Aktuelles
05.04.2025
Bericht zur Veranstaltung „Der Beitrag des Religionsunterrichts an Beruflichen Schulen für Demokratiebildung und Antisemitismusprävention“
Am Donnerstag, 20.03.2025 luden das KIBOR und das EIBOR zu einem Podiumsgespräch angesichts der Frage nach dem Beitrag des Religionsunterrichts an beruflichen Schulen für Demokratiebildung und Antisemitismusprävention. Geladen waren sechs Podiumsgäste aus Politik, Schule, Wissenschaft und den Kirchen. Der Veranstaltung im Theologicum wohnten ca. 100 Interessierte vor Ort und per Videoübertragung bei.
„Es verschiebt sich gerade etwas“
Nach freundlicher Begrüßung der Leitungsteams der Schwesterinstitute KIBOR und EIBOR, Reinhold Boschki und Simone Hiller, sowie Friedrich Schweitzer und Hanne Schnabel-Henke, eröffnete Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben, die Veranstaltung inhaltlich und wies dabei auf aktuelle antisemitische und demokratiefeindliche Gefahren, insbesondere im medialen Raum, hin. „Es verschiebt sich gerade etwas“, war eine seiner Beobachtungen, unter Verweis auf das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Deutschland, Europa und der Welt und der damit verbundenen Verschiebung von gesellschaftlichen Sagbarkeitsgrenzen. Exemplarisch nannte er dafür die aktuelle Verbreitung des latent antisemitischen Deep-State-Verschwörungsmythos (verwiesen sei hier auf den Blog-Beitrag von Blume zum Thema, s. Link unten). Dem sei mit „Herzensbildung“ und Empathie zu begegnen. Aber auch mit Wachsamkeit und Kritik.
Einen Einblick in die schulische Praxis, wie Antisemitismusprävention und Demokratiebildung in der Schulkultur innerhalb und außerhalb des Unterrichts verankert werden können, stellte Anne Gsell, Schulleiterin der Max-Eyth-Schule Stuttgart, im Anschluss vor. Besonders das Fach Religion bringe sich hierbei in Projekten und Seminarkursen gewinnbringend zu den Themen ein. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass Demokratiebildung bereits dort anfange, wo man bereit ist, dem anderen zuzuhören.
„Der Religionsunterricht ist das Flaggschiff des Bildungs- und Erziehungsauftrags“
Ministerialdirigent Klaus Lorenz wurde für sein großes Engagement für die berufliche, religiöse Bildung und die Unterstützung beim Aufbau für EIBOR und KIBOR gelobt. In seinem Impuls wies er auf aktuelle Entwicklungen hin und untermauerte die Notwendigkeit des Religionsunterrichts an beruflichen Schulen, den er als „das Flaggschiff“ bei der Erfüllung des im Schulgesetz und in der Landesverfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrags beschrieb. Demokratie, wie wir sie kennen und schätzen, sei eben keine Selbstverständlichkeit, sondern fordere vielmehr den ständigen Einsatz für ihre Werte.
Eine aktuelle Studie („Jüdisch Leben“, s. Link unten) zur Erfahrungswelt von Jüdinnen und Juden in Deutschland stellte Jessica Hösel von der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg vor. Dabei zeige sich, dass Jüdinnen und Juden viel Hass, vor allem im Netz, erfahren. Sie sind dabei besonders Pauschalisierungen ausgesetzt: „Entweder pauschal als Opfer der Shoa, als Täter im Nahost-Konflikt oder exotisiert als Kultur“.
Die Einübung eines „hörenden Herzens“
Auch Vertreterinnen der Kirchen kamen zu Wort. Ordinariatsrätin Ute Augustyniak-Dürr (Diözese Rottenburg-Stuttgart) forderte „Begegnung, Begegnung, Begegnung". Eindrucksvoll schilderte sie ihren jahrelangen Einsatz für Verständigung und Begegnung. Was wir vor allem bräuchten, so ihr Resümee, sei „dass wir den anderen würdigen in seinem (anders) sein. Unser eigener Standpunkt darf sein, aber der andere muss die gleiche Bedeutung und Würde haben. Ohne Menschenwürde, ohne Zuhören, ohne Respekt kommen wir nicht zueinander." So plädierte sie für die Einübung eines hörenden Herzens.
Die besondere Rolle religiöser Bildung an Schulen unterstrich Carmen Rivizumvami von der Evangelische Landeskirche in Württemberg. Der Religionsunterricht sei ein Ort, an dem Demokratiebildung und Antisemitismusprävention stattfinden können, da er das Schulleben mitgestalte und weit über Wissensvermittlung hinausreiche. Die Frage „Wer bin ich?" ist radikal und existenziell. Deshalb brauche es eine Stärkung der Lehrer:innenbildung.
Im anschließenden Gespräch bekamen die Teilnehmenden der Veranstaltung die Möglichkeit, ihre Fragen an das Podium zu richten. Zentral war dabei die Frage nach der konkreten Umsetzung im Unterricht und im Schulleben im Allgemeinen. Der Forderungen nach einer Stärkung des Religions- und Ethikunterrichts an beruflichen Schulen musste Klaus Lorenz leider entgegenhalten, dass der Religionsunterricht nach wie vor, unter den Vorzeichen eines starken Lehrkräftemangels, immer noch das Fach mit dem höchsten Unterrichtsausfall sei.
Auf dem Podium herrschte Einigkeit ob der Frage nach mehr Empathie in aktuellen Zeiten. Ebenso große Einigkeit bestand darin, dass der (berufliche) Religionsunterricht einen erheblichen Beitrag zur Einübung von Empathie leisten könne. Die Multiperspektivität der Veranstaltung zeigte nicht nur, wie aktuell die Auseinandersetzung mit Demokratiebildung und Antisemitismusprävention ist, sondern auch, welche Anstrengungen es braucht, um diesen gewaltigen Herausforderungen zu begegnen.
Zuversicht, Begegnung, Vertrauen und Zeit
In ihren Abschlussstatements waren die Podiumsgäste aufgefordert, in einem einen Begriff aufzuschreiben, was sie aus dieser Veranstaltung mitnehmen. Diese reichten von Zuversicht (Hösel) und Vertrauen (Rivizumvami), über Begegnung (Gsell) und Zusammenhalt (Lorenz) hin zur Lehrkräfte- und Persönlichkeitsentwicklung (Augustyniak-Dürr). Blume plädierte, dass man sich bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen Zeit nehmen müsse: „Nehmen Sie sich Zeit für das Thema Zeit.“
Abschließend verabschiedete Albert Biesinger, Gründer des KIBOR, Ministerialdirigent Klaus Lorenz in den Ruhestand, verbunden mit einem Dank für die Zusammenarbeit und Unterstützung. Symbolisch überreichte Biesinger einen Engel an Klaus Lorenz, da er ein Engel für die religiöse Bildung an beruflichen Schulen ist.
Weiterführende Links:
Blogbeitrag von Michael Blume zum Deep-State-Verschwörungsmythos: https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/der-deep-state-verschwoerungsmythos-fossilismus-und-verfassungskrise-in-suedkorea/
Studie „Jüdisch Leben“: https://www.hfjs.eu/juedischleben.html