Uni-Tübingen

07.01.2021

COVID-19: Gesichtsmasken erschweren es, sich gehörte Sätze zu merken

Forschungsprojekt des Englischen Seminars zur Sprache in Zeiten der Gesichtsmasken

Tübinger Forschungsprojekt untersucht den Einfluss von Gesichtsmasken auf Sprache

Gesichtsmasken sind während der COVID-19 Pandemie Teil unseres alltäglichen Lebens geworden. Thanh Lan Truong, Dr. Sara Beck und Prof. Dr. Andrea Weber vom Englischen Seminar der Universität Tübingen haben jetzt untersucht, wie sich das Tragen von Masken auswirkt auf die Enkodierung von sprachlicher Information.

In der Studie wurde untersucht wieviel sich Hörerinnen und Hörer merken können von Sätzen, die in kurzen Videos von einer Sprecherin mit und ohne Gesichtsmaske gesprochen wurden. Lippen- und Kieferbewegungen enthalten linguistische Informationen. Verschlossene Lippen signalisieren zum Beispiel eine bilabiale Artikulationsstelle, wie in den Lauten /p/ oder /m/. Gleichzeitig korreliert die Offenheit des Kiefers mit der Vokalhöhe: weit geöffneter Kiefer für den Vokal /a/ und mehr geschlossener Kiefer für /i/. Diese visuelle Sprachinformation ist komplementär zum gehörten Sprachsignal und wird während der Sprachverarbeitung automatisch integriert. Gesichtsmasken verdecken nun visuelle Sprachinformationen und können so das Zuhören erschweren.

Untersucht wurde ob – unter diesen erschwerten Hörbedingungen – übergeordnete kognitive Prozesse negativ beeinflusst werden, beispielsweise die Enkodierung von Gehörtem im Gedächtnis. Dazu schauten sich die an der Studie Teilnehmenden Videoaufnahmen einer erwachsenen Sprecherin an, die kurze Sätze wie „Die Köchin hilft montags den armen Kindern“ mit und ohne Maske gesprochen hat. Nach einem Block von Sätzen wurden allen die geschriebenen Satzanfänge noch einmal gezeigt und sie mussten die Sätze vervollständigen. Dabei kam heraus, dass die Teilnehmenden signifikant weniger Wörter in den Sätzen vervollständigen konnten, wenn die Sprecherin eine Maske getragen hatte. Die Ergebnisse werden als Beleg dafür interpretiert, dass Masken die Verarbeitung von Sprache erschweren und somit weniger kognitive Ressourcen verfügbar bleiben, um Gehörtes im Gedächtnis abzuspeichern.

„Es gibt eine direkte Relevanz der Ergebnisse für viele alltägliche Kommunikationssituationen, von der Schule bis zum Arztbesuch“, erklärt eine der Autorinnen der Studie, Prof. Dr. Andrea Weber. „Interessant war für uns auch, dass die Ergebnisse nicht per se zurückzuführen sind auf schlechtere Verständlichkeit des auditiven Sprachsignals mit Maske, sondern wirklich auf das Fehlen der visuellen Informationen durch die Maske. Unsere Sprecherin hatte durchwegs deutlich gesprochen und die Aufnahmen wurden in einem schallgedämpften Raum gemacht. In weiteren Tests haben wir gefunden, dass unter diesen Bedingungen, das akustische Sprachsignal durch die Maske kaum beeinflusst wurde und Hörerinnen und Hörer keinerlei Schwierigkeiten hatten die Sätze zu verstehen. Es ist also möglich, dass bei erschwerter Verständlichkeit, zum Beispiel durch Hintergrundgeräusche, festeres Maskenmaterial oder große Abstände zwischen Sprechern, die negativen Auswirkungen von Masken auf das Behalten von Informationen noch stärker sind.“

Die Studie "Truong, T. L., Beck, S. D., & Weber, A.: The impact of face masks on the recall of spoken sentences." wurde vom Fachmagazin Journal of the Acoustical Society of America akzeptiert und die Ergebnisse werden dort publiziert. Die Studie wurde als Teilprojekt des SFB 833 Bedeutungskonstitution von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert..

Weitere Studien in Arbeit

Seit der Einreichung der Ergebnisse beim Journal of the Acoustical Society of America, haben die drei Tübinger Forscherinnen weitere Daten erhoben. So wurde der ursprüngliche Effekt von Masken auf das Gedächtnis mit einer größeren Versuchspersonengruppe repliziert und inzwischen auch bestätigt mit einer anderen Sprecherin, in diesem Fall ein neunjähriges Kind. Weitere Untersuchungen werden aktuell durchgeführt mit einem Fokus auf die Verständlichkeit von Sprechern mit Maske in lärmbelasteten Umgebungen.

Kontakt:

Thanh Lan Truong, M.A.
Englisches Seminar
Eberhard Karls Universität Tübingen
07071/29-74285
thanh-lan.truong@uni-tuebingen.de

Prof. Dr. Andrea Weber
Englisches Seminar
Eberhard Karls Universität Tübingen
07071/29-78464
andrea.weber@uni-tuebingen.de

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