In Zeiten gefühlter gesellschaftlicher Polarisierung und zunehmend ins Bewusstsein rückender Umweltkrisen werden bisherige moralische Gewissheiten fraglich. Es besteht der Bedarf nach der Vergewisserung und Verständigung der gemeinsamen moralischen Grundlagen sowie nach der Begründung von Handlungsoptionen, um auf die bevorstehenden Herausforderungen eingehen zu können. Damit entsteht auch eine Aufgabe für die bisherige universitäre Ethiklehre. Lehrveranstaltungen sind zunehmend divers und Studierende mit unterschiedlichen Wertvorstellungen Bildungserfahrungen und kulturelle Identitäten treffen aufeinander. Es gilt die ethische Kompetenz der Studierenden zu stärken, Raum für die vertiefte Bearbeitung moralischer Fragen zu schaffen, ethische Entscheidungs- und Verständigungsprozesse anzuregen und die Studierenden bei ihrer Mediennutzung abzuholen. Studierende sollen bestärkt werden in ihren Disziplinen wie auch ihren künftigen Arbeits- und Handlungsfeldern mit strittigen Themen umgehen und sie argumentativ bearbeiten zu können.
Das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) bietet seit 30 Jahren Ethikkurse für unterschiedliche Studiengänge an und hat dabei Erfahrungen in der interdisziplinären Ethikvermittlung gesammelt. Studierende müssen sich zunächst mit den Begrifflichkeiten (›ethisches Vokabular‹) und den Methoden der ethischen Urteilsbildung (›ethische Grammatik‹) vertraut machen, bevor sie in die Diskussion konkreter Herausforderungen in Wissenschaft und Gesellschaft einsteigen können. Es hat sich gezeigt, dass sich die Präsenzphasen von Seminaren hervorragend für die direkte Auseinandersetzung und das Argumentieren eignen, weniger aber für das Erlernen von ›Vokabular und Grammatik‹.
Das Projekt entwickelt medial anspruchsvolle und ansprechende Lehr-Lern-Einheiten (zur praktischen Bedeutung von ethischer Reflexion, grundlegenden ethischen Ansätzen sowie zu ethischer Argumentation), in denen sich die Studierenden ›Vokabular und Grammatik‹ in ihrer Geschwindigkeit im Selbststudium im Flipped Learning aneignen können, bevor sie in die Präsenzphasen der Kurse kommen. Die Module sollen so gestaltet sein, dass sie in interdisziplinären Lehr-Lern-Kontexten eingesetzt werden können, sprich also Studierende ansprechen, die bisher wenige, bis keine Erfahrungen mit den Arbeitsformen der Ethik gesammelt haben. Idealerweise sprechen sie auch Lehrende an, die Interesse an Fragen der Ethik besitzen, selbst aber keinen philosophischen Fachhintergrund haben. Erfolgreich können Flipped Learning Konzepte nur sein, wenn sich Lernende auch wirklich vorbereiten und Gelegenheit haben, ihr Verständnis zu überprüfen. Flipped Learning fordert Studierende, den Lernprozess selbständig zu gestalten und überdenken. Dazu sind sowohl reflektierende (problemorientierte) und reflexive (selbstorientierte) Fähigkeiten erforderlich. Zudem ist Lernen ein sozialer Prozess und erfordert authentische Problemstellungen und Gelegenheit zum Austausch. Ziel ist es, die Lernaktivitäten so zu gestalten, dass die Präsenzzeit für ergebnisorientierte Zusammenarbeit, Fragen, Diskussion, Austausch von Ideen, Sichtweisen und Standpunkten genutzt werden kann. Daher sollen die Selbstlernmodule durch Medienvorlagen für gezielte Arbeitsaufträge und Gestaltungsideen für Vorlesungen, Seminare und Übungen ergänzt werden, um die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.