Uni-Tübingen

Press Releases

04.05.2021

Auftaktveranstaltung des 3R-Netzwerkes Baden-Württemberg

Landesweites Netzwerk zur Verbesserung von Tierschutz und Forschung geht an den Start

Tierversuche tragen in der Medizin zu einem besseren Verständnis von Erkrankungen bei und helfen bei der Entwicklung vieler neuer diagnostischer Verfahren und Therapien. Trotz der Entwicklung von Alternativen werden sie auch in der biomedizinischen Forschung auf absehbare Zeit noch ein notwendiger Baustein bleiben. Dabei immer im Fokus der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das 3R-Prinzip – also Tierversuche zu verbessern, zu verringern und wenn möglich zu vermeiden (Vermeidung, Verringerung, Verbesserung = Replacement, Reduction, Refinement – 3R). Mit dem Aufbau eines flächendeckenden 3R-Netzwerks, das alle wesentlichen biomedizinischen Standorte im Land einbezieht, wählt Baden-Württemberg einen neuen Ansatz, um die wissenschaftliche Forschung und den Tierschutz gleichermaßen voranzubringen. Eine virtuelle Auftaktveranstaltung gab den Netzwerkpartnern heute Gelegenheit, ihre Vorhaben vorzustellen.

„Die biomedizinische Forschung spielt bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie eine entscheidende Rolle. Nur dank der jahrzehntelangen Grundlagenforschung konnte bereits ein Jahr, nachdem sich das Virus weltweit verbreitet hatte, eine Vielzahl an Impfstoffen gegen COVID-19 entwickelt und eingesetzt werden. Diese Impfstoffe würde es ohne Tierversuche nicht geben, und auch die Entwicklung von wirksamen Therapien wird ohne sie auf absehbare Zeit nicht auskommen. Wir brauchen deshalb mehr Alternativmethoden“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Dienstag (4. Mai) in Stuttgart. Umso entscheidender sei es, sowohl die Forschung als auch den Tierschutz voranzubringen – „und das werden wir mit unserem 3R-Netzwerk Baden-Württemberg gemeinsam erreichen. Wir wollen aktiv dazu beitragen, die Anzahl der Tierversuche in der Forschung zu reduzieren.“ Als wichtiger Standort der biomedizinischen Forschung trage Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung.

Thema auch von gesellschaftlicher Relevanz 

„Mit dem 3R-Netzwerk Baden-Württemberg wollen wir die Expertise in der biomedizinischen Forschung im Land bündeln, die Sichtbarkeit der Aktivitäten erhöhen und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Tierschutz in Forschung und Lehre gewährleisten“, betonte die Ministerin. Nicht nur die rund 200 Anmeldungen zur Auftaktveranstaltung zeigten die Relevanz des Themas, sondern auch das breite Teilnehmerfeld aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Tierschutzbeauftragten, Tierärzt*innen, Studierenden, Vertreter*innen aus Industrie und anderen 3R-Zentren wie auch Vertreterinnen und Vertretern von Tierschutzorganisationen.

Für den Aufbau des Netzwerks wird das Land in den nächsten fünf Jahren knapp vier Millionen Euro bereitstellen. Die beteiligten Hochschulen ergänzen diese Anschubfinanzierung des Wissenschaftsministeriums mit insgesamt fast drei Millionen Euro an Eigenmitteln, so dass in den nächsten Jahren knapp sieben Millionen Euro für das 3R-Netzwerk zur Verfügung stehen.

„Ob bessere Medikamente, sichere Operationen oder das Wissen, wie man Organe verpflanzt: Die großen Fortschritte der Medizin in den vergangenen 150 Jahren waren nur durch den Austausch zwischen biomedizinischer Grundlagenforschung und anwendungsorientierter klinischer Forschung möglich. Mit dem 3R-Netzwerk und insbesondere mit dem 3R-Center erhält die biomedizinische Forschung am Standort Tübingen einen weiteren wichtigen Impuls, in dem Bestreben, Tierschutz und Forschung noch weiter zu verbessern", betonte Prof. Dr. Bernd Engler, Rektor der Universität Tübingen, die zusammen mit dem NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen Trägerin des 3R-Centers ist.

Zum Auftakt des neu gegründeten 3R-Netzwerks Baden-Württemberg stellten die zehn Netzwerkpartnerinnen und -partner ihre geförderten Projekte in jeweils zehnminütigen Vorträgen vor. Die Auftaktveranstaltung des Netzwerks richtete das 3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen im Auftrag des Wissenschaftsministeriums aus. „Mit unserem 3R-Center wollen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Baden-Württemberg einen möglichst einfachen Zugang zu neuartigen Alternativmethoden bieten, mit dem Ziel, die Anzahl an Tierversuchen nachhaltig auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren“, sagte die Gründungsdirektorin des 3R-Centers und Direktorin des NMI Reutlingen, Prof. Dr. Katja Schenke-Layland.

Fünf Zentren bilden Grundgerüst des Netzwerks

Gemeinsam mit dem bereits im Frühjahr 2020 gegründeten 3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen in Tübingen/Reutlingen werden künftig vier weitere Zentren das Grundgerüst des „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ bilden: das „3R-Zentrum Rhein-Neckar“ der Universität Heidelberg mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, das „3R-US Netzwerk“ der Universität Stuttgart und des Robert-Bosch-Krankenhauses, das „CAAT-Europe“ (Center for Alternatives to Animal Testing in Europe) der Universität Konstanz mit der John Hopkins University und das „Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit“ an der Universität Heidelberg. 

Aus- und Weiterbildung mit im Fokus

Darüber hinaus werden drei weitere Forschungsprojekte gefördert, die an den Universitäten in Heidelberg, Ulm und Freiburg beheimatet sind. Zusätzlich werden noch zwei Projekte aus dem Bereich Aus- und Weiterbildung an der Hochschule Reutlingen und an der Universität Ulm gefördert.

Landesweite Forschungskompetenz: 10 Projekte in jeweils 10 Minuten

Mit der W3-Brückenprofessur von Prof. Dr. Peter Loskill für Organ-on-a-Chip-Systeme, der ab 1. Mai auch die Leitung des 3R-Center für In-Vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen Tübingen übernommen hat, erhält die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen die Expertise, neue Technologien bereitzustellen, die die Notwendigkeit von Tierversuchen reduzieren oder gar ersetzen können. Der entscheidende Vorteil ist, dass Organ-on-a-chip-Modelle die natürliche Mikro-umgebung, so wie sie in menschlichen Zellen in bestimmten Organen und Geweben gegeben ist, abbilden. 

Dr. Marcus Meinhardt vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim wird über das 3R-Zentrum Rhein-Neckar referieren, das zusammen vom Zentralinstitut und der Universität Heidelberg verantwortet wird. Hauptziel ist die Etablierung des Zentrums in der Rhein-Neckar Region mit den Schwerpunkten „Refine“ und „Reduce“, welches das Tübinger Zentrum mit dem Schwerpunkt „Replace“ sehr gut ergänzt. Das 3R-Zentrum Rhein-Neckar plant den Aufbau einer zentralen Datenbank für Tiermaterial, Aktivitäten in Weiterbildung und Lehre sowie Open Access und wird Hilfe bei der Gestaltung neuer Experimente anbieten sowie eigene 3R-Forschungs¬aktivitäten vorantreiben.

Die Leiterin des Interdisziplinären Zentrums zur Erforschung von Darmgesundheit an der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Beate Niesler, gewährt einen Einblick in die komplexe Erforschung von Darmerkrankungen. Langfristiges Ziel ist die Generierung patientenspezifischer 3D-Organoide, um individuelle Organfunktionen nachzuahmen, um so zur Verringerung und Vermeidung von Tierversuchen beizutragen.

Beim 3R-US Netzwerk der Universität Stuttgart und des Robert-Bosch-Krankenhauses geht es um die Entwicklung einer Tumorgewebe-Plattform für Medikamententests als Ersatz für Tierversuche. Prof. Dr. Monilola Olayioye vom Institut für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart erklärt, wie Tumormodelle aus Biomaterialien und Zellen mit 3D-Druckverfahren naturgetreu als Ersatzsystem für Tierversuche aufgebaut werden.

Prof. Dr. Marcel Leist, Direktor des CAAT-Europe (Center for Alternatives to Animal Testing in Europe), das transatlantische Bündnis zwischen der Universität Konstanz und der Johns Hopkins University, erläutert, wie Forschungs- und Harmonisierungsmaßnahmen die Akzeptanz tierfreier neuer Ansatzmethoden in verschiedenen Interessengruppen fördern können.

Zum Thema „Überwindung translationaler Hürden – Verbesserung der Evidenz und des prädiktiven Wertes bei experimenteller Forschung“ hält Dr. Ralf Watzlawick der Universität Freiburg einen Vortrag. 

„Refinement in komplexen belastenden Versuchen an Mäusen“ erläutert Prof. Dr. Jan Tuckermann von der Universität Ulm. Das Projekt hat zum Ziel, Maßnahmen zur Verringerung der Belastung von Mäusen bei Tierversuchen zu etablieren. 

Prof. Dr. Karen Bieback und Prof. Dr. Nicole Rotter von der Universität Heidelberg referieren zur „Charakterisierung und Weiterentwicklung heterotypischer 3D-Sphäroide aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen“. Für die Etablierung individualisierter Therapien für Plattenepithelkarzinome sollen 3D-Sphäroide, die die Tumorarchitektur widerspiegeln, optimiert und weiterentwickelt werden.

Prof. Dr. Ralf Kemkemer von der Hochschule Reutlingen informiert über das Projekt „3R-BioMED Lab“, das zum Ziel hat, das Thema Alternativ- und Ergänzungsmethoden bei Tierversuchen systematisch in den Lehrplan des Studiengangs Biomedizinische Wissenschaften zu integrieren. 

Mit dem Ziel, die Etablierung und Durchführung anerkannter, zertifizierter 5R-Kurse zur Verbesserung der Qualität von Tierexperimentellen Studien in der biomedizi-nischen Forschung voranzubringen, erweitert Prof. Dr. Jan Tuckermann von der Universität Ulm die Thematik um zwei Schwerpunkte und zwar „Rigour“ und „Reproducibility“. Ziel ist die Belastungen im Tierversuch zu erkennen und zu reduzieren (Rigour) und ein zeitgemäßes Qualitätsmanagement zu etablieren (Reproducibility). 

Gemeinsam mit dem „3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen“ haben das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen zur virtuellen Auftaktveranstaltung eingeladen.

Das Veranstaltungsprogramm und weitere Informationen zum 3R-Center entnehmen Sie gerne dem folgenden Link: https://www.3rtuebingen.de/konferenz2021.html

Medienkontakt

3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen
Leitung Geschäftsstelle
Silke Keller
Silcherstraße 7/1, 72076 Tübingen
 Tel.: +49 7071 29-85206
silke.kellerspam prevention@uni-tuebingen.de 

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Pressesprecherin
Dr. Denise Burgert
Königstraße 46, 70173 Stuttgart
Tel.: +49 711 279-3004
denise.burgertspam prevention@mwk.bwl.de     

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Hoppe-Seyler-Straße 6
72076 Tübingen

Steven Pohl
Tel. 07071 29-88494
Steven.patrick.pohlspam prevention@med.uni-tuebingen.de 
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