Im Anschluss referierte Prof. Heinrich de Wall, Direktor des Hans-Liermann-Instituts der FAU Erlangen-Nürnberg zum Thema „Staat und Kirche am Wendepunkt? Die Krise der Kirchen, das Kirchenrecht und die Religionsverfassung“. Nicht nur der Mitgliederverlust und die sinkende Finanzkraft der Kirchen, sondern auch die zunehmende Politisierung ihrer Willensbildungsprozesse seien Anlass zur Besorgnis. Aufgabe des Rechts sei, in diesen Veränderungsprozessen Instrumente zu schaffen, die diese Krisen bewältigen. Dabei sei juristische Kreativität statt Limitierung durch das Recht gefragt. Die komplexe kirchliche Organisationsgestalt und die bedrückende Vielfalt der Aufgaben seien große Herausforderungen, die sich auf verschiedene Ebenen der Kirche wiederfinden würden. Auf Ebene der Gemeinde bestehe die Aufgabe die Identität der einzelnen Gemeinde zu wahren, aber gleichzeitig die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden zu stärken, um gemeinsame Lösungen zu finden. Lösungsvorschläge für den Pfarrermangel wie die Eröffnung des Pfarrerberufs für Menschen ohne Theologiestudium seien zumindest zu diskutieren. Die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Landeskirchen, wo sich die Unübersichtlichkeit in der Regel kumuliere, seien dabei sehr beachtlich, so de Wall. Für die Landeskirchen bestehe die Aufgabe, einen transparenten Organisationsrahmen zu schaffen und die lebenspraktische Bindung an die Mitglieder vor Ort zu wahren. Das Problem der hohen Komplexität der kirchlichen Organisationsstrukturen spiegele sich auch im Verhältnis zwischen den Landeskirchen und dem EKD wider und sei sogar ein globales Problem, jedenfalls im Protestantismus. Hohe Bürokratie und die staatsanaloge Zuspitzung grotesk detaillierter Regelungen würden zu Ineffizienz führen. Man solle sich fragen, welche Regelungen wirklich notwendig seien und die Gefahr von Regelungslücken durch ein stärkeres Vertrauen in die Kirchenämter und Amtsträger kompensieren. Um Lösungen zu finden und die Weiterentwicklung der Kirche zu gewährleisten, sei es notwendig, die gesammelten Erfahrungen zu analysieren und in zentralen Austauschforen zu diskutieren. Kommunikation sei hier der Schlüssel. Angesichts der sinkenden Finanzkraft der Kirche sei zu überlegen, ob es ein alternatives Kirchensteuermodell gebe, denn nicht nur die Finanzierung der kirchlichen Ämter, sondern auch der Instandhaltung von Gebäuden oder der kirchlichen KITAs sei in Gefahr. Auch die immer strengeren bürokratischen Auflagen und Datenschutzvorgaben seien für viele Gemeinden eine große Herausforderung. Die verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmung drohe erstickt zu werden, so de Wall. Zusammenfassend stellte de Wall fest, dass vielfältige Probleme in den Details stecken und zitierte hierzu Heckel: „Die Zucht des Konkreten führt in die Tiefe des Prinzips und lehrt das Maß der Dinge.“