Zentrum für Islamische Theologie (ZITh)

Mystik als Brücke zwischen Christentum und Islam

Tagung: Dem Einen entgegen. Christliche und islamische Mystik in historischer Perspektive

Von Almedina Fakovic

Die Fachtagung, die vom ZITH und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart organisiert und von der Stiftung Mercator finanziert wurde, beschäftigte sich mit christlicher und islamischer Mystik. Zahlreiche renommierte Mystik-Experten/-innen und Nachwuchswissenschaftler/-innen nahmen an der Tagung in Weingarten teil, die unter der Leitung von Jun.-Prof. Dr. Erdal Toprakyaran, PD Dr. Hansjörg Schmid und Dr. Christian Ströbele stand. Vom 25. bis 27. Oktober wurden neben dem Mystikbegriff, den Frühformen der Mystik und den Paradigmen der Mystikforschung, interreligiöse Beziehungen und die Beziehung der Mystik zur Rechtgläubigkeit, sowie die Dialektik von Mensch und Gott in der mystischen Theologie diskutiert, wodurch ein weitreichender Überblick über den komplexen Sachverhalt und die historische Entwicklung der Mystik gewährleistet wurde.

Mit dem Panel „Aktuelle Forschungsvorhaben“ wurde den vier Kollegiaten aus dem Graduiertenkolleg „Islamische Theologie“ Dara Alani, Almedina Fakovic, Ali Ghandour und Florian Lützen, und dem Kollegiaten Cem Kara aus dem Internationalen Graduiertenkolleg „Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts“ die Möglichkeit gegeben, die eigenen Forschungsvorhaben, die aus dem Bereich der Mystik stammen, vorzustellen. Die Diskussion der fünf Referenten mit den Teilnehmern der Tagung gaben den Nachwuchswissenschaftlern/-innen neue Impulse und Ideen.


Den inhaltlichen Auftakt der Tagung bestritt Prof. Dr. Reza Hajatpour (Erlangen) mit einem Vortrag über „Die Kontroverse zwischen islamischer Mystik und Theologie bezüglich der Glaubensinhalte“, der einen kurzen Einblick in das Feld der Begriffsbestimmung islamischer Mystik gab und anschließend die Kontroverse zwischen islamischer Mystik und Theologie diskutierte. Prof. Dr. Markus Vinzent (London) machte in seinem Vortrag „Spezifika und historische Reibungsflächen mystischer Theologie im christlichen Kontext“ deutlich, dass die Mystik auch in eine Orientierungslosigkeit führen könne.


Shaykh al-Mashayk Mahmood Khan (Den Haag/Paris) stellte in seinem Vortrag „Hazrat Inayat Khans (gest. 1927) Mystikverständnis“ die weltbejahende Mystik seines Onkels vor, die davon ausgehe, dass derjenige, der behaupte, ein christlicher, jüdischer oder muslimischer Mystiker zu sein, Mystik an sich nicht verstanden habe. Prof. Dr. Hans Waldenfels (Bonn), der in seinem Vortrag „Die Einheit der Mystik aus christlicher Perspektive“ von einer "Mystik der offenen Augen" sprach, schloss den ersten Tag der Tagung ab.


Den Auftakt für den zweiten Tag der Tagung machte Prof. Dr. Dr. Mariano Delgado (Fribourg) mit einem Vortrag über die „Islamischen Spuren in der Mystik von Teresa von Ávila (1515-1582) und Johannes vom Kreuz (1542-1591)". Er legte dar, dass islamische Spuren bei beiden christlichen Mystikern zu finden seien, die aber nicht inhaltlicher, sondern formeller Natur seien. Der Vortrag „Christian Imagery through the Lens of a Sufi: Rereading Andalusian Poetry in Ottoman Damascus“ von Prof. Dr. Lejla Demiri (Tübingen) diskutierte die Verwendung christlicher Terminologie in der Poesie Abū al-Ḥasan al-Shushtarīs, dem „Rumi des westlichen Islams“.


Das Panel „Frühformen der Mystik in Islam und Christentum“, das die Beiträge von Prof. Dr. Hülya Küçük (Konya) und Prof. Dr. Hilary Mooney (Weingarten) umfasste, beschäftigte sich mit dem Sufismus des siebten bis neunten Jahrhunderts und der christlichen Mystik des vierten bis neunten Jahrhunderts. Die Rekonstruktion der mystischen Entwicklungen in Islam und Christentum verdeutlichte, dass es vielfältige Formen von Mystik gab und hob die im jeweiligen Kontext verwendete sprachliche Ausdrucksweise der mystischen Lyrik hervor.


Prof. Dr. Isabelle Mandrella (München) beschäftigte sich in ihrem Vortrag „Praktischen Philosophie und mystische Theologie bei Nikolaus von Kues“ mit der Verbindung der Selbst- und Gotteserkenntnis bei dem christlichen Philosophen und Theologen, während Frau Dr. Fateme Rahmati aus Bonn über „Gott und Mensch: eine Dialektik der Liebe“ referierte und den Aspekt der Liebe bei Muḥyī d-dīn Ibn ʿArabī herausarbeitete und ihn mit folgenden Worten zitierte: „Wer Liebe definieren möchte, kennt sie nicht.“


Das letzte Panel „Mystik und Rechtgläubigkeit“, welches die Vorträge von Dr. Christos Retoulas (Athen), Prof. Dr. Yașar Sarιkaya (Gießen) und Prof. Dr. Dietmar Mieth (Tübingen/Erfurt) umfasste, zeigte verschiedene Konzepte einer Verbindung von Mystik und Rechtgläubigkeit auf. Nach Mieth müsse man aufgrund der Pluralität unterschiedlicher theoretischer und praktischer Ansätze „religiöse Freiheit einfach verkraften.“


Die Fachtagung verdeutlichte, dass sich sowohl christliche, als auch islamisch-mystische Diskurse mit ähnlichen Fragen beschäftigen und gerade deshalb zur gegenseitigen Befruchtung beitragen können. Diese ist allerdings nur dann möglich, wenn man die gewohnte Welt des eigenen Diskurses auch mal verlässt und sich unbekannten Perspektiven gegenüber öffnet.

Programmflyer