Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2010: Uni intern

Eine gemeinsame starke Organisationsbasis für die Geisteswissenschaften

Change Manager Professor Dr. Jürgen Leonhardt über die neue Philosophische Fakultät

Wie ist der aktuelle Stand der Neustrukturierung in Ihrer Fakultät?

Jürgen Leonhardt:

Die Fachbereiche haben sich konstituiert. Eine Fakultätsgeschäftsordnung, in der auch die Abstimmung zwischen Fakultät, Fachbereich und Institut geregelt ist, eine Promotions- und Habilitationsordnung sind vollständig oder zumindest in wichtigen Teilen vorbereitet und gehen in die erste Sitzung des neuen Fakultätsrats im Oktober. Der Bauantrag für die Einrichtung des gemeinsamen Dekanats und des fakultären Prüfungsamts ist gestellt, der Bezug der neuen Räume ist für Ende September vorgesehen.

Inwiefern profitieren die einzelnen Institute/Seminare von der Umstrukturierung? Wie begegnen Sie den Befürchtungen der einzelnen Fächer, sie könnten in einer Großfakultät nicht deutlich wahrgenommen und womöglich übersehen werden?

Jürgen Leonhardt:

Die Chance der neuen Philosophischen Fakultät besteht darin, dass die Geisteswissenschaften eine gemeinsame, starke Organisationsbasis haben. Dieser Vorteil ergibt sich aber nicht automatisch durch die Umstrukturierung oder überhaupt durch eine bestimmte Struktur, sondern dadurch, dass die vielen kleinteiligen Einheiten – es gibt über 25 völlig selbständige Fachrichtungen und mehr als doppelt so viele Studiengänge – und die beteiligten Personen tatsächlich miteinander kooperieren. Eine solche Kooperation herzustellen, ist die eigentliche Aufgabe der Fusion jenseits aller Strukturmaßnahmen.

Da die Einteilung in Fachbereiche viel stärker von der alten Fakultätsstruktur abweicht als in den anderen beiden Großfakultäten, gibt es verständlicherweise auch Skepsis, ob die Neuorganisation die Fächer und Fächergruppen nicht eher vereinzelt zurücklässt und die kleinen Einheiten, ihrer eingespielten Umgebung beraubt, an Sichtbarkeit verlieren. Um hier die Basis für die Fortführung bewährter und die Entwicklung neuer Kooperationen zu schaffen, war das Jahr der Fusionsvorbereitung außerordentlich wichtig, weil es Gelegenheit bot, sich ohne die Notwendigkeiten des Tagesgeschäfts - das bei den Altfakultäten blieb - besser kennenzulernen. Satzung und Geschäftsordnung der Fakultät berücksichtigen die Kleinteiligkeit und vor allem auch die Notwendigkeit, ohne Satzungsänderungen flexiblen Binnenentwicklungen Rechnung tragen zu können: Die Institute bleiben die entscheidenden Einheiten und haben das Recht, ihre wichtigen Angelegenheiten gegenüber der Fakultät auch direkt zur Sprache zu bringen. Die Fachbereiche sind frei, ob sie sich eher als fester Familienverband oder eher als eine Art freie Wohngemeinschaft von Instituten mit wenigen Hausregeln organisieren.

Mit der Schaffung von Großfakultäten wird eine neue Verwaltungsebene eingezogen. Wie groß ist die Gefahr, dass Prozesse innerhalb der Fakultätsverwaltung dadurch verzögert, statt optimiert und beschleunigt werden?

Jürgen Leonhardt:

In der Philosophischen Fakultät finden Verwaltungsvorgänge nur in den Instituten und auf Fakultätsebene statt; die Funktion der Fachbereiche beschränkt sich auf Koordination der Entscheidungsfindung; wo Verwaltungsarbeit zu leisten ist, werden die Fachbereiche von der Fakultätsverwaltung unterstützt. Die Verwaltungswege werden daher nicht länger als zuvor. Entscheidend wird aber sein, dass die Personal- und Sachkenntnis, die in den bisherigen Fakultätsverwaltungen bis in die kleinsten Einheiten der jeweiligen Fakultät hinein bestand, unbeschadet der Bildung von Verwaltungsressorts im Großdekanat erhalten bleibt und zum Tragen kommt.

Wie ist der Stand der Aufgabenverteilung innerhalb der Fakultäts-, Fachbereichs- und Institutsverwaltung? Muss durch die Zusammenlegung gleicher Aufgabengebiete mit Stellenkürzungen gerechnet werden?

Jürgen Leonhardt:

Die schwierigste Aufgabe besteht in der Einrichtung des fakultären Prüfungsamts mitten in einer Phase der Umstrukturierung der BA-Studiengänge und des Lehramtsstudiums. Hier besteht, ganz unabhängig vom Fusionsprozess, die Notwendigkeit, für die neuen Aufgaben zusätzliche Personen einstellen zu können. Die Dekanatsverwaltung wird durch Zusammenziehen der bisherigen Fakultätsverwaltungen gebildet; von der Einrichtung von Verwaltungsressorts ist größere Handlungsfähigkeit der Geisteswissenschaften in zentralen Bereichen wie der Gestaltung von BA/MA-Studiengängen und ein effektiveres Management in der Personal- und Finanzverwaltung zu erhoffen; die Quantität der zu erbringenden Arbeit verringert sich dadurch nicht. Die einzigen Stelleneinsparungen, die eintreten werden, waren bereits 2008 beschlossen und haben mit der Fakultätsfusion nichts zu tun. Die Institutsverwaltungen bleiben unverändert; in einem Fall war die Abgrenzung von Fakultäts- und Institutsverwaltung neu zu organisieren.

Professor Dr. Jürgen Leonhardt (Jahrgang 1957) studierte Klassische Philologie und Musikwissenschaft in Tübingen und München; Promotion und Habilitation erfolgten in München. 1994-1997 war er Inhaber des Lehrstuhls für lateinische Philologie an der Universität Rostock, seit 1997 an der Universität Marburg. 2004 wurde er nach Tübingen berufen. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Geschichte des Lateinischen nach dem Ende der Antike. Im Juli 2009 wurde er zum Change Manager der neuen Philosophischen Fakultät gewählt. Foto: privat

"Change Manager im Bereich der Geisteswissenschaften zu sein, heißt zunächst einmal, viel zu lernen: bis in die Detailebene Einblick in die Strukturen nicht nur der drei Fakultäten, sondern vieler Institute und Teilbereiche zu gewinnen, mit vielen Menschen zu sprechen, unterschiedliche Interessen und teilweise auch vorhandene Spannungen zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Ganz unverzichtbare und konstruktive Beiträge für den Fusionsprozess kamen und kommen nicht nur in den Sitzungen der offiziellen Fusionsgremien, sondern über direkte Rückmeldungen oder Vorschläge einzelner Personen.

Mein Dank gilt an dieser Stelle allen, die sich in Gremiensitzungen, Arbeitssitzungen oder als Einzelpersonen engagiert haben. Bei der Gestaltung von Ordnungen und bei der Entwicklung neuer Strukturen ist viel Kreativität gefragt; daher wird viel Zeit auch für das Nachdenken am Schreibtisch gefordert. Im Alltag vorherrschend ist die Vielfältigkeit der Aufgaben: Sie reicht von der Notwendigkeit neuer Jalousien für Arbeitsplätze über Finanzplanungen bis hin zur Schaffung neuer Strukturen des akademischen Betriebs – und diese Vielfältigkeit habe ich als besonders belebend wahrgenommen."