Deutsches Seminar

13. Nachwuchsforum: Tübingen 2006

Narration und Edition

Nach unserer Zürich-Fahrt im Sommer 2005 fand am 3. und 4. März 2006 wieder einmal ein Treffen des mediävistischen Nachwuchsforum im heimischen Tübingen statt, bei dem sich rund 15 Teilnehmer versammelt hatten, um Projektberichte vorzustellen und zu diskutieren. Besonders erfreulich war es, dass wir bei diesem Treffen mit Heike Sahm aus Köln und Björn Reich aus Stuttgart zwei neue auswärtige Teilnehmer begrüßen durften und so trotz der Tagung "vor Ort" einen wissenschaftlichen Austausch über die Grenzen Tübingens hinaus herstellen konnten.

Die Reihe der Vorträge wurde eröffnet von Franziska Küenzlen, die sich mit der narrativen Konzeption der Figurendarstellung in Eilharts 'Tristrant' befasste – einem Roman, dessen poetologische Konzeption von der Forschung bisher meist nur im Vergleich zu Gottfrieds von Straßburg Roman betrachtet worden ist. Innerhalb der Grenzen der Stofftradition führt der Erzähler mitunter gravierende Umakzentuierungen auf der Figurenebene durch, wie sie etwa am Beispiel des Königs Marke gezeigt wurden, der zunächst als idealer Herrscher in die Handlung eingeführt wird, dann jedoch immer stärker vom Erzähler marginalisiert und durch Verschweigen abgewertet wird. Dass sich Erzähler mitunter wesentlich deutlicher in den Vordergrund stellen, zeigte der Beitrag von Sandra Linden zum Hochzeitsnachtexkurs im 'Reinfried von Braunschweig'. In der rund 400 Verse langen exkursorischen Passage wird ein Minnekonzept entworfen, das der im 'Reinfried' vorgeführten kosmologischen minne von nature eine ethische Fundierung hinzufügt und die Minne zur Voraussetzung jeglicher Tugend werden lässt.

Eine weitere Möglichkeit narrativer Steuerung und Sinnsetzung führte Björn Reich in seinem Beitrag zur Eigennamenverwendung im 'Göttweiger Trojanerkrieg' vor. Dass die Verwendung von Namen zu einem Kernpunkt narrativer Ordnungen werden kann, wurde etwa anhand der vermeintlich falschen genealogischen Verortung von Helena, der Namensetymologie des Paris und auf der Ebene des Erzählers anhand der gezielten Verwendung des 'Wolfram-Pseudonyms' gezeigt.

Anne Auditors Beitrag zu den Autoritätenzitaten bei Johannes Rothe machte deutlich, wie ein Autor mit der Übernahme fremder Texte in seinen eigenen Wissen kulminiert und assimiliert. Mitunter werden dabei die lateinischen Autoritäten in recht wortgetreuer Übersetzung im 'Ritterspiegel' oder der 'Brustspange' wiedergegeben, oft lässt sich aber auch das Bemühen beobachten, das Zitat durch Umakzentuierungen der Intention des Zieltextes und dem neuem Kontext stärker anzunähern.In die Gattung des Fastnachtspiels führte der Beitrag von Christiane Ackermann zur Darstellung des Sultans in 'Des Turken Vasnachtspil' aus dem Rosenplüt-Corpus. In der Figurengestaltung des Türken zeigte sich eine ambivalente Alterität, da die Figur in Dienst genommen wird, um in Form einer Gesellschaftskritik Missstände im eigenen Herrschaftsbereich aufzuzeigen, für die Adel und Klerus verantwortlich gemacht werden. Wie politisch-herrschaftliche Fragestellungen literarisch zur Darstellung gelangen, zeigte auch Heike Sahms Beitrag zu Helene Kottaners Bericht über den Raub der Königskrone von Ungarn, der in der Forschung gern als erste Autobiographie einer Frau gehandelt wird. In der Frage nach der Verlässlichkeit des Textes konnten zahlreiche Inkohärenzen der Darstellung nachgewiesen werden: Während die meisten Verfasser von Selbstzeugnissen peinlich genau darauf achten, dass ihre Darstellung plausibel und logisch nachvollziehbar ist, berichtet die Kottanerin mitunter sogar von Dingen, deren Augenzeugin sie aufgrund ihrer eigenen Darstellung gar nicht gewesen sein kann, so dass die Gattungszuordnung zur 'Autobiographie' zu lockern ist.

Neben den literaturwissenschaftlichen Fragestellungen wurden auch bei diesem Treffen wieder editorische Überlegungen angestellt: So präsentierte Rebekka Nöcker die Edition des Kommentars zur Fabelsammlung des Anonymus Neveleti, wo aufgrund der Rand- und Interlinearglossen eine besondere Schwierigkeit in der Umsetzung des Handschriftenbefunds in die Druckform einer modernen Edition liegt. Diskutiert wurden vor allem die verschiedenen Rubriken des Kommentars, die unterschiedlichen Marginalienarten und die Anordnung der einzelnen Apparate. Katrin Ebinger stellte erste Überlegungen zu einer Edition des Liederbuchs WLB Don A III 18 vor, das auf 8 Blättern eine Sammlung von lateinischen und mittelniederdeutschen Weihnachtsliedern enthält. Am Beispiel des Liedes 'In dulci jubilo' wurden Vor- und Nachteile von Handschriftentranskription und normalisierter Textfassung sowie Fragen der Interpunktion diskutiert.

In das Feld der Didaktik führte schließlich der Beitrag von Pamela Kalning, die die Planung und Konzeption eines mediävistischen Proseminars zu Konrad von Ammenhausen vorstellte. Im Vordergrund standen hier Fragen der Seminarstruktur, ein Anforderungsprofil für Referate und Möglichkeiten der Leistungskontrolle.

Auch beim dreizehnten Treffen des mediävistischen Nachwuchsforums setzte sich die mittlerweile schon etablierte Tradition fort, Examensarbeiten, Dissertations- und Habilitationsvorhaben engagiert und jenseits universitärer Hierarchien zu diskutieren, Gemeinsamkeiten sowohl in der Fragestellung als auch der konkreten Durchführung der Projekte festzustellen und von den Anregungen und Ideen der anderen Teilnehmer für die eigene Arbeit zu profitieren.

Dr. Sandra Linden
(Deutsches Seminar)