Uni-Tübingen

C 03

Ressourcen und die Formierung von Gesellschaften, Siedlungsräumen und kulturellen Identitäten der italischen Halbinsel im ersten vorchristlichen Jahrtausend

Fachklassifizierung Klassische Archäologie
Projektleitung

Schäfer, Thomas, Prof. Dr.

Eberhard Karls Universität Tübingen

Institut für Klassische Archäologie

Burgsteige 11

72074 Tübingen

Telefonnummer: 07071 29 72378

E-Mail-Adresse: thomas.schaeferspam prevention@uni-tuebingen.de

DoktorandInnen

und Postdocs

Schweizer, Beat, Dr.

SFB 1070 RessourcenKulturen

Raum 307

Gartenstr. 29

72074 Tübingen

Telefonnummer: 07071 29 73588

E-Mail-Adresse: b.schweizer@uni-tuebingen.de

In diesem Teilprojekt werden Zusammenhänge von Besiedlungsprozessen mit der Formierung und Transformierung von sozialen und kulturellen Identitäten auf der italischen Halbinsel des ersten vorchristlichen Jahrtausends untersucht. Der spezifische Ressourcenbegriff des SFB wird genutzt, um dominierende Forschungsdiskurse durch alternative Erklärungen materieller Phänomene der Besiedlung und der Kulturkontakte in Bezug auf Bildung und Wandel von Identitäten zu erweitern. Exemplarisch herangezogen und vergleichend betrachtet werden dafür einerseits die Region an dem von etruskischen Städten dominierten Tyrrhenischen Meer und andererseits die Magna Graecia, also der Raum der griechischen Ansiedlungen im Süden der Halbinsel und des von diesen geprägten Hinterlandes.

Im Fokus der ersten Förderphase stand die Zeit zwischen dem 8. und der 1. Hälfte des 5. Jh. v. Chr., die in den jeweiligen Forschungsfeldern als formative Phase der jeweiligen Identitäten gilt. In der zweiten Förderphase wird dieser Zeitrahmen auf das späte 5. und 4. Jh. v. Chr. – eine Zeit der ‚Krisen‘ und neuer Akteure wie etwa der Kampaner und Lukaner – erweitert. Im Vordergrund steht die Frage nach Wandel, aber auch Kontinuitäten des Umgangs mit Ressourcen unter den sich deutlich verändernden sozialen und politischen Bedingungen.

Als wesentlicher Faktor großräumiger Migrationen, sogenannter ‚Kolonisationen’ oder ‚Dekolonisationen‘ des 1. Jtsd. v. Chr. werden üblicherweise die Erzvorkommen Mittelitaliens, aber auch Sardiniens sowie das fruchtbare Ackerland der Magna Graecia gesehen. Sozio-kulturelle Dynamiken um Besiedlungsprozesse werden dabei relativ unvermittelt auf Rohstoffe sowie Boden zurückgeführt, der gesellschaftliche und kulturelle Wandel der Frühgeschichte Italiens meist eindimensional erklärt: als ‚Orientalisierung’ oder ‚Hellenisierung’, dann aber auch im Sinne von Gegenbewegungen unterschiedlicher unter dem Oberbegriff Italiker erfasster Ethnien.

Im Gegensatz zu diesen Diskursen, die das archäologische Material in der Regel allein in Hinblick auf soziale Entwicklung (für Etrurien) oder für ‚ethnische Deutungen‘ (für Landnahme oder Kulturkontakt in der Magna Graecia) nutzen, zielt das Teilprojekt auf die Vielfalt sozialer und kultureller Identitäten, etwa auch auf die der gentilizisch organisierten, konkurrierenden Familien Etruriens oder aber die der Frauen der griechischen Poleis. Auf der Basis archäologischer, aber auch historischer Quellen, wird an einem differenzierten Bild gearbeitet, das den Unterschieden der komplexen kulturellen und ethnischen Situation der 1. Hälfte und Mitte des 1. Jtsd. v. Chr., aber auch den überregionalen, auch mediterranen Gemeinsamkeiten gerecht werden soll.

Im Fokus stehen die Siedlungen und Siedlungsräume zweier historisch bedeutender Regionen der italischen Halbinsel als Orte und Räume der Konstruktion von Identitäten. Dem Projektbereich C. Bewertungen entsprechend werden aus den als relevant erachteten RessourcenKomplexen um Metalle und agrarisch nutzbaren Boden die kulturellen, die symbolischen und memorialen Dimensionen von Ressourcen untersucht. Aus archäologischer Sicht sind das Monumente und Dinge in Kontexten sakraler Räume (der Quellenlage angepasst: Nekropolen Etruriens und Heroa und Heiligtümer der Magna Graecia). Dies berücksichtigt die SFB-These, dass wichtige Ressourcen Praktiken der Sakralisierung unterliegen. In den Blick kommen dadurch einerseits die zentralen öffentlichen Räume, in denen Bewertungen von Ressourcen ausgehandelt wurden, die daher auch selbst zu Ressourcen werden konnten, andererseits Konstruktionen von Vergangenheit und Stiftungen kultureller Gedächtnisse im Rahmen von RessourcenKulturen.

Der Zugriff auf symbolische Ordnungen, Repräsentationen und Bewertungen von Ressourcen erfolgt über ikonologische und kontextuelle Analysen von Bildern, Dingen und Monumenten in spezifischen öffentlichen Räumen, die als Räume intentionaler Niederlegungen oder als räumliche Ordnungen von Dingen und Bildern in diachroner und vergleichender Perspektive untersucht werden. Bewertungen von Ressourcen lassen sich über die Ikonografie (etwa Götterbilder) und die Kontexte (also die räumliche Anordnung im Sinne eines materiellen Gefüges) ermitteln. Die Assemblagen bezeugen bestimmte Muster des Umgangs mit Materialien, Funktionen der Dinge für rituelle Zusammenhänge, bilden zugleich den materiellen Kern der Stiftung von sozialen und kulturellen Identitäten.

Für Etrurien wurden ausgehend von den ‚Fürstengräbern‘ des 7. Jh. v. Chr. v. a. Metallobjekte in Gräbern, also Artefakte als Ressourcen der Identitätsbildung konkurrierender sozialer Gruppen, aber auch die Funktion der Niederlegungen und Grabmonumente für die Stiftung kultureller Gedächtnisse erfasst. Vergangenheit als Ressource repräsentierten nicht nur ‚Fürstengräber’ gentilizischer Gruppen etruskischer Städte, sondern auch die Heroa der griechischen Siedlungen der Magna Graecia. Für diese zweite Untersuchungsregion wurden zudem Siedlungsgründungen und daher Erschließungen von Land als Einrichtungen sakraler Landschaften untersucht. Dabei standen für die Ressource Boden Heiligtümer der Demeter und Kore im Fokus, auch in Bezug auf die Integration der Frauen in Siedleridentitäten.

In der zweiten Förderphase zum 5. und 4. Jh. v. Chr. wird für beide Regionen mit gezielten Fallstudien zu Kontinuitäten der Besiedlung und zum Wandel der Nutzung der Monumente des kulturellen Gedächtnisses konkret an die vorliegenden Untersuchungsergebnisse angeknüpft.

Der auf Artefakte, Monumente und gestaltete Räume, also auf ‚intentionale Daten’ bezogene Ansatz wird anhand publizierten Materials exemplarisch über das erste Jahrtausend v. Chr. verfolgt: von der Zeit vom 8. bis zum frühen 5. Jh. v. Chr. über das 5. und 4. Jh. v. Chr. bis letztendlich zur Romanisierung in hellenistischer Zeit. Ein wichtiger Schwerpunkt dieser Langzeitperspektive auf Bildung und Wandel sozialer und kultureller Identitäten wird abschließend die Gegenüberstellung von natürlichen Bedingungen der Rohstoffe und Umwelten mit den jeweiligen Reflexionen und kulturellen Konstruktionen sowie den anhand von Überresten rekonstruierten Lebensbedingungen bilden.

Eingebracht werden zentrale historische und archäologische Forschungsfelder der Frühgeschichte der italischen Halbinsel, in denen Metalle und Boden als Ressourcen im traditionellen Sinn natürlicher Gegebenheiten eine wichtige erklärende Rolle spielen. Das Teilprojekt führt dem SFB damit eine insbesondere in der italienischen Archäologie in Bezug auf die Analyse der ideologia funeraria angewandte Methodologie der Untersuchung kultureller Ressourcen zu, erweitert diesen Rahmen jedoch in Hinblick auf andere sakrale Kontexte wie etwa Räume des Götterkults. Innerhalb des SFB können Ergebnisse des archäologischen Projekts als Bausteine des Vergleichs von Prozessen um Ressourcen dienen, dem Projektbereich entsprechend vor allem in Bezug auf Ressourcen als symbolisches Kapital sozialer Gruppen und damit auch auf die materiellen und medialen Bedingungen der Konstruktion der Ordnungen, Repräsentationen und Bewertungen von Ressourcen.