Juristische Fakultät

02.11.2023

Auftaktvortrag des Forum Junge Rechtswissenschaft mit Dr. Jennifer Trinks, Maître en droit (Paris II), LL.M. (Yale)

Dr. Jennifer Trinks, Maître en droit (Paris II), LL.M. (Yale)

Am vergangenen Donnerstag, dem 26. Oktober 2023, lud das Forum Junge Rechtswissenschaft zur ersten Veranstaltung der Vortragsreihe im Wintersemester 2023/24 ein. Dr. Jennifer Trinks, Maître en droit (Paris II), LL.M. (Yale) teilte ihre Forschungsansätze zum Thema "Schadensberechnung als Herausforderung – Insolvenzverschleppungshaftung im deutschen und spanischen Recht". Damit gewährte sie Einblick in ihr laufendes Habilitationsprojekt, in dem sie Ermessen von Gerichten im Rahmen unternehmerischer Streitigkeiten untersucht.

Die Berechnung insbesondere des Quotenschadens im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung werde als ,,praktisch undurchführbar“ (Schanze, AG 1993, 380) und ,,totes Recht“ (K. Schmidt, NZG 2015, 129, 130) kritisiert. Trinks geht deshalb der Frage nach, inwieweit eine ,,Wiederbelebung“ dieses toten Rechts durch mehr Ermessen bei der Schadensberechnung herbeigeführt werden könnte. Ein Blick nach England zeige, dass richterliches Ermessen zumindest in einer Common Law-Rechtsordnung funktionieren könne. Das englische Gesetz erlaube dem Richter, Geschäftsleiter im Falle eines wrongful trading zu einer Beitragsleistung zu verurteilen, wie sie das Gericht für angemessen halte (,,as the court thinks proper“); dieses Ermessen habe die Rechtsprechung konkretisiert. Um herauszufinden, wie eine Civil Law-Rechtsordnung mit vergleichbarem Ermessen zurechtkommt, wandte die Referentin den Blick sodann ins spanische Recht.

Einleitend legte Trinks die Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung im Rahmen der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 823 II BGB i.V.m. § 15a InsO dar. Den Ausgangspunkt bildete § 249 BGB. Typischerweise erlitten die Gläubiger einen sogenannten Quotenschaden, d.h. sie erhalten aufgrund der Verzögerung der Insolvenzantragstellung eine geringere Insolvenzquote, als sie bei rechtzeitiger Antragstellung erhalten hätten. Die Ermittlung der hypothetischen Insolvenzquote bei rechtzeitiger Antragstellung gestalte sich in der Praxis allerdings schwierig. Aufgrund des sehr hohen Aufwands im Vergleich zum meist geringen Gewinn machten nur wenige Gläubiger ihren Anspruch geltend; auch soweit im laufenden Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter zuständig ist, lohne sich die Anspruchsverfolgung kaum. Der Bundesgerichtshof habe daher 1994 den Anspruch jedenfalls der vertraglichen Neugläubiger auf den Ersatz ihres – wie er es nennt – Vertrauensschadens erweitert, damit aber auch nur einen Teil der Schwierigkeiten gelöst und neue Folgeprobleme geschaffen. Die Praxis weicht inzwischen weitgehend auf den Erstattungsanspruch infolge von Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung aus (§ 15b IV InsO).

Beim spanischen Äquivalent zur Insolvenzverschleppungshaftung, der sogenannten Haftung auf das Defizit, scheine die Haftungsbemessung besser zu gelingen. Nach Art. 456.1 Texto Refundido de la Ley Concursal kann der Richter Geschäftsleiter und verschiedene andere Akteure, die für die Insolvenz verantwortlich waren, zur vollständigen oder teilweisen Deckung des Defizits verurteilen. Bei seiner Einführung eröffnete der Normtext noch breite Entscheidungsspielräume. Einige Literaturstimmen und Gerichte hätten die Haftung daher als Zivilstrafe verstanden, deren Betrag nach freiem Ermessen mit Blick auf das konkrete Fehlverhalten festzusetzen war. Nach einer Gesetzesänderung bestimme sich der zu zahlende Betrag inzwischen allerdings danach, in welchem Maße das Verhalten der einzelnen Person die Insolvenz verursacht oder vertieft hat. Obschon Ermessen damit weitgehend aus dem spanischen Insolvenzverschleppungsrecht verschwunden sei, hätten Literatur und Rechtsprechung zuvor doch einen Weg gefunden, dieses Ermessen auszufüllen und pragmatisch anzuwenden.

In jedem Fall bedürfe die Bemessung der Haftung aber präzisierender Kriterien und einer pragmatischen Handhabung. Die Rechtsvergleichung liefere dazu wertvolle Ansatzpunkte. Im deutschen Recht müsse dazu insbesondere § 287 ZPO berücksichtigt und handhabbar gemacht werden. Das begeisterte Publikum diskutierte die verschiedenen Ansätze eingehend mit der Referentin.

 

Victoria Schwarzer

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