Anschließend referierte Prof. Christian Picker zum Thema Funktionalität des gesetzlichen Mindestlohns. Vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels bei der Mindestlohnfindung, eingeläutet durch das Mindestlohnerhöhungsgesetz der „Ampel“-Koalition aus dem Jahre 2022, untersuchte Picker die verschiedenen Funktionen des gesetzlichen Mindestlohns und die Mindestlohnkonzeption.
Zunächst aber dankte er Prof. Hermann Reichold für die Schaffung des Arbeitsrechtstags und kündigte an, den Arbeitsrechtstag in den kommenden Jahren in seiner bewährten Form fortzuführen. Einleitend ging Picker auf die Situation im Niedriglohnsektor vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein. Im Falle des Versagens der Tarifautonomie bestehe eine subsidiäre Regelungskompetenz des Staates zur Schaffung eines Schutzkonzepts. Die staatliche Intervention stelle jedoch einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG dar. Als mögliche Funktionen des gesetzlichen Mindestlohns diskutierte Picker zunächst das Ziel der Gewährleistung eines „gerechten“ Lohns, die sozialrechtliche Bedarfsgerechtigkeit und schließlich die Verhinderung von „Lohndumping“. Danach stellte Picker dem Konzept der vertraglichen Austauschgerechtigkeit das der sozialstaatlichen Bedarfsgerechtigkeit gegenüber. Letzteres lasse im Gegensatz zu ersterem keine Tarifdispositivität und Ausnahmen zu. Er resümierte, der gesetzliche Mindestlohn sei eine zulässige Notlösung – aber kein Allheilmittel. Vielmehr sei es gerade auch im Niedriglohnsektor notwendig – anstelle staatlicher Intervention – auf die kollektive Selbsthilfe zu setzen und eine „Revitalisierung“ der Tarifautonomie zu erreichen.