Baden-Württemberg polarisiert sich. Ein Blick auf die Bundestagswahlen 2025

Von Rolf Frankenberger, Tim Fröhlich, Cornelius Klodt und Bjarne Pfau

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Die extrem rechte, in weiten Teilen offen völkisch-nationalistische, fremdenfeindliche und vom Bundesamt für Verfassungsschutz gerichtsfest als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte [1] Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist die (eigentliche) Gewinnerin der Bundestagswahl 2025, bei der mit 83,5 Prozent Wahlbeteiligung ein seit 1990 nicht mehr erreichtes Niveau erlangt wurde. Mit einem Zweitstimmenanteil von 20,8 Prozent konnte die AfD ihr Ergebnis im Vergleich zu 2021 (10,3%) gut verdoppeln und realisierte das in Umfragen im Vorfeld der Wahlen prognostizierte Potential. Dabei konnte die AfD vor allem etwa 1,81 Millionen Nichtwähler*innen mobilisieren und von der Union etwa 1,01 Millionen Wähler*innen abziehen. Auch von der FDP (890.000) und der SPD (720.000) konnte die AfD Wähler*innen gewinnen, gab hingegen selbst kaum Wähler*innen ab [2].

In Baden-Württemberg war die Wahlbeteiligung mit 83,4 Prozent ebenfalls historisch hoch. Hier konnte die AfD zweistellig zulegen (+10,2 Prozent), kommt somit auf 19,8 Prozent und bleibt leicht unter dem Bundesdurchschnitt. Insgesamt erzielte sie in allen 1101 Gemeinden Zugewinne sowohl bei den Erst- als auch den Zweitstimmen. Die Zweitstimmenanteile konnte sie dabei fast überall verdoppeln, allerdings kein Direktmandat erringen, obwohl sie zumindest in Pforzheim darauf gehofft hatte.

Die Wahlergebnisse sind allerdings ungleichmäßig über das Ländle verteilt. Es zeigen sich wie schon bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 [3], den Bundestagswahlen 202 [4] und den Landtagswahlen 2021 deutliche räumliche Muster, die sich jedoch gravierend verschärft haben: Die eher ruralen Gebiete rücken nach rechts, die urbanen Zentren bleiben weitgehend resilient.

Verdoppelt, fast überall. Die Zweitstimmenanteile der AfD in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg erzielt die AfD insgesamt 19,8 Prozent und bleibt damit einen Prozentpunkt unter dem Bundesdurchschnitt von 20,8 Prozent. In nahezu allen Gemeinden hat die AfD ihr Ergebnis verdoppeln können. In 67 Gemeinden in Baden-Württemberg kommt die AfD auf über 30 Prozent, das höchste Ergebnis erzielt sie in Grömbach mit 43,7%, gefolgt von den Gemeinden Hügelsheim mit 39,65 Prozent und Bubsheim mit 38,62 Prozent. In 40 Gemeinden stellt sie die stärkste Kraft und in insgesamt 654 von 1.101 Gemeinden liegt sie sogar über dem Bundesergebnis von 20,8 Prozent. Die niedrigsten Zweitstimmen-Ergebnisse erzielte die AfD mit 6,49 Prozent in Merzhausen und 6,51 Prozent in Tübingen. Sie bleibt in insgesamt zehn Gemeinden unter zehn sowie in weiteren 78 Gemeinden unter 15 Prozent. Dazu gehören unter anderen Ulm (13,60%), Esslingen (12,99%), Karlsruhe (13,73%), Stuttgart (11,35%), Konstanz (9,91%), Heidelberg (8,81%) und Freiburg (8,75%).

Bei den Zweitstimmen lagen die Zugewinne zwischen 3,17 Prozentpunkten in Merzhausen und 24,97 Prozentpunkten in Grömbach. In insgesamt fünf Gemeinden legt die AfD bei den Zweitstimmen mehr als 20 Prozentpunkte zu. Neben Grömbach sind dies Guggenhausen und die Gemeinden Hügelsheim, Wört und Breitingen. In 97 Gemeinden gewann sie zwischen 15 und 20 Prozentpunkte und in weiteren 677 zwischen 10 und 15 Prozentpunkte hinzu.

Betrachtet man die räumliche Verteilung der Zweitstimmen und der Zugewinne, so zeigen sich sehr eindrückliche Muster, die sich vergleichbar bereits bei den vorangegangenen Europawahlen 2024 und Bundestagswahlen 2021 gezeigt hatten, sich nun aber nicht nur auf einem höheren Niveau befinden, sondern auch noch einmal verstärkt haben. In Abbildung 1 ist zu erkennen, dass insbesondere die großen und international wie universitär geprägten Städte und ihr Umland vergleichsweise resilient gegenüber der AfD sind: Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz und Ulm, insbesondere aber der Großraum Freiburg und sowie die Regionen Stuttgart und Tübingen weisen deutlich niedrigere AfD-Ergebnisse auf als der Rest des Landes. Besonders gute Ergebnisse erzielt die AfD in den eher ländlich geprägten Räumen Nordschwarzwald inklusive Pforzheim-Stadt, Schwarzwald-Baar, Zollernalb, Schwäbische Alb, Schwäbischer Wald und Hohenlohe. Letztere weisen fast durchgehen mehr als doppelt so hohe Werte auf wie die Zentren.

Und auch bei der Zunahme der Stimmenanteile finden sich erneut die fast identischen Muster, wie Abbildung 2 zeigt. Die weitaus höchsten Zuwächse hat die AfD in den Regionen, in denen sie ohnehin schon stark war, während die Zugewinne in den urbanen Zentren sehr gering ausfallen. Damit vertieft sich die Kluft zwischen ruralen und urbanen Räumen weiter und trägt zu einer Polarisierung der Gesellschaft bei, die in einigen Kommunen an den Rändern oder Übergängen zwischen den beiden Raumtypen exemplarisch greifbar wird, wie etwa in Bodelshausen im Kreis Tübingen.

Besonders eindrücklich ist diese Kluft in Abbildung 3 zu erkennen. Hier sind die Gemeinden Baden-Württembergs in drei Klassen eingeteilt. Die mittlere, hier grau dargestellte, Klasse umfasst jeweils einen Prozentpunkt plus/minus um den Bundeswert der AfD (20,8%), also von 19,8 bis 21,8 Prozent. Die grün eingefärbten Gemeinden liegen unter 19,8 Prozent und haben damit ein unterdurchschnittliches AfD-Ergebnis. Die rot eingefärbten Gemeinden liegen jeweils über 21,8 Prozent und weisen damit ein überdurchschnittliches AfD-Ergebnis auf. Mit einigen Ausnahmen, vor allem im Rheintal und im Südschwarzwald, finden sich die Hochburgen der AfD in einem breiten Gürtel, der sich um die Region Stuttgart legt. Ausgespart sind jeweils die Universitätsstädte, aber auch Oberschwaben und kleinere Einsprengsel im Nordosten Baden-Württembergs.

In diesen Regionen liegen mit wenigen Ausnahmen (wie etwa Lahr, Rastatt oder Singen am Hohentwiel) die meisten der 40 Gemeinden, in denen die AfD nach Zweitstimmen die stärkste Kraft wurde. Abbildung 4 zeigt dies deutlich. Zudem zeigt sich, dass abgesehen von den sieben Gemeinden, in denen die Grünen die stärkste Kraft stellen, Baden-Württemberg fest in Unionshand befindlich erscheint. Allerdings ist auch in vielen dieser Gemeinden die AfD sehr nahe an die CDU herangerückt.

Die AfD wird salonfähig. Auch mit ihrem Personal vor Ort

Ähnlich wie bei den Zweitstimmen kann die AfD bei den Erststimmen flächendeckend Gewinne verzeichnen. Die Zugewinne bei den Erststimmen lagen zwischen 2,95 (Tübingen) und 22,43 Prozent. In insgesamt 10 Gemeinden wird die AfD auch nach Erststimmen die stärkste Kraft: Grömbach, Gemeinde Hügelsheim, Bubsheim, Spiegelberg, Ruppertshofen, Trossingen-Stadt Großerlach, Möckmühl-Stadt, Täferrot, Lahr/Schwarzwald-Stadt. In Bubsheim gewinnt sie gar 40,09 Prozent der Erststimmen. In insgesamt 60 Kommunen kommt sie auch bei den Erststimmen auf über 30 Prozent. In 206 Gemeinden erzielt sie Ergebnisse zwischen 25 und 30 Prozent.  In vier Gemeinden legt die AfD bei den Erststimmen um mehr als 20 Prozentpunkte zu. In 86 Gemeinden legt sie zwischen 15 und 20 Prozentpunkte sowie in weiteren 617 Gemeinden zwischen 10 und 15 Prozentpunkte zu.

Am schwächsten ist die AfD bei den Erststimmen in jenen Gemeinden, in denen sie die geringsten Zweitstimmenanteile einfahren konnte: 6,06 Prozent in Tübingen und 6,22 Prozent in Merzhausen. Allerdings bleibt sie in nur 16 Kommunen unter 10 Prozent und in 96 Gemeinden zwischen 10 und 15 Prozent. In diesen Kommunen fallen auch die Zuwächse an Wählerstimmen für die AfD vergleichsweise gering aus. 

Die räumliche Verteilung der Erststimmenanteile deckt sich im Wesentlichen mit der Verteilung der Zweitstimmen, wie Abbildung 5 zeigt.

Die Erststimmenzuwächse folgen nahezu ausschließlich diesem Muster, wie in Abbildung 6 dargestellt wird. Besonders stechen dabei Gemeinden auf der Schwäbischen Alb, aber auch im Nordschwarzwald, in der Hohenlohe und bis hin zum Odenwald hervor, wo die AfD sich auch bei den Erststimmen – von hohem Niveau ausgehend – deutlich steigert, während es abermals die urbanen Räume sind, in denen AfD-Direktkandidat*innen nur geringe Chancen haben.

Dennoch wird die AfD in zehn Gemeinden auch bei den Erststimmen die stärkste Kraft. In sieben Gemeinden holen die Grünen die meisten Erststimmen, in Emmendingen die SPD und der Rest des Landes wird auch hier von der CDU dominiert, wie Abbildung 7 zeigt. Allerdings kommt auch bei den Erststimmen die AfD der CDU in einigen Gemeinden sehr nahe.

Die AfD beißt sich fest. Von der Protestwahl zur ideologischen Wahl

Betrachtet man zusätzlich die Differenzen zwischen Zweit- und Erststimme, so zeigt sich, dass die AfD in 845 Gemeinden mehr Zweitstimmen als Erststimmen auf sich vereinen konnte. Die größte Differenz betrug 5,50 Prozentpunkte in Emeringen. In fünf Kommunen allerdings waren die Prozentanteile nahezu identisch und in den restlichen 251 Gemeinden erzielte die AfD mehr Erststimmen als Zweitstimmen, wobei die größte Differenz bei -3,07 Prozentpunkten lag. Während eine Entkopplung von Zweit- und Erststimmen zugunsten der Zweitstimmen nahelegt, dass es sich entweder um eine Parteiwahl oder aber zumindest um Anteile einer Protestwahl beziehungsweise Strategischen Wahl zugunsten eines aussichtsreicheren Erststimmenkandidaten handelt, verweist eine annähernde Stimmenanteilgleichheit auf ideologisch gefestigte Wahlmotive (vorausgesetzt, dass es sich überwiegend um dieselben Personen handelt und diese beide, Stimmen einer Partei gegeben haben). Wer einer Partei ideologisch gefestigt nahesteht, wird ihr beide Stimmen geben. Das wiederum deutet im Falle der AfD darauf hin, dass sie sich nicht nur als Partei etabliert hat, sondern dass auch das Personal vor Ort als wählbar und aussichtsreich wahrgenommen wird. Insgesamt kann also davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Wahlentscheidungen für die AfD weitestgehend um eine ideologische Wahl handelte, während kaum taktisch gewählt wurde. Diese Diagnose steht im Einklang mit Nachwahlbefragungen, die darauf hindeuten, dass Programm und Positionen der Partei für eine große Mehrheit der Wähler*innen entscheidend waren. In den Kommunen mit mehr Erst- als Zweitstimmen kommt mutmaßlich ein Persönlichkeitseffekt hinzu.

Kontakt
PD Dr. Rolf Frankenberger
rolf.frankenberger@uni-tuebingen.de