Deutsches Seminar

11. Nachwuchsforum: Tübingen 2004

Dialogisches Erzählen

Zum ersten Mal fand das Nachwuchsforum in Tübingen statt und trug damit der Tatsache Rechnung, daß dieser Ort inzwischen für viele auswärtige Nachwuchsleute eine Anlaufstelle ist, die sie für besondere Anlässe wieder aufsuchen. So konnte zu Beginn des Treffens am Freitag, 29. Oktober, die Abgabe der Doktorarbeit von Gudrun Felder gefeiert werden, die dazu aus Frankreich angereist war. Am Samstag, 30. Oktober 2004, schlossen die Tübinger Themen direkt daran an, als Astrid Breith zu einem Brainstorming zur Textsorte ›Einleitung‹ aufforderte: Was muß rein, was sollte rauskommen?

Workshopcharakter hatten auch die Textvorstellungen aus Tübinger Projekten. Antje Wittstock stellte uns die ›Melancholia‹-Komödie des Christian Bachmann vor und ließ uns dramatisch erfahren, wie Temperament in Szene gesetzt werden kann. Sie konnte so nachweisen, daß in der Komödie der medizinische und philosophische Diskurs, die bereits früher die Ansätze Ficinos zur Melancholie rezipiert haben, anschaulich vermittelbar ist. Drama bot auch das Thema des folgenden Vortrags, das 'Salomonische Urteil' als Fastnachtspiel. Martina Schuler stellt dabei an einem Beispiel aus der Tradition der Rosenplütschen Fastnachtsspiels vor, wie eine kommentierte Edition aussehen könnte. Wie stark in den Text eingegriffen werden soll, um ihn für ein "gemischtes Publikum" verständlich zu machen, wurde von der Schreibweise bis hin zur Kommentaranlage durch alle Stufen der Textpräsentation hindurch kontrovers diskutiert.

Eine andere Art des Dialogs stellt sich in der lateinisch-deutschen Textzusammenstellung der Handschriften dar, die Rebekka Nöcker vorstellte: Die Rezeptionsformen der ›Proverbia Esopi‹ in volkssprachlichen Fabelsammlungen erweisen sich als vielgestaltig; spannend scheint v.a. der Vermittlungsweg über Fabelkommentare in die Volkssprache und die verschiedenen Formen der Epimythienübersetzung. Die Moral aus der 'Königswahl der Frösche' (im Leipziger Äsop): Wer sins selbes herre kan gesien, / de bewart sich lichtlich vor frömder pin bzw. lateinische Non sit alterius, qui potest esse ipsius., zeigt sich als sehr wandelbar und anschlußfähig - sie könnte direkt übernommen werden in die Tugenddidaxe der Schachbücher, die Pamela Kalning anhand der Figur des Ritters auf dem Schachbrett vorführte. Denn in der deutschen Version Konrads von Ammenhausen werden durch die Auserzählung der Exempel die Tugenden neu volkssprachlich gefaßt. Henrike Lähnemann trug abschließend Überlegungen dazu vor, wie sich Beobachtungen an dem Aventiure-Gespräch des ›Parzival‹ kommunikationstechnisch fassen lassen. In diesem Zusammenhang wurde auch die obige Illustration gezeigt, die den Wolframschen Erzähler beim dialogischen Vermitteln zeigt.

Dialogisches Erzählen war auch die Arbeitsform, die sich bei dem Nachwuchsforum ein weiteres mal bewährt hat, auch durch die Bereitschaft der nicht Vortragenden, sich auf die Themen der anderen intensiv einzulassen und so eine hervorragende Kommunikationsatmosphäre zu schaffen. Weitere Teilnehmer waren Carsten Kottmann und Andres Laubinger.

PD Dr. Henrike Lähnemann
(Deutsches Seminar)