Exzellenzstrategie

Die Verwissenschaftlichung der Welt

Kurzbeschreibung

Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchdringen globale, wissenschaftsähnliche Logiken und ‚Skripte’ alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens. Die Diffusion von sowie die empirisch in zahlreichen Studien nachgewiesene gesellschaftliche Orientierung an diesem globalen, kulturell-kognitiven Muster bezeichnen Vertreterinnen und Vertreter des soziologischen Neoinstitutionalismus als Scientization (Verwissenschaftung). Das Projekt „Die Verwissenschaftung der Welt“ folgt der dem neoinstitutionalistischen Theorieinventar entstammenden Scientization-These, möchte sie aber empirisch weiter unterfüttern und unter Rückgriff auf andere Theorieangebote analytisch schärfen. In empirischer Perspektive gilt es zunächst, die weltweite Diffusion von und die gesellschaftliche Orientierung an Scientization zu beschreiben und zu untersuchen, welche Rückkoppelungseffekte Scientization auf die wissenschaftliche Wissensproduktion selbst hat. In einem zweiten Schritt soll Scientization als analytische Perspektive etabliert werden. Scientization wird zu diesem Zweck begrifflich von einer älteren, limitierteren und enger an den Nationalstaat gebundenen Form der Verwissenschaftlichung (Scientification) unterschieden und als spezifische Form des Regierens und Regiertwerdens etabliert.

Mit seinem erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkt widmet sich das Projekt vor allem den Wechselwirkungen und der Dynamik zwischen Massen(aus)bildungssystemen und der insbesondere durch internationale Organisationen beförderten Diffusion von wissenschaftsbasierten Skripten in alle Bereiche des menschlichen Daseins. So untersuchen Alexander Wiseman und sein Team Scientization-Diskurse in verschiedenen Erziehungs- und Bildungssystemen in vergleichender Perspektive. Petra Bauer und Bernhard Schmidt-Hertha wenden sich der Rationalisierung des life managements (Bauer) bzw. Scientization-Prozessen in der Erwachsenenbildung in Form von Effizienz- und Outcomeorientierung zu (Schmidt-Hertha). Martin Harant und Philipp Thomas nehmen die Orientierung an wissenschaftsbasierter Sprache in der Lehrerbildung in den Blick und Karin Amos und Anne Rohstock fokussieren auf die Algorithmisierung und Digitalisierung des Menschen und weiter Bereiche der Erziehungs- und Bildungssysteme als spezifische Form von Scientization in erziehungswissenschaftlicher und historischer Perspektive. Der Mediation des Algorithmus in der Literatur ist das Projekt von Christoph Reinfandt gewidmet, während Ingrid Hotz-Davies den Literary New Materialism als Form und Facette von Scientization beschreibt.

Dass Scientization als kulturell-kognitives Muster zwar weltweit zu beobachten ist, dennoch aber spezifische Ausprägungen in unterschiedlichen Kontexten erfährt, insgesamt auch mit Widerständen rechnen muss und im wahrsten Sinne des Wortes „Verlustgeschichte“ schreibt, ist ebenfalls Gegenstand der Betrachtung. So thematisiert Niels Weidtmann den bereits von Merleau-Ponty diagnostizierten Verlust der Erfahrungsdimension in einer zunehmend mechanistisch aufgefassten, verwissenschafteten Lebenswelt. Ingrid Hotz-Davies untersucht am Beispiel der Verwissenschaftlichung und Verwissenschaftung von Gender u.a. welche Selektions- und Filtermechanismen greifen, wenn hochkomplexe, wissenschaftliche Diskurse in verwissenschaftete Stereotypen (Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus) transformiert werden.