Trotz mittlerweile jahrzehntelanger Forschung zu Privatheit im Internet ist immer noch nicht ausreichend untersucht, wie man insbesondere solche Nutzer:innen, die aus strukturellen Gründen, mangelnder Kenntnis oder mangelnder Motivation keine Schutzmaßnahmen ergreifen, besser schützen oder zu Selbstdatenschutz ermuntern kann. Das Prinzip der informierten Einwilligung etwa greift hier oftmals zu kurz und muss in Bezug auf vulnerable Gruppen neu konzeptualisiert werden.
Momentan wird, etwa in der DS-GVO, eine freiheitliche und selbstbestimmte Nutzung im Datenschutzrecht fast ausschließlich über den Mechanismus der “informierten Einwilligung” gesteuert, der wiederum nur funktioniert, wenn das Individuum ausreichende Kenntnisse erlangt. “Informierte Einwilligung” bzw. „Einwilligung nach Aufklärung“ (informed consent) ist ein ethischer und rechtlicher Grundsatz für die Legitimation der Erhebung personenbezogener Daten. Grundsätzlich sollten für eine informierte Einwilligung die Voraussetzungen Informiertheit, Freiwilligkeit und Entscheidungsfähigkeit vorliegen. Entsprechend des individuellen kognitiven und sozial-emotionalen Status sind diese drei Voraussetzungen nicht auf alle Mitglieder der Gesellschaft gleich übertragbar. Bestimmte kognitive Fähigkeiten (z. B. Verständnis von Privatheit, Abschätzung von Folgen für die spätere Zukunft) können (noch) nicht vorliegen oder durch Kommunikationsbarrieren eingeschränkt sein, aber auch geringe Erfahrungswerte oder auch strukturelle Machtasymmetrien können dazu führen, dass Individuen oder Gruppen weniger gewohnt sind, ihre Interessen klar zu erkennen und zu äußern (vgl. Stapf et al., 2020).
Das Projekt erforscht, wie statt über kognitive Vermittlung die Implikationen von Privatheitsinvasionen über realweltliche, ggfs. sinnlich wahrnehmbare Signale erfahrbar gemacht werden können. Dies könnte etwa über die Evozierung von Emotionen durch eine lebensnahe Darstellung der potenziellen Folgen von Datenpreisgaben im Internet angestoßen werden. Die im Projekt vorgeschlagene Innovation besteht darin, auf Basis von ethischer und psychologischer Kompetenz Alternativen zum Zusammenspiel von informierter Einwilligung und Privacy Literacy zu entwickeln. Anstatt wie in bisherigen Ansätzen, alleinigen Fokus darauf zu legen, wie Nutzer:innen im Bereich informationelle Selbstbestimmung weitergebildet werden können, legt dieses Projekt den Schwerpunkt auf intuitives Verhalten als Alternative zur Digital Literacy, welche eine deutliche Medienbildung erfordert.
Das Projekt zielt somit auf eine Lebensverbesserung im Alltag von diversen vulnerablen Gruppen. Ebenfalls wird insbesondere der Aspekt von Design und Evaluation von Benutzerschnittstellen, welche die Wahrnehmung von Rechten gemäß DS-GVO unabhängig vom sozialen, technischen und kulturellen Hintergrund ermöglichen, adressiert.