Uni-Tübingen

Jörg Widmaier, M.A.

Kollegiat

Anschrift Büro:

Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters, SFB1070 RessourcenKulturen, Gartenstraße 29 (Raum 312) 72074 Tübingen

Telefon:

+49-07071-29-73591

Raum312
E-mail:joerg.widmaierspam prevention@uni-tuebingen.de

Akademischer Werdegang

10/2004-02/2011 Studium der Ur- und Frühgeschichte und der Archäologie des Mittelalters sowie der Kunstgeschichte (M.A.) Eberhard-Karls-Universität Tübingen
2011 Magister mit der Abschlussarbeit „Die Marienkirche in Reutlingen-Bronnweiler. Baugeschichte und Ausstattung einer Dorfkirche

07/2014

Abschluss des Promotionskolloquiums (Thema der Dissertation: Tractatur in baptistero – Zur Medialität figürlicher Taufbecken des 12. Und 13. Jahrhunderts)

Berufliche Stationen

2004 – 2008 Praktika am Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, dem Museum der Stadt Waiblingen und dem Regierungspräsidium Tübingen Referat Denkmalpflege
2005 – 2009 Archäologische Ausgrabungspraktika in Deutschland, Polen und Panama.
2006 – 2008 Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters sowie am Kunsthistorischen Institut, Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
2008 Organisation des Workshops „Reisen auf Papier. Druckgraphische Visualisierung in Reiseberichten um 1800“, Kunsthistorisches Institut und Graphische Sammlung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
2008 – 2011 Angestellter im Regierungspräsidium Tübingen Referat Denkmalpflege, Inventarisation (Denkmaldatenbank).

04/2011 –03/2014

Kollegiat im Graduiertenkolleg 1662 „Religiöses Wissen“ Eberhard-Karls-Universität Tübingen

seit 04/2014

PostDoc im SFB1070 RessourcenKulturen Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Fons baptismalis

Das romanische Taufbecken als Medium religiösen Wissens

Kurzbeschreibung des geplanten Dissertationsprojektes

Das romanische Taufbecken stellt einen symbolischen und ikonographischen Kristallisationspunkt dar, in dem sich die religiösen Konzepte und die theologischen Assoziationen zum Selbstbild des Christentums im Allgemeinen und die komplexen biblischen Glaubensvorstellungen zum Gehalt der Taufe im Speziellen widerspiegeln. Auf Grund seiner symbolischen Bedeutung und der guten Einsehbarkeit durch die Gemeinde stellt dieses Liturgiegerät den Vermittler eines Inhaltes dar, der in einfacher Form komplexe Assoziationen älterer Wissensbestände wiedergibt, umdeutet oder abwertet. Die Gründe und die Prozesse dieses Vorganges werden interdisziplinär untersucht, wobei das Taufbecken im Zentrum der Untersuchung stehen soll.

Das romanische Taufbecken als Medium religiösen Wissens

Archäologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Taufbecken im 12. und 13. Jahrhundert durch eine zentrale Lage im Kirchenschiff in erhöhtem Maße der Gemeinde zugänglich gewesen sein konnten. Im Medium dieser Liturgiegeräte lassen sich daher Vermittlungsprozesse eines solchen Wissens annehmen, welches für die Laien verständlich sein musste. Zunächst sollten die komplexen Glaubensvorstellungen zur Taufe ebenso vermittelt werden wie Assoziationen zur Funktion des Beckens als Liturgiegerät bei Weihhandlungen (Abb. 1). Zudem stellt die Taufe und damit auch das Taufbecken die symbolische Schwelle zum Christentum (Initiation) dar. Glaubensansätze des Christentums, in das eingetreten wird, und Informationen zum Nicht-Christlichen, welches mit der Taufe hinter sich gelassen oder abgewaschen werden sollte – obgleich es einen festen Platz im christlichen Weltbild hatte – sind daher im Taufbecken ebenso vermittelt worden. Konstituierend ist dabei die Vorstellung, dass der Taufakt als religiöser und politischer Herrschaftswechsel verstanden worden ist; die im Ritus angewendete, aus dem Lehensrecht übernommene Terminologie des Taufgelöbnisses stellt dafür ein Zeugnis dar (vgl. Wolfgang Beck, Taufgelöbnis [Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 30 [2006], 306-308], 307). Die inhaltliche Verständlichkeit des Vorganges ist für einen solchen rechtlich verbindlichen Willensakt (Taufeid) entscheidend (ebd., 307). Im Medium des Taufbeckens können so Vermittlungsprozesse von Wissen angeführt werden, denen gezielte Aneignungs- und Umdeutungsprozesse zugrunde liegen. Die Gründe und der Vorgang dieser Prozesse sind bisher nicht systematisch untersucht worden und bilden die Fragestellungen des vorliegenden Dissertationsvorhabens. Ziel ist eine kontextbezogene Gesamtanalyse des Taufbeckens als Realie einer materiellen Kultur des Ritus. Jenes Becken trägt Informationen in der Art seiner Platzierung und Inszenierung im Raum, der gegebenen Form, dem angewendeten Material, in Darstellungen und Inschriften sowie in Spuren eines liturgisch-rituellen Gebrauchs. In diesem Zusammenhang sollen sowohl das Offenbarungswissen, die verschiedenen Ebenen des religiösen Wissens als auch die Bereiche des nicht-christlichen Wissens in ihrem Verhältnis zum Ausformungsprozess solcher Informationsebenen an Taufbecken mit einbezogen werden.
Das Taufbecken scheint beispielsweise Informationen zur christlichen Gemeinde oder der jeweiligen Kirche vermittelt zu haben. Durch das Bildprogramm kann hier das ursprüngliche, teilweise nicht mehr verwendete Patrozinium repräsentiert werden. Das Liturgiegerät ist häufig älter als die Kirche, in der es sich befindet. Die Möglichkeit, strittige Fragen zum Patrozinium einer Kirche anhand des Taufbeckenprogramms zu klären, ist bisher nicht beachtet worden. Zudem repräsentieren die Taufbecken einen universalen Anspruch in Form allumfassender Bildinhalte ganz generell. Vergleiche mit der zeitgenössischen Buchmalerei
können hier wichtige Erkenntnisse liefern. Darstellungen der vier Paradiesflüsse, der vier Himmelsrichtungen, der vier Elemente, der Tierkreiszeichen und der Monatsbilder verdeutlichen dabei ebenso einen universalen Gesamtanspruch (christlicher Missionsanspruch) wie die Darstellungen der vier Evangelisten oder der Propheten, welche die Apostel auf ihren Schultern tragen und so die Konkordanz von Altem und Neuem Testament und damit die Gesamtheit an Offenbarungswissen veranschaulichen (Abb. 2).
Zudem vervollständigt auch die Präsentation der christlichen Ordnung, die dem Bösen einen Platz im Randbereich (Sockel) des Weltbildes zuspricht, die augmentative, also allumfassende christliche Weltformel in der Tradition des Kirchenvaters Augustinus (Abb. 3) (vgl. Augustinus, De Civitate Dei, XI, 23. In der Übersetzung von Carl Johann Perl [Paderborn 1979], u.a. 751). Es ist jenes Weltbild, in das der Getaufte eintritt und das ihm – wenn auch noch nicht als Kleinkind – bei der Betrachtung jenes Taufgerätes verdeutlicht wurde, zu dem er oder sie eine durch den Ritus ausgelöste persönliche Bindung hatte.
Jener Prozess der kulturgeschichtlichen Ausdeutung kann nicht nur direkt am Objekt des Taufbeckens vollzogen werden. Es müssen auch indirekt liturgiegeschichtliche, theologische und historische Dimensionen in die Untersuchung mit einbezogen werden. So wäre beispielsweise die Rolle kirchenherrschaftlicher Territorien bei der Ausbildung bestimmter Modelle zu untersuchen. Die Bedeutung der Taufe und ihrer Liturgie im archäologischen Befund, in Schriftquellen (u.a. Taufpredigt und Taufgelöbnis), in theologischen Diskursen und in epischen Erzählungen ist zudem ebenso von Bedeutung wie das Aufzeigen und Verstehen nicht-christlicher Elemente, die auf Grund der Funktion als Bedeutungsträger (kollektives Gedächtnis, genealogischer Verweis) in den christlichen Kanon übernommen wurden und so möglicherweise auch beeinflussend auf das Selbstbild des Christentums wirkten. Aus diesem Grund soll untersucht werden, welche Formen des Wissens – auch über den Inhalt der Taufe hinaus – vermittelt worden sind und welche Prozesse von Annahme, Umdeutung und Abgrenzung festzuhalten bleiben.
In der praktischen Ausführung des Projektes wird anhand ausgewählter Beispiele von Taufbecken des 12. und 13. Jahrhunderts die Bandbreite an Aussagemöglichkeiten des Materials dargelegt werden. Für die Erarbeitung eines ikonographischen Kataloges wird eine breite Quellenbasis in Anspruch genommen. Zusätzlich wird eine Auswahl näher zu untersuchender Gebiete vorgenommen, bei denen im Detail Transfer- und Transformationsprozesse kontextualisiert werden. Dabei sollen historische Herrschaftsräume im heutigen Norddeutschland miteinander verglichen werden.