08.02.2022
Akademische Gedenkfeier zum 100. Geburtstag von Professor Hermann Lange
Am Freitag, dem 28. Januar 2022 lud die Juristische Fakultät zu einer Akademischen Gedenkfeier zu Ehren des am 28. Juli 2018 im Alter von 96 Jahren verstorbenen Professors Hermann Lange aus Anlass seines 100. Geburtstages ein.
Nach seinem Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten in Leipzig, München und Freiburg, unter anderem bei Fritz Pringsheim und Franz Wieacker, wurde der aus Dresden stammende Hermann Lange im Jahr 1944 in Leipzig mit einer Dissertation zum Thema „Das Kontingent als Rechtsbegriff“ promoviert. 1949 legte er sein zweites Staatsexamen in Hamburg ab und war Ende 1949 als Wissenschaftlicher Assistent an seiner Alma Mater in Freiburg tätig. Im Anschluss an seine Habilitation mit einer mediävistischen Arbeit über „Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie“ erhielt er die venia legendi für die Fächer Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte und war zunächst als Privatdozent an der Universität in Freiburg tätig. Bevor Lange ab 1966 Ordinarius für Römisches, deutsches Bürgerliches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Eberhard Karls Universität wurde, war er als Professor an den Universitäten in Innsbruck, Kiel und Mainz tätig. Im Jahr 1987 wurde er schließlich emeritiert.
Seine Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich des Schadensersatzrechts, des Familienrechts und der mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Langes Monographie „Schadensersatz“ (erstmals 1979 in der von seinem Fakultätskollegen Joachim Gernhuber initiierten und herausgegebenen Reihe Handbuch des Schuldrechts erschienen) gilt als zentrales Werk zum deutschen Schadensersatzrecht. Mit seiner Arbeit zum „Römischen Recht im Mittelalter“ (zwei Bände, erschienen 1997 und 2007) ist ihm „ein umfassendes, bewundernswert reifes Alterswerk gelungen, wie es zu diesem Thema bis dahin nur der wohl bedeutendste deutsche Jurist, Friedrich Carl von Savigny, 1831 hatte vollenden können“, so Prof. Gottfried Schiemann. Seine wegweisenden wissenschaftlichen Leistungen wurden schon 1971 durch die Wahl in die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur honoriert.
Nach einer musikalischen Einleitung begrüßte der Dekan der Juristischen Fakultät, Prof. Wolfgang Forster, alle anwesenden Gäste im imposanten Festsaal der neuen Aula und leitete das Symposion mit einem Zitat Langes ein: „Um das zweierlei Salz, von dem Baldus de Ubaldis als einer der größten Juristen des Mittelalters gesprochen hat, habe ich mich jedenfalls bemüht: um das Salz des Wissens und das Salz des guten Gewissens.“
Zunächst referierte Prof. Maximiliane Kriechbaum, emeritierte Professorin für Europäische Rechtsgeschichte, Römisches Recht und Bürgerliches Recht in Hamburg, über Hermann Lange und die juristische Mediävistik. Lange habe seine rechtlichen Publikationen mit Untersuchungen zum mittelalterlichen Ius commune begonnen. Während seine akademischen Lehrer Franz Wieacker und Fritz Pringsheim vom römischen Recht kamen, galt sein Interesse als Rechtshistoriker Zeit seines Lebens dem mittelalterlichen Recht. So knüpfe er zwar an die Frage seines akademischen Lehrers Franz Wieacker nach der Verbindung von römischen Recht und europäischer Rechtswissenschaft an, jedoch auf seine Art mit dem Forschungsgebiet des gelehrten Rechts des Mittelalters – eine „neue, genaue und tiefgründige Art“, so Kriechbaum. So suche er die Tatsache, dass das römische Recht Gegenstand der mittelalterlichen Rechtswissenschaft war, weder zu deuten noch zu erklären oder gar zu überhöhnen – vielmehr möchte er die Zusammenhänge aufzeigen.
Langes Arbeit zum mittelalterlichen Schadensrecht sei, so die Referentin, in jeder Hinsicht eine Pionierleistung. So orientierten sich die Aspekte des Schadensrechts, die Lange betrachtete, ausschließlich an den Kriterien der mittelalterlichen Legistik selbst. So reflektiere er eindringlich das Potential der mittelalterlichen Lehren zur Lösung schadensrechtlicher Probleme. Dies gelinge ihm, ohne dass sein Urteil verabsolutierend wirke. Der Maßstab für Hermann Langes Urteil ergebe sich daraus, dass er die Konstellationen und Probleme des Schadensrechts durch die historischen Epochen juristisch in erstaunlicher Art und Weise überblickte, so Kriechbaum. So behandle Lange in seiner Habilitationsschrift jeden schadensrechtlichen Aspekt unter den Gliederungsgesichtspunkten „Das römische Recht“, „Die Glosse“ und „Bartolus“. An dieser Dreiteilung zeige sich ein umfassendes, in der Mediävistik sonst kaum erreichtes Programm, welches die Referentin im Folgenden ausführlich darstellte.
Abschließenden widmete sich Kriechbaum noch dem mediävistischen „Opus magnum“ Hermann Langes – „Das römische Recht im Mittelalter“ –, erschienen in zwei Bänden, wovon eines die Glossatoren und das andere die Kommentatoren behandelt. So zitierte sie die Worte Langes, dass das Werk „eine seit langem fehlende neue Darstellung des römischen Rechts im Mittelalter zum Gegenstand hat“. Er habe es vermocht, die von Savigny erst ansatzweise vorgelegte Literaturform der Gelehrtengeschichte zu einer Geschichte von Juristen zu formen, deren Rechtsdenken praktischer rechtlicher Problembewältigung diente. Kriechbaum schloss ihren Vortrag mit folgender Feststellung: „Bei all seinen historischen Interessen und seinen historischen Genauigkeiten war Hermann Lange am mittelalterlichen Recht als Jurist interessiert – wie wenige andere Rechtshistoriker […] Sein juristisches Interesse war verbunden mit einer großen Urteilskraft. Damit hat er die rechtsgeschichtliche Mediävistik enorm und nachhaltig bereichert.“
Im Anschluss durften sich die Anwesenden über einen Vortrag von Prof. Gottfried Schiemann, bis 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäische Rechtsgeschichte und Versicherungsrecht an der Universität Tübingen, mit dem Thema „Dogmatik für ein ‚Lückenmeer’: Hermann Lange und das allgemeine Schadensrecht“ freuen.
Ausgangspunkt seines Vortrages war die besondere Lage des Schadensersatzrechts in den Jahren 1985/86, die zu der Entscheidung des Großen Senates für Zivilsachen am 9. Juli 1986 geführt habe, die Entschädigung für den abstrakten Nutzungsausfall zwar zu billigen, aber auf Gegenstände von „zentraler Bedeutung für die private Lebensführung“ zu beschränken. So wurden die „Wandlungen des Schadensersatzrechts“ zum Thema für das Treffen der Karlsruher Juristischen Studiengesellschaft mit der Juristischen Fakultät Tübingen am 3. November 1986 und für den Vortrag Hermann Langes, Verfasser des 1979 in 1. Auflage erschienenen Handbuchs „Schadensersatz“. In seinem Vortrag bezeichnete Lange die wenigen Vorschriften des BGB zum allgemeinen Schadensrecht seit dem Jahre 1900 mit den Worten: „Bereits aus damaliger Sicht ein Lückenmeer“.
Zu diesem treffenden Bild der dürftigen gesetzlichen Regelung meinte Schiemann: „Der Jurist muss sich dort wie ein Kapitän auf offenem Meer fühlen.“ Wie aber könne dem Juristen die Dogmatik helfen, einen Kurs zu finden – oder liefe er dabei Gefahr, auf der Suche nach Indien nur Amerika zu entdecken? Hermann Lange habe mit souveränem Überblick maßgebend dazu beigetragen, dort, wo das Gesetz im allgemeinen Schadensrecht den Juristen im Stich lasse, auf den Schatz der Begriffe und Denkfiguren zurückzugreifen, die vielfach schon vor dem BGB vorhanden waren.
Als Beispiel dafür, wie auch das System der gesetzlichen Vorschriften es erleichtern kann, mit der Hilfe Hermann Langes den richtigen Kurs zu finden, widmete sich der Referent der aktuellen Frage nach der Ersatzfähigkeit fiktiver Reparaturkosten. Mit einschlägigen Zitaten aus Langes Handbuch lasse sich ferner das genauso aktuelle Problem der Vorteilsausgleichung in den Diesel-Abgas-Fällen sicher beurteilen. So diene das Handbuch des Schadensrechts noch immer dem im Vorwort von Lange bezeichneten Ziel, „durch die Herstellung dogmatischer und systematischer Zusammenhänge einem Zerfließen des Schadensrechts in unverbunden nebeneinanderstehende Einzelprobleme entgegenzuwirken.“ Mit diesem Ziel vor Augen gelingt der Dogmatik gemäß der treffenden Kursbestimmung Langes das Wichtigste: die stimmige und befriedigende Lösung des Einzelfalles.
Ein großer Dank gilt den engagierten Vorträgen von Prof. Maximiliane Kriechbaum und Prof. Gottfried Schiemann, die eindrucksvoll Langes Forschungsschwerpunkte aufgegriffen und ihm nicht nur als außerordentlichen Rechtshistoriker, Wissenschaftler und Professor, sondern auch als herausragender Persönlichkeit gedacht haben.
Bericht: Emely Nann