16.05.2022
Ein Hauch von Frühling im katholischen Arbeitsrecht?
Frühjahrssitzung der Juristischen Gesellschaft im Zeichen des Aufbruchs
Am Dienstagabend lud die Juristische Gesellschaft zu ihrer diesjährigen Frühjahrssitzung im Großen Senat der Universität Tübingen ein.
Vor einem gut gefüllten Saal referierte Gastgeber Prof. Hermann Reichold zum Thema „Aufbruch zu einem neuen Arbeitsrecht der katholischen Kirche – Aktuelle Fragen einer Reform der ‚Grundordnung‘.
Kurzweilig und prägnant umriss er zunächst die Entstehung des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts als weltweit einzigartiges „Sonderrecht“. Bereits in der Weimarer Reichsverfassung habe man die Institution Kirche als halbstaatliche Ordnungsmacht mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen angelegt. Diese Rolle sei durch die Väter des Grundgesetzes fortgeschrieben worden, beinhalte jedoch nicht zwingend die Entwicklung arbeitsrechtlicher Sonderregelungen. Dennoch hätten sich in Deutschland einzigartige arbeitsrechtliche Besonderheiten herausgebildet, die es der Kirche als Dienstgeber unter anderem erlaubt hätten, ihren Mitarbeitenden spezielle kirchlich veranlasste Treuepflichten aufzuerlegen.
Gemeinhin spricht die Rechtswissenschaft in diesem Zusammenhang vom „Dritten Weg“ des kirchlichen Arbeitsrechts, der vor allem in der Tarifschlichtung ohne Arbeitskampf auskommen möchte. Zentral in der Abgrenzungspolitik der Kirchen vom „weltlichen“ BGB-orientierten Arbeitsrecht war laut Reichold der Begriff der „Dienstgemeinschaft“, der suggeriere, man könne mit kirchlichen Mitarbeitern „anders und gegebenenfalls schroffer“ umgehen als mit weltlichen Arbeitnehmern.
Im Laufe der Zeit sei der kirchliche „Dritte Weg“ allerdings zunehmend kritischer betrachtet worden, führte Reichold aus. Zum einen hätten sich die Gewerkschaften insbesondere aus politischen Gründen auf Mitarbeiterseite für mehr Mitbestimmung und für ein Streikrecht eingesetzt. Zum anderen habe aus rechtlicher Perspektive eine europarechtlich forcierte Erosion des kirchlichen Arbeitsrechts stattgefunden.
Anhand aktueller Fälle höchstrichterlicher Rechtsprechung, darunter der populäre, dem EuGH vorgelegte „Chefarzt-Fall“ sowie der ähnlich gelagerte Fall des Organisten Schüth, skizzierte Reichold die rechtliche Entwicklung weg von einem umfassenden „Transzendenzschutz“ hin zu einem echter Rechtskontrolle unterliegenden Tendenzschutz der Kirchen als Dienstgeber. Der grundrechtlich geschützte Kernbereich privater Lebensführung von Mitarbeitern sei demnach grundsätzlich dem Einflussbereich des Dienstgebers entzogen, eine „Kündigungsorgie“ beispielsweise infolge kirchlich illegitimer Eheschließungen oder Konfessionslosigkeit wohl in Zukunft nicht mehr denkbar.
Der Experte für das Kirchenarbeitsrecht konstatierte, dass sich die katholische Kirche einer Öffnung und Lockerung der Loyalitätspflichten ihrer Mitarbeiter lange entgegengestellt habe. Noch die Grundordnung aus dem Jahr 2015 sei von einer Haltung des Misstrauens und der Defizitorientierung getragen gewesen und habe eine „Kündigungsdrohkulisse“ heraufbeschworen.
Zwischenzeitlich sei jedoch ein Wandel in der Einstellung aktueller Caritas-Theologie zu verzeichnen. Vertreten wird insbesondere, dass kirchliche Einrichtungen sich und ihr Ethos erklären können müssten. Der christliche Sendungsauftrag könne im Sinne weltoffener Caritas-Tätigkeit mit entsprechend bunter Belegschaft wahrgenommen werden und sei nicht konfessionsabhängig. Auch kirchliche Arbeitgeber wie die Caritas Berlin wissen laut Reichold die Vorteile einer vielseitigen und vielsprachigen Belegschaft zu schätzen.
Diese Aufbruchsstimmung soll sich in der neuen Grundordnung der katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst niederschlagen. Reichold begleitete den Reformprozess im Rahmen einer Arbeitsgruppe aus Sicht der Rechtswissenschaft unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung.
Er befürwortete in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass die neue Grundordnung Dienstgeber stärker in die Pflicht nehmen wird, ihrer Einrichtung ein unternehmensethisches Profil zu geben, an dem sich Mitarbeiter/innen im Sinne von „christlicher Professionalität“ orientieren könnten und sollten. Gefragt sei eine positive Verrechtlichung, die nicht den Zeigefinger hebe, sondern beide Hände werbend nach der Belegschaft ausstrecke, um das christliche Werk gemeinsam umsetzen zu können.
Abschließend bemühte der Referent die Anekdote über drei Steinmetze, die am Bau des Münsters in Freiburg mitwirkten. Auf die Frage, was sie gerade täten, gaben alle drei unterschiedliche Antworten und arbeiteten doch zusammen am selben Projekt. Darauf komme es letztlich an, schloss Reichold, auf die Mitarbeit an einem sinnvollen Projekt.
Daraufhin leitete Prof. Michael Droege in eine lebhafte Diskussion mit der Hörerschaft über und stellte selbst die ein oder andere pointierte Frage: Sei die neue Grundordnung wirklich als Aufbruch zu begreifen oder doch eher als Flucht? Trotz der Skepsis des Kollegen blieb Reichold dem ursprünglichen Titel seines Vortrages treu und äußerte die Hoffnung, dass der positive Grundtenor des Reformprozesses und die kirchliche Aufbruchstimmung letztlich in Gesetz gegossen würden.
Im Anschluss an die Veranstaltung ließen die Gäste den Abend bei einem Buffet stimmungsvoll ausklingen.
Alina Rehmann
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