Mit dem Vortragsthema „Die Krise als Krisenzeit des Insolvenzrechts?“ behandelte Laukemann die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Insolvenzrechts in verschiedenen Krisenlagen.
Als ersten Krisentypus, den Laukemann „Massekrise“ nennt, wird der Fall beschrieben, dass das Schuldnervermögen voraussichtlich nicht ausreicht, um die Kosten eines Insolvenzverfahrens zu decken und damit dessen Eröffnung trotz materieller Insolvenz des Schuldners unterbleibt. Die „Massekrise“ sei, so Laukemann, eine strukturelle Dauerkrise des deutschen Insolvenzverfahrens, die sich in allgemeinen Krisenzeiten besonders zuspitze. Häufig gehe die „Massekrise“ mit Insolvenzverschleppungen einher – als Befund bleibt ein Funktionsverlust des Insolvenzverfahrens. Da der sofortige Marktaustritt insolventer Kapitalgesellschaften zum Schutz anderer Marktakteure in solchen Fällen ausbleibe, ist das Insolvenzrechts nicht imstand, seine makroökonomische Aufgabe, die Marktbereinigung, zu erfüllen. Das Fehlen eines Insolvenzverwalters führe zudem dazu, dass Vermögensmanipulationen und Wirtschaftsstraftaten unentdeckt blieben. Problematisch sei im Fall der Massearmut insbesondere, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz dem Prinzip der Einzelzwangsvollstreckung weichen müsse. Des Weiteren setze die geringe Haftungswahrscheinlichkeit für Anteilseigner Anreize für opportunistisches Verhalten und gläubigerschädigendem moral hazard. Dies beweise, so Laukemann, eklatante Rechtsstaatlichkeitslücken, die dringend zu schließen seien. Dies gelänge allerdings nur, wenn die klassischen haftungs- und verfahrensrechtlichen Instrumente effizienzsteigernd ergänzt würden, etwa um Elemente des Versicherungsrechts.
Als zweitem Krisentypus widmete sich Laukemann der Krise systemrelevanter Akteure. Das Insolvenzrecht zeige sich hier unterschiedlich leistungsfähig. Laukemann veranschaulichte dies durch Ausführungen zur Leistungsfähigkeit von Sonderfahren in der Insolvenz systemrelevanter Banken und der strukturellen Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge am Beispiel der Krankenhausinsolvenz. Zusammengefasst komme es darauf an, ob und wie weit krisenrelevante Faktoren ausgeprägt sind, wie beispielsweise die Komplexität der Vermögensstrukturen, Ansteckungseffekte, die Dynamik des Krisengeschehens oder das Steuerungspotential der Akteure. Bei großer Ausprägung dieser Faktoren bedürfe es eines Sonderregimes, das sich an den insolvenztypischen und erprobten Regeln der Verlustzuweisung und dem Ziel der Haftungsverwirklichung orientieren solle.
Im Anschluss folgten Überlegungen zur Systemkrise am Beispiel der Corona-Pandemie. Typisch für eine Systemkrise sei der Wegfall der insolvenzrechtlichen Funktionsbedingungen, zu denen Laukemann nicht nur leistungsfähige Sozialsysteme, sondern auch marktwirtschaftliche Strukturen, allen voran eine kreditbasierte Wirtschaft, zählte. Komme es zu einer Vielzahl von Insolvenzen, drohten Ansteckungseffekte und damit eine Risikopotenzierung zulasten anderer Marktteilnehmer oder der Gesellschaft im Ganzen. Damit verwirkliche sich in der Systemkrise nicht mehr das allgemeine Insolvenzrisiko allein, so Laukemann. Der Gesetzgeber habe während der Corona-Pandemie mit der Aussetzung der Pflicht zur Stellung von Insolvenzanträgen schnell reagiert. Das Insolvenzrecht erfülle auch bei Aussetzung der Antragspflicht und weiteren Modifikationen in Systemkrisen eine wichtige Ordnungs- und Marktbereinigungsfunktion und solle, neben wie anstelle staatlicher Hilfen, noch stärker berücksichtigt werden. Die Dringlichkeit des gesetzgeberischen Handels führe zwar dazu, dass zunächst eine Gleichbehandlung von Ungleichem in solchen Fällen unvermeidlich ist. Dies sei nicht nur Ausdruck pragmatischer Notwendigkeit, sondern ggf. auch einer rechtspolitischen Prioritätensetzung, etwa bezogen auf den Erhalt von Arbeitsplätzen. In schwer vorhersehbaren und sich wandelnden Krisenverläufen sei regulatorische Zielanpassung unbedingt notwendig, um von einer Systemstabilität zu inhärenter Systemgerechtigkeit zu gelangen und dem Gleichheitssatz wieder zunehmend Geltung zu verschaffen.
In Anbetracht dieser Aspekte beurteilte Laukemann die Idee eines krisenübergreifenden Sonderinsolvenzrechts aufgrund der Eigengesetzlichkeiten jeder Krise als wenig überzeugend. Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, hätten mit Ausbruch der Corona-Pandemie ihre Fähigkeit bewiesen, auf eine Krise ohne greifbaren Erfahrungshorizont rasch, im Gesamten wirkungsvoll und dynamisch zu reagieren. Das deutsche Insolvenzrecht könne selbstbewusst für sich werben, so Laukemann.
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