Prof. Dr. Jörg Robert

Jennifer Wenninger

Kontakt: jennifer.wenningerspam prevention@student.uni-tuebingen.de

Projektbeschreibung

Frau und Freundschaft bei Sophie von La Roche – Medien, Imaginationen, soziale Praxis [AT]

Das 18. Jahrhundert gilt als ‚Jahrhundert der Freundschaft‘ und doch fokussiert sich der literaturwissenschaftliche Diskurs noch immer fast ausschließlich auf freundschaftliche Beziehungen zwischen Männern: literarische Männerfreundschaften werden vielfach zum Mythos erkoren, während Frauenfreundschaften um 1800 meist jegliche gesellschaftliche Relevanz oder gar die Existenz abgesprochen wird.
Trotz zahlreicher zeitgenössischer Gegenbeispiele sowie kultur- und sozialwissenschaftlicher Vorarbeiten findet sich in der Germanistik noch immer häufig das Argument fehlender weiblicher Autonomie, das Frauenfreundschaften zum Ausnahmefall degradiert. Insbesondere in Bezug auf die Schriftstellerin und Herausgeberin Sophie von La Roche (1730-1807) gestaltet sich dieses Forschungsdesiderat als eklatant: das Phänomen Frauenfreundschaft zieht sich leitmotivisch durch ihr Leben und Werk, bleibt mit Ausnahme einiger weniger Einzelstudien jedoch beinahe unbeachtet.

Mein Dissertationsprojekt setzt an dieser doppelten Forschungslücke an und nimmt Sophie von La Roches Gesamtwerk in den Blick: anhand ihrer Erzählungen, ebenso wie ihrer Reisebeschreibungen und Briefkorrespondenzen soll exemplarisch die Relevanz und Vielfältigkeit weiblicher Freundschaften im 18. Jahrhundert aufgezeigt werden.
Während die bisherige Forschung Frauenfreundschaften meist unter Gesichtspunkten männlicher Normen und Beziehungen betrachtet hat, geht es mir nun um einen spezifisch weiblichen Blick. Die Vertiefung der binären Geschlechterordnung um 1750 und die damit einhergehende Fokussierung der weiblichen Rolle auf Häuslichkeit und Familie limitieren die Möglichkeiten von Frauen zwar einerseits, erfordern es aber andererseits gerade, Frauenfreundschaften in ihrer eigenständigen Spezifik zu betrachten. Die Literatur – in diesem Fall die Werke Sophie von La Roches – ist zugleich Reflex, als auch Katalysator dieser neuen sozialen Realitäten und Codierungen.
In meiner Arbeit verfolge ich daher die These, dass das Phänomen Frauenfreundschaft um 1800 eng mit der aufkeimenden Schrift- und Briefkultur verflochten ist. Die zunehmende Nutzung des Privatbriefs innerhalb weiblicher Beziehungen etwa lässt sich als Reaktion auf eine limitierte Handlungsmacht verstehen; die Spezifik des Briefgenres wiederrum prägt Motivik, Erwartungen und Ideale von Frauenfreundschaften.
Ziel des Dissertationsprojektes ist es, diese Verflechtungen zwischen sozialen Praktiken weiblicher Freundschaft mit Medien- und Briefkultur offenzulegen. Auf diese Weise soll das Spannungsfeld von Imagination, Fiktion und kulturhistorischer Praxis neu erschlossen werden. Die Arbeit schließt damit nicht nur eine Lücke der Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts, sie versteht sich auch als Beitrag zu einer Gender-Geschichte der Literatur und zur Medien- und Kulturgeschichte von der Empfindsamkeit bis zur Klassik.