MISTAKEN IDENTITY. Identitäten als Ressourcen im zentralen Mittelmeerraum

Internationale Konferenz im Rahmen des SFB 1070 RessourcenKulturen, Eberhard Karls Universität Tübingen, ausgerichtet von den Teilprojekten B 04, B 05, C 03 am Institut für Klassische Archäologie, Schloss Hohentübingen, 17.–19.11.2016.

Die Forschung zur Magna Graecia und zu Sizilien in archaischer und klassischer Zeit versteht sich spätestens seit den 1960‐er Jahren (mit dem Beginn der ersten internationalen Kongresse zur Magna Graecia in Tarent 1961 und zu Sizilien in Palermo 1964) als eine Wissenschaft kulturellerKontaktzonen. Dabei galt die ethnische Identität der handelnden Akteure lange als Schlüssel, umMigrations‐ oder Akkulturationsprozesse in ihren Ausmaßen und Konsequenzen bewerten zu können bzw. das Auftauchen fremdartiger Gegenstände und Gebräuche überzeugend zu erklären. Dies steht bis zu einem gewissen Grad auch in Einklang damit, dass Identitäten gerade in Kontaktzonen durch die Begegnung mit Fremdem bzw. Neuem zu entscheidenden Faktoren werden. Drohen sie in Verlust zu geraten, werden Identitäten häufig prägnanter formuliert und härter verhandelt, was zur Schärfung der eigenen Identität, zu Abgrenzungen führen kann.

Allerdings definieren sich Individuen und Gruppen nicht alleine über ihre ethnische, sondern auch durch ihre soziale (Alter und Geschlecht, Beruf und Stand), politische (vgl. etwa Siedleridentitäten der apoikiai gegenüber Händleridentitäten der emporia) und religiöse (Kultgemeinschaften unterschiedlicher Reichweite) Zugehörigkeit. Diese so analytisch zu trennenden Kategorien gehören für die handelnden Akteure durchaus zusammen, können aber in unterschiedlichen sozialen Kontexten in Bezug auf andere Individuen, Objekte und Handlungen jeweils – zum eigenen Vorteil – betont und genutzt werden. Identität ist damit eine Ressource, die von den handelnden Akteuren nicht nur situativ erfahren und geformt, sondern auch verhandelt und ausgeschöpft wird.

Diese Vielschichtigkeit erschwert bzw. verhindert jedoch eine genauere Differenzierung der Identitäten antiker Akteure. Vor allem aufgrund der lange Zeit im Vordergrund stehenden ethnischen Identitäten kam es häufig zu vorschnellen und manchmal auch falschen Zuordnungen. Diese mistaken identities hatten wiederum weitreichende Konsequenzen für die Interpretationen des archäologischen Materials.

Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und der Kontakt zu Reisenden und Händlern führte zu spezifischen (Um)bildungen politischer, ethnischer, sozialer und religiöser Identitäten, die mit der üblichen Perspektive auf die Griechen, die Phönizier, die Etrusker und die
Indigenen
nicht zu fassen sind und auch unter Zuhilfenahme aktuellerer kulturwissenschaftlicher Denkmodelle schwer kategorisierbar bleiben. Ein genauerer Blick auf das Phänomen an sich, aber auch auf die Fallstricke und Falschzuschreibungen soll im Zentrum der Konferenz stehen: Worin lag die Forschung bislang nachweislich falsch? In welchen Fällen hat sich unser Bild bereits gewandelt und wie weit kommen wir tatsächlich mit dem Begriff Identität, wenn wir uns mit oben genannten Prozessen beschäftigen?

Programm

Donnerstag, 17. November 2016

17:30 Uhr

Willkommen und Einführung

Prof. Dr. Martin Bartelheim (Tübingen)Grußwort
Prof. Dr. Thomas Schäfer (Tübingen)Grußwort
18: 00 Uhr
Abendvortrag
Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke (Freiburg)"Griechische Kolonisation" zwischen Texten und Materialien: Diskurse – Forschungen – Perspektiven

Freitag, 18. November 2016

09:30 Uhr

Sektion 1

Dr. Beat Schweizer (Tübingen)Einleitung: Kulturelle Ressourcen und Identitäten
Dr. Roland Prien (Heidelberg)Identitätsstörungen? Die Ethnosdebatte in der Frühgeschichtlichen Archäologie

10:30 Uhr -

11:00 Uhr
Kaffeepause
11:00 UhrSektion 1 (Fortsetzung)
Dr. Martin Mauersberg (Innsbruck)Antike Identitätswahrnehmung im Kontext der „Griechischen Kolonisation“ – und ihr Nutzen für die moderne Forschung
Prof. Dr. Erich Kistler (Innsbruck)Das spätarchaische Haus auf dem Monte Iato (Sizilien) – Setzung einer neuen politischen Identität

12:30 Uhr -

14:00 Uhr
Mittagspause
14:00 UhrSektion 2
Dr. Veronika Sossau,
Kai Riehle, M.A. (Tübingen)
Genau das Gleiche, nur anders. Fragen zur Bedeutung der Herkunft von Dingen im Kontext der „Großen Kolonisation“
Prof. Dr. Martin Guggisberg (Basel)Fibeln, Anhänger und Ringe: Trachtschmuck und Identitätsbildung im eisenzeitlichen Kalabrien
Dr. Giulia Saltini Semerari,
Hannes Rathmann, M.A. (Tübingen)
Disentangling biological and constructed identities in the Gulf of Taranto

15:45 Uhr -

16:15 Uhr
Kaffeepause
16:15 UhrSektion 2 (Fortsetzung)
Prof. Dr. Jan Paul Crielaard (Amsterdam)Hybrid go-betweens: the role of individuals with multiple identities in cross-cultural contacts in the eastern and central Mediterranean
Dr. Christiane Nowak (Berlin)Repräsentation von Identitäten auf rotfigurigen Vasen Kampaniens

18:00 Uhr

Führung durch die Sammlung des Instituts für Klassische Archäologie
20:00 UhrDinner in der 'Tübinger Wurstküche'

Samstag, 19. November 2016

09:30 Uhr

Sektion 3

Dr. des. Frerich Schön,
Hanni Töpfer, M.A. (Tübingen)
Shaping opportunities – identity perceptions in a perspective from Punic Carthage
Dr. Lieve Donnellan (Göttingen)Migrants, colonists and natives: Disentangling the web of intercultural interaction, social transformation and identity formation in the Bay of Naples
Dr. Christian Heitz (Innsbruck)A matter of size and neighbourhood? Die Erforschung identitärer Gruppen im archaischen Binnenland Italiens

10:30 Uhr -

11:00 Uhr
Kaffeepause
11:00 UhrSektion 3 (Fortsetzung)
Dr. Andrea Roppa (Leicester)Material crossovers and entangled identities in Iron Age Sardinia
Prof. Dr. Richard Posamentir (Tübingen)Zusammenfassung und Ausblick