hat sie kommentiert und ich habe dazu immer die Aufnahmen dann sprachwissenschaftlich kommentiert, so dass wir hier zum Ersten Mal eine sehr schöne Kombination hatten von Sprach und Kulturwissenschaft.
Speaker3: [00:28:56] Und dieses Hörbuch hatten wir dann abgeschlossen und hatten dann das Glück, dass wir noch ein zweites Hörbuch machen konnten und das war sozusagen eine sehr, sehr schöne Kombination. Und dann kam es zur dritten Kombination, nämlich zu einer Wanderausstellung, bei der wir immer gesagt hatten eigentlich ist es so mühselig, wir fahren durch die ganzen Länder, durch die ganzen Lande sagen und erzählen, auch bei Vorträgen wie das ist mit Sprache und mit Kultur usw. wir versuchen jetzt das, was wir im Hörbuch gemacht haben, auf Stellwände zu projizieren und haben das dann in der Coronazeit gemacht. Wirklich in Fernbeziehung sozusagen mit unserer Grafikdesignerin. Und das war eine sehr schöne Zusammenarbeit, so dass wir dann einiges vom Hörbuch in die Tafeln der Wanderausstellung gestellt haben, aber auch die sprachwissenschaftliche Seite mit eigenen Stellwänden. Und so kam es zu einer Wanderausstellung von 15 Stellwänden, die wir seither unglaublich erfolgreich im Land und sogar nach Berlin schon gezeigt haben. Also das ist so diese unglaubliche Entwicklung, die plötzlich passiert, dass aus Null, wenn man so will. Also man hat uns wirklich eigentlich es war zu Ende und dann ging es plötzlich wieder ganz neu los und ganz groß. Und das war wirklich die, die der Anfang dieser Kombination und von der geben wir inzwischen nicht mehr weg. Kultur- und Sprachwissenschaft arbeiten zusammen seither. Und so kam es dann noch zu weiteren Projekten, auf die ich dann vielleicht noch gleich eingehen werde.
Speaker1: [00:30:22] Zum Übergang würde ich jetzt gerne noch mal eine zweite Aufnahme einspielen, die auch aus dem zweiten Hörbuch stammt. Zum Einkaufen. Und vielleicht können wir da wieder so ein bisschen sowohl über Sprache als auch Kultur sprechen, um das noch ein bisschen begreifbarer zu machen für unsere Hörer:innen. Und zwar hören wir jetzt einen kurzen Ausschnitt von einer Sprecherin aus Tübingen. Die Aufnahme ist 1961 entstanden und die Sprecherin ist 1939 geboren.
Audiobeispiel 2 - Sprecherin: [00:30:57] Ja, nun, es ist so, also meistens kauft meine Mama ein, nämlich die.. weil ich meistens im Amt bin so werktags. Manchmal sage ich ihr, dass ich die ganze Taschen da in den Läden stehen lassen soll und so, dass ich so um zwölf bzw. abends um halb sechs mitbringe, wenn ich vom Abend nach Hause komme.
Audiobeispiel 2 - Sprecher: [00:31:18] In was für Läden?
Audiobeispiel 2 - Sprecherin: [00:31:20] Ja, also meistens in so kleineren Lädchen. Bin eigentlich nicht so sehr für Selbstbedienungsläden.
Audiobeispiel 2 - Sprecher: [00:31:28] Was gefällt mir daran nicht?
Audiobeispiel 2 - Sprecherin: [00:31:30] Ja, also zunächst mal es ist so, wenn man da nur eine Kleinigkeit will, dann muss man da immer so einen Korb nehmen und da durch den Laden da latschen. Und das sieht meistens ein bisschen komisch aus, wenn man da mit so einem kleinen Fläschchen da durch die Gegend geht. Also ich gehe gerne in so kleinere Läden, da bekommt man ja genauso einen Rabatt wie in den Selbstbedienungsläden.
Speaker1: [00:31:55] Wir haben diese Aufnahme jetzt wirklich sehr bewusst ausgewählt, auch weil sie so unterschiedlich zu der ersten ist, die wir heute gehört haben. Julia und ich haben schon häufiger darüber gesprochen, dass wir einen komplett anderen Blick oder ein anderes Hören anwenden, wenn wir diese Aufnahmen hören. Julia Eben. Absolut sprachwissenschaftlich erstmal und ich eben kulturwissenschaftlich, weil ich total spannend finde, also direkt beim ersten Hören, was einfach alles drin vorkommt. Aber vielleicht erzählst du einmal, warum auch diese Aufnahme es ins Hörbuch geschafft hat und wie du als Sprachwissenschaftler damit umgehst, vor allen Dingen im Hinblick auf Dialekt, aber auch darüber hinaus.
Speaker3: [00:32:34] Ja, die Aufnahme hat es geschafft, weil sie soll auch ein bisschen das Spektrum zeigen von gesprochener Sprache, also Ruoffs Interesse war nicht, den Ortsdialekt zu kriegen, sondern er wollte die Leute reden lassen, wenn es möglich war in ihrer normalen Sprache. Das war halt damals in den 50er, 60er Jahren noch sehr oft der Ortsdialekt und aber er ist auch in die Städte gegangen und das ist auch für uns dann wichtig gewesen, dass wir auch bei unserer Sprachforschung, beim Sprachatlas in die Städte gegangen sind. Also alle Nord-Baden-württembergischen Städte sind im Atlas drin, und wir wollten sie nicht weglassen, sondern wir wollten einfach wissen, was von den Phänomenen, die man im Umland kennt denn in der Stadt vorhanden sind oder nicht mehr vorhanden sind. Und deswegen gehört es einfach zum Sprachalltag dazu. Und ich finde, das war damals eine sehr schöne Erfindung von Bernhard Tschofen, unser Projekt immer Sprachalltag zu nennen. Sprachalltag 1, Sprachalltag 2. Wir wollen den Sprachalltag in seiner ganzen Facette zeigen und dazu gehört eben auch diese Aufnahme dazu, die nicht mehr Grundmundart Tübingen ist, sondern das ist jetzt nun wirklich eine regionale Standardsprache. Also die Frau bemüht sich sehr stark in Standard zu sprechen. Es rutscht ihr manchmal was raus, aber eben allein schon die Betonung der Infinitivendungen.
Speaker3: [00:33:49] Das ist sehr untypisch auch für eine Regionalsprache. Also sie ist da wirklich schon in einer Ebene, wo man zwischen Regionalsprache und Standard irgendwo was suchen könnte. Sie diphthongiert auch nicht auf schwäbische Art. Sie vermeidet auch offene e-Lautungen usw. Also das ist ganz interessant, dass sie sieht wirklich sehr städtisch, würde ich sagen. Spricht und Aber eben das gehört dazu zu unserer Welt, dass es auch diese Sprache gibt und deswegen ist es auch wichtig, dass sie dabei ist. Also es ist auch manchmal so, dass uns immer wieder vorgeworfen wird, wenn man sagt, Ja, ich beschäftige mich mit Dialekten, das ist doch ein alter Zopf, das darf man nicht mehr tun, das ist doch rückwärtsgewandt usw. Also man muss immer wissen, warum man was macht. Und unser Ansatz war ja damals, mit dem Sprachatlas eben die Grundlagen zu haben, damit wir wissen, von was wir ausgehen, wenn die Leute nicht mehr Dialekt sprechen. Das ist doch ganz wichtig. Ich muss doch wissen, woher kommt dieser Laut? Er kommt ja von der Stadt. Oder kommt er vom Nachbardialekt? Oder kommt er von der Standardsprache? Oder woher kommt er? Und? Und dann kann man eben schauen, das ist jetzt, glaube ich, das, was wir jetzt heute auch in den letzten Jahren getan haben an der Arbeitsstelle, dass wir uns diesen neueren Richtungen, diesen neuen Registern sozusagen gewidmet haben, dass wir auch versucht haben, die mit hineinzuziehen und auch auch natürlich ganz alles, was um sie herum passiert.
Speaker3: [00:35:13] Also über Bewertungen und und wie die Leute dazu stehen, zur Sprache und wie sie sich dann ändert. Also all diese Dinge, die haben wir jetzt dann aufnehmen können, aber auch nur, weil wir halt jetzt die Grundlagen haben. Ich will es immer so vergleichen ohne, ohne Keller oder heute werden oft keine Keller mehr gebaut. Also ohne Bodenplatte geht nichts beim Hausbau. Und das sind bei uns die Grunddialekte. Wenn man die nicht kennt, bleibt alles nur reine Spekulation. So, und deswegen diese Aufnahme muss hinein. Finde ich gut. Sie zeigt natürlich auch hier muss man schon sagen, die Aufnahme ist kulturwissenschaftlich interessanter als sprachwissenschaftlich zweifellos. Also das ist von Mirjam sehr schön ausgesucht gewesen. Dieses Thema Markt fand ich auch persönlich unglaublich spannend, muss ich wirklich sagen. Also es war spannend im richtigen Sinne. Also heute ist ja sonst alles spannend, aber dies ist wirklich ein richtig tolles Thema. Also ich kann das nur wärmstens empfehlen.
Speaker1: [00:36:11] Und man sieht ja eben aus diesen beiden wirklich kurzen, immer unter einer Minute gebliebenen Beispielen, hört man schon ganz, ganz viel raus. Also wie sich Einkaufsverhalten im weitesten Sinne einfach verändert hat, durch äußere Bedingungen, aber auch neue Möglichkeiten, durch Globalisierung, grundsätzliche Transformationsprozesse, neue Produkte, die auf den Markt gekommen sind, Erleichterungen durch Erfindungen, eben nicht mehr die Eier mit dem Bauch transportieren, sondern in anderer Form usw. Und das liest sich eben an so kleinen Beispielen tatsächlich sehr gut heraus.
Speaker3: [00:36:47] Ja, ich finde auch das Schöne bei den Ruoff-Aufnahmen ist, dass man eben auch eine Art Kulturgeschichte, ich will jetzt nicht sagen von unten sieht, aber es ist eine Kulturgeschichte des Alltags. Also das ist auch für uns so interessant, dann auch zu hören, wie die Leute von damals bestimmte Dinge erlebt haben, die wir heute ganz anders sehen. Für mich ist zum Beispiel sehr interessant gewesen, wie die Leute damals die Fabrikarbeit gelobt haben, wie sie toll fanden, dass in der Fabrik arbeiten konnten. Für uns würde sie sagen: "Wie kann die nur das gut finden?" Aber aus ihrer Sicht damals war das ein Riesenfortschritt, in der Fabrik arbeiten zu können, nicht mehr in den Stall zu müssen, sondern eine klare Uhrzeit zu haben. Und klare Möglichkeiten auch das mit der Kinderbetreuung damals durchzuführen. Also das waren für mich so positive Erzählungen. Die, die für mich wichtig waren, weil ich gemerkt habe, wir sehen das manchmal aus unserem Blick ganz anders und nicht so wie die Leute damals.
Speaker2: [00:37:43] Ja, vielleicht dazu. Ich habe mich sehr gewundert, als ich diese Aufnahme von gerade eben zum Ersten Mal angehört habe, weil ich dachte, sie redet ja vom Selbstbedienungsladen und meint damit aber eigentlich so was, was wir heute ganz normal als einen Supermarkt bezeichnen würden. Soweit ich das jetzt verstanden habe, dass man mit einem Einkaufskorb da durchläuft und es war ihr aber irgendwie unangenehm, weil sie dann vielleicht auch sagt, wenn sie dann nur eine oder zwei Sachen drin liegen hat, dann ist das irgendwie so komisch. Und für uns ist es ja ganz normal.
Speaker1: [00:38:12] Genau. Aber auch da kann man dann eben rauslesen, wir erinnern uns alle an die Selbstbedienungskassen, als die eingeführt worden sind. Vielleicht nicht alle, aber viele erinnern sich daran, dass es da eine große Diskussion darum gab, ob es gut ist, ohne Interaktion mit den Kassierer:innen im Supermarkt auszukommen. Und genau das sieht man halt daran auch, dieser Wandel, der sich festmachen lässt. Früher vermutlich eben kleine Dorfläden, Tante Emma Läden, wie sie früher genannt worden sind, wo wirklich jemand am Tresen an der Kasse stand und die Dinge rausgesucht hat oder nur ganz bedingt selber Sachen rausgesucht wurden, hin zum Supermarkt, wie wir ihn alle heute kennen. Eben diese großen oder relativ großen Supermärkte, wo man sich alles mit Einkaufswagen oder Korb selber raussucht, eben wie sich das verändert hat und wie auch im Alltag. Und gerade deshalb ist die kulturwissenschaftliche Dialektforschung, glaube ich, ganz gut im Ludwig-Uhland-Institut angesiedelt, weil es da in der Empirischen Kulturwissenschaft vor allen Dingen um Alltagsforschung geht und was wir im Alltag über Themen, die wir mit dem Begriff Kultur festmachen können, herausfinden können. Und das sieht man an so einem kleinen Beispiel.
Speaker3: [00:39:27] Ja, es ist schon wirklich interessant. Ich kann mich noch daran erinnern, als Kinder wie da die größeren Supermärkte aufgemacht haben. Das war schon eine ganz andere Welt. Und wie du es gerade sagst, man ist halt früher auch bei Lebensmittelgeschäften in einen kleinen Laden gegangen und hat da sich bedienen lassen. So wie man heute beim Metzger noch steht, so ist man damals eben auch in den anderen Läden gewesen. Oder Drogerieladen zum Beispiel weiß ich noch sehr gut bei uns. Das war ein wirklich kleiner Laden, da geht man hin und da war der Drogist im weißen Kittel und hat einem dann die Sachen besorgt. Später hat er selber dann den ersten Supermarkt in Anführungszeichen aufgemacht, indem er vielleicht doppelt so groß, dann die Fläche hatte und dann ist man mit so einem Körbchen rumgelaufen. Und das ist das, was die Frau gerade beschreibt und auch zeigt eben, dass hier etwas im Umbruch ist und wie man dazu steht. Auch das immer so interessant. Wie stehen die Leute zu solchen Dingen und wie korrigieren sie sich teilweise auch? Also es gibt eine sehr schöne Aufnahme im Archiv über den ersten Fernseher und da regt sich eben auch der Mann auf, dass da jemand kommt und den Fernseher an seinen Sohn verkauft. Und er lehnt es ab, dass dieser Fernseher bei ihm in die Stube kommt, sondern da muss eine Etage höher zum Sohn. Und jetzt am Schluss sagt er dann eben: "Und jetzt muss ich jedes Mal die Treppe hinauf, um die Nachrichten zu schauen, weil das so interessant ist, was da in der Welt passiert."
Speaker3: [00:40:48] Also da sieht man auch wiederum das sehr schön, dieser Umbruch, ja erst Ablehnung und dann das Positive doch erkennen. Also das ist das Tolle an den Aufnahmen. Man könnte jetzt 1.000 solche Beispiele bringen. Es ist einfach ein großartiges Archiv und ich bin sehr, sehr froh und dankbar auch. Und ich finde auch, das Land kann dankbar sein, dass wir dieses Digitalisierungsprojekt bekommen haben, weil man jetzt eben mithilfe auch von Mirjam Nast Register Arbeiten machen kann zu verschiedenen Themen. Also wenn jemand sagt, ich interessiere mich für dieses Thema oder für jedes Thema, dann muss die Person das eintippen und dann kommen die Aufnahmen raus. Man muss nicht ein ganzes Jahr Tonbänder anhören, um rauszufinden, wo finde ich zu dem Thema war, sondern ich habe das beieinander. Das finde ich natürlich eine ganz tolle Sache. Und da kann das Land, werde ich sagen, da haben Sie das Geld gut angelegt, das Archiv zu digitalisieren und auch die Übersetzung schon zu haben, auch mit Suchmaschinen reinzugehen. Also auch für uns, wenn man Aufnahmen macht, Wir können gleich die Aufnahme herausnehmen für Vorträge und und haben die Übersetzung dabei. Also das ist einfach ein Riesengewinn und ich glaube, sie hat zwischen 40 und 50 Schlagwörter herausgeholt und so haben wir genügend Material, um die Kulturgeschichte des Landes Baden-Württemberg von Leuten erzählen zu lassen.
Speaker2: [00:42:06] Ja, vielen Dank für den Einblick. Vielleicht können wir jetzt noch mal was ganz anderes besprechen, und zwar die Zukunft der kulturwissenschaftlichen Dialektforschung. Also was denkst du denn, sind Projekte, die da realisiert werden sollten? Oder wie ist überhaupt die Entwicklung? Vielleicht in diesem interdisziplinären Feld?
Speaker3: [00:42:25] Ja, in den letzten Jahren haben wir unser Feld noch mal erweitert und sind noch mal einen Schritt weitergegangen. Denn jetzt kam auch die Frage auf, ja, was passiert eigentlich mit dem Sprechen, mit den Dialekten? Gibt es das überhaupt noch im Land? Und da hat man auch diese Dialektinitiative des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der da auch uns sozusagen angestopft hat und den ich ja beraten hatte. Und da war uns dann auch in den Gesprächen mit ihm immer die Frage gekommen, ja, wie viele Leute reden eigentlich noch Dialekt? Und was spricht man dann, wenn man nicht mehr Dialekt spricht? Und wie sieht es eigentlich aus mit der Aufklärung? Wir hatten ja diese Wanderausstellung gemacht und immer wieder erweitert, um die Leute aufzuklären, was, was Sprache ist, was Dialekte sind. Und dann habe ich einerseits Untersuchungen mal gemacht und habe Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher in Baden-Württemberg gefragt, wie denn bei ihnen gesprochen wird. Im Freundeskreis, beim Sport, im Verein, auf dem Rathaus, auf dem Landratsamt usw. und dann haben wir aber auch mal die Schulbücher untersucht, mit Frank Janke zusammen, wie man über Dialekt überhaupt aufgeklärt wird und Standardsprache in der Schule. Und da war das Ergebnis katastrophal, das muss man ganz eindeutig sagen. Das ist in Bayern bereits vor uns gemacht worden. Wir hatten uns also diese Idee dann da kopiert und haben dann dasselbe Negative bekommen. Das heißt, im Dialekt weiß man eigentlich nicht Bescheid, und zwar deswegen, weil, glaube ich, viele in der Schule glauben, sie wissen Bescheid. Und wir hatten dann einfach mal alle Schulbücher untersucht.
Speaker3: [00:43:56] Man muss. Das ist so ein Ansatz der aufgeklärten, der moderneren Sprachkritik von Uwe Pörksen und [?], ein Kollege und Lehrer von mir von früher, die eigentlich immer diesen Ansatz hatten. Wenn man was kritisiert, muss man erst mal schauen, was vorhanden ist. Und dann haben wir die ganzen Sprachbücher angeschaut, Frank Janle und ich kamen zum Schluss, die Aufgaben sind schlecht gestellt, entweder gar nicht oder noch so, dass man noch mehr Vorurteile hat beim Dialekt. Dann haben wir Gegenvorschläge gemacht als Aufgaben und dann war auch gesagt, wir müssen eigentlich noch einen Schritt weitergehen. Wir müssen den Lehrerinnen und Lehrern die Sachen noch besser präsentieren und sie aufklären. Und in der heutigen Zeit kann man unglaublich viel mit Bild und Ton machen und haben dann ein Projekt noch mal initiiert bei der Stihlstiftung. Die hatte uns bereits eine Grundschuluntersuchung finanziert, bei der wir nachgeguckt haben, was können die Kinder eigentlich noch in der ersten und zweiten Klasse? Was sprechen die? Aber auch was sprechen die Lehrerinnen und Lehrer? Das waren sehr, sehr interessante Untersuchungen, auch aus Bayern bereits mit Kindergärten gemacht und wir haben das mit Grundschulen gemacht. Und wir haben dann gesagt, das Ergebnis von all diesen Untersuchungen muss sein, dass wir neues Material brauchen für die Schulen, und zwar ein Material, das digital verfügbar ist, fertig sein muss. Und es schwebte uns immer vor, so eine Art Webseite zu kreieren oder Podcasts zu machen. Ja, und dann kam es wiederum dazu, bei der Stihlstiftung anzufragen.
Speaker3: [00:45:39] Die waren sofort begeistert. Und dann war das Glück, dass inzwischen ja auch die Nachfolger am Institut durch euch beide geregelt war. Was natürlich ein Riesenglück war, das muss man schon sagen. Zwei feste Stellen. Damit wird endlich die Forschung stabil auf die nächsten Jahre hin sein. Und neben diesen festen Stellen war natürlich auch wichtig, dass man noch Projekte macht. Und dieses Projekt "Dialekt und Du" habt ihr dann benannt und ich glaube, das geht genau in die richtige Richtung. Die Stihlstiftung war dabei und nun bin ich sehr gespannt, wie es dann in dem Jahr in einem guten Jahr dann sein wird. Denn jetzt seid ihr dabei, dieses Projekt zu füllen. Und ich glaube, es ist völlig richtig, Man darf nicht mehr mit irgendwelchen Lehrerheftchen in die Schulen gehen und aufklären, sondern man muss modernes Material bringen, lebendiges Material, authentisches Material. Und das ist das, was eben heute möglich ist. Und die Grundlagen sind vorhanden. Und umso schöner, dass es dieses Projekt gibt. Also da sieht man, der Weg ist unglaublich weit gegangen vom Zwirner-Korpus aus den 50er Jahren bis heute zu Dialekt und Du und dem Podcast auch, dass ihr nun mit dem Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz gemacht habt. Auch das zeigt eben, wie der Weg gegangen ist. Und ich finde, das ist ein großartiger Weg. Also ich finde es toll, was da passiert ist und ich freue mich, dass wir ja mit vieler Unterstützung von verschiedenen Personen in der Arbeitsstelle diesen Weg gehen konnten.
Speaker2: [00:47:10] Ja, wir werden euch auch gerne noch die Infos zum Dialekt und Du-Projekt in den Show Notes verlinken. Einfach für diejenigen von euch, die da Interesse haben, noch mehr dazu zu erfahren. Ich würde jetzt aber sagen vielleicht zum Abschluss Hubert, gibt es vielleicht noch eine Aufnahme, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist? Vielleicht eine aus dem Hörbuch oder eine, mit der du auf andere Weise gearbeitet hast in deinen Vorträgen, die du vielleicht mit uns teilen könntest.
Speaker1: [00:47:41] Und vielleicht ergänzend dazu, wo du festmachst, warum sie dir in Erinnerung geblieben ist, ganz persönlich. Also was dich an der Aufnahme einfach begeistert.
Speaker3: [00:47:52] Ja, eine sehr schwierige Frage, weil man so viele Aufnahmen im Kopf hat. Also ich habe ja schon diese eine Aufnahme von der einen Aufnahme erzählt, aus Alfdorf ist die meines Erachtens, mit dem Fernseher und die finde ich ganz toll, weil sie eben sowohl kulturwissenschaftlich interessant ist. Und da gehe ich natürlich als Laie dann dran und sage Mensch, ist das toll, wie wie der Mann sich verändert hat, wie der Mann plötzlich den Fernseher, der ihn verdammt hat, plötzlich positiv sieht und das auch eingesteht. Und auch sehr schön sprachlich diese Aufnahme. Also es ist eine Aufnahme, die ich sehr gerne verwende. Eine andere Aufnahme von einem Feldhüter, der sehr auch im Grunddialekt spricht und der eben erzählt, wie er auf die Leute aufgepasst hat, dass die Leute nicht die Flure kaputt machen. Und er als Feldhüter war damals eingestellt. Das kennt man ja heute gar nicht mehr, diesen Beruf. Heute gibt es keinen Feldhüter mehr. Aber er erzählt, wie die Bauern eben dann immer wieder versucht haben beim Nachbar noch ein Stück abzufelgen, sozusagen abzupflügen, um damit das dann noch im gehört zu sagen. Wenn man so will modern einen Grenzversetzung vollziehen und oder eben um selber was einzusparen beim Nachbar wenden oder mit der den Dreck hat und nicht man selber und so Sachen. Also auch da zeigt sich dieses Zwischenmenschliche, diese Probleme, die da manchmal auftauchen. Diese Erzählung hat mich übrigens ganz stark an an die Geschichten von [?] erinnert und an Romeo und Julia auf dem Dorf.
Speaker3: [00:49:22] Ich weiß nicht, ob man diese Geschichte noch kennt, aber diese Geschichte erzählt ja letztendlich auch so. Ja, am schlimmsten sind eben die Bauern selber, sagt er dann und erzählt auch sehr schön im alten Grunddialekt. Die Bauern selber, die eben dann am Schluss noch eine eine Kehre machen auf einem anderen Grundstück usw. Also das sind so Dinge, die mir in Erinnerung geblieben. Sehr viele, natürlich viele, viele Geschichten aus dem Schwarzwald, ganz besonders mit dem Heiler, wo die Leute dann vom Heiler erzählen, also von einem Menschen, zu dem sie gegangen sind, wenn sie mit den Krankheiten nicht mehr selber klar kamen, weil der Arzt sowieso viel zu weit weg war. Da war ich vier Stunden zu Fuß oder sechs Stunden zu Fuß weg und im Winter war gar nicht mehr möglich, zu einem Arzt zu kommen. Also hat man sich selber helfen müssen. Und in Baiersbronn gab es da so einen, einen Heiler, einen Morlock, so hieß der. Und die Leute erzählen dann erst mal vorsichtig, sagen es gab keinen und dann doch. Und da hat mir zum Beispiel fasziniert, wie man so nach und nach die Wahrheit rausrückt beim Erzählen, wie die Leute Scheu haben, erst mal darüber zu erzählen. Und dann aber kommen sie doch und erzählen sehr lebhaft. Und sicherlich, eben, das sind dann Fantasiegeschichten, die es natürlich so nicht gab. Und wenn, dann erzählen sie davon, dass es in den in dem Raum hat haben Ketten gerasselt.
Speaker3: [00:50:41] Also der Teufel hatte ja Ketten und das heißt der Teufel selber war anwesend in ihrer Vorstellung also. Aber dann auch wieder dieses ganz Einfache. Bei solchen Erzählungen, der Mensch und das Vieh haben dasselbe bekommen und beide sind gesund geworden. Also war ich dann oft das Ende von solchen Geschichten. Also das sind so so Sachen. Geschichten, die ja, die, die auch gut erzählt sind, also auch das muss man ja sagen, man kann. Das Tolle an an diesem Archiv ist, dass manche Leute grandios erzählen können. Also richtig was sagen. Literaturreif mit Höhepunkt, Einführung und Höhepunkt und und Abschluss. Also auch das sind so bestimmte Aufnahmen. Sprachlich interessant finde ich zum Beispiel eine Aufnahme, bei der Arno Ruoff Pech hatte. Er ist zu einem offiziellen Obstbaumpfleger geraten. Und diese Obstbaumpfleger spricht nun immer in Standarddeutsch, den man im ganzen Vortrag wie man die Obstbäume pflegen muss, wie man sie schneiden muss, wie man es machen muss. Und er ist nicht wegzubringen von dieser standardsprachlichen Vortragssprache. Also man merkt richtig, der Mann ist jetzt in der Rolle eines Vortragenden. Der ist jetzt hier bei den Obstbauern und hält den Vortrag bei der Fortbildung sozusagen. Und dann gelingt es Ruoff mit einem kleinen Zwischenbemerkung Das Jetzt kriegen Sie die Autobahn in Merklingen und dann kippt er um in einen Dialekt. Ja, das finde ich ganz interessant. Plötzlich wird es ganz persönlich. Ja, Autobahn. Jetzt was ganz Neues. Der Vortrag ist weg und das sind so Dinge, die finde ich eigentlich sehr schön, finde ich.
Speaker3: [00:52:13] Immer dieser Wechsel zwischen den Registern. Also da könnte man ewig erzählen. Ein Kind, das vom Theater erzählt hat, hat ja sehr oft auch Kinder mit aufgenommen. Und das Kind erzählt von einem Theaterstück, bei dem es mitgemacht hat. Und es wechselt immer, wenn es vom Theaterstück spielt und daraus was was zitiert, dann wechselt es in die andere Sprachebene. Und dann erzählt das Kind wieder weiter in der anderen Sprachebene. Und das macht das Kind ganz automatisch. Und das finde ich auch toll, dass man das einfach erlebt. Und das Schöne an diesen ganzen Aufnahmen ist eben auch für mich als Sprachwissenschaftler. Deswegen haben mich die Dialekte interessiert. Die Leute reden, wie sie reden, sie werden nicht von uns gesteuert. Wir sagen ihnen nicht die Grammatik ist so, sie müssen jetzt so reden, sondern die reden einfach und sie brechen vielleicht mit einer Grammatik und sie brechen vielleicht mit einem Gesetz, das wir gefunden haben, als Dialektforscher und denken Was? Warum ändert die Person jetzt zum Beispiel die Lautung? Warum sagt sie nicht mehr Bled für blind? Sie sagt doch Ket für Kind und ved für Wind. Aber dann ist mir völlig klar Das sagt nicht mehr bled für blind, weil blöd auch blöd heißt. Und blöd und blind dürfen nicht laut gleich sein. Das geht nicht. Das empfinden die Leute als störend und deswegen machen sie hier das Gesetz wieder rückgängig. Das sind tolle Sachen.
Speaker1: [00:53:31] Super. Also da haben wir jetzt wirklich viele tolle Beispiele gehört, auf denen wir in Zukunft auch aufbauen werden. Also da sind Sie ja auch schon verwendet worden für die Hörbücher für die Wanderausstellung. Wir werden aber in der Arbeitsstelle auch immer wieder auf das Archiv zurückkommen. Gerade eben, wie du es erzählt hast. Weil es so viel hergibt. Weil es einfach eine tolle Basis ist, um in den nächsten Jahren weiter zu arbeiten. Gut, das war unsere heutige Folge speziell zur Tübinger Arbeitsstelle für Sprache in Südwestdeutschland des Podcasts Baden Württemberg erzählt. Vielen Dank Hubert, für diese tollen Einblicke, die du uns gegeben hast.
Speaker3: [00:54:10] Sehr gerne und ich wünsche euch einfach viel, viel Glück, viel Erfolg bei der weiteren Arbeit an der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland. Vielen Dank für euer Interesse.
Speaker1: [00:54:20] Dankeschön! Dann, wenn euch diese Episode gefallen hat, teilt sie gerne, hinterlasst eine Bewertung und dann hören wir uns bei der nächsten Folge.