Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2022: Alumni Tübingen

Diplomatie bedeutet Brücken bauen zwischen Menschen

Interview mit der US-Diplomatin Elizabeth Horst, die 1989 in Tübingen studierte

Alumna Elizabeth Horst erinnert sich daran, warum der Tag des Berliner Mauerfalls für sie als Austauschstudentin in Tübingen richtungsweisend war. Sie weiß noch genau, was sie an diesem Tag machte und welche Pläne sie damals als 19-Jährige für die Zukunft schmiedete. 1989 kam sie als Gaststudentin aus den USA und wohnte im Studentenwohnheim im Fichtenweg 15. Heute ist sie US-Diplomatin für Presse und Kultur an der US-amerikanischen Botschaft in Berlin. Für die Ausstellungseröffnung „Native Runway“ des Deutsch-Amerikanischen Instituts reiste sie im Dezember 2021 nach Tübingen und nutzte die Gelegenheit für einen Halt an ihrem alten Wohnort. Christin Wannagat hat sie dabei begleitet und interviewt.

Wie ist es, 30 Jahre später an Ihren Studienort in Tübingen und in Ihr Studentenwohnheim im Fichtenweg 15 zurückzukehren?

Ich war in den vergangenen Jahren öfters schon in Tübingen, ich habe auch einige Zeit in Stuttgart und Baden-Württemberg gelebt. Aber es ist wirklich etwas Besonderes, hier wieder ins Studentenleben zurückzukehren und gedanklich einzutauchen. Alles, was ich hier im Fichtenweg sehe, und auch der Geruch, bringen Erinnerungen an gute wie auch an schwierige Zeiten zurück. Ich habe mich hier in Tübingen für mein Leben entwickelt und ich habe mich hier restlos in Deutschland verliebt. Deswegen ist es eine große Freude, wieder hier zu sein und sich an meine alten Freunde, an unser gemeinsames Lachen und an unsere wundervollen Erlebnisse zu erinnern. Und da ist auch sofort wieder dieses Gefühl: Ich muss mich hier besonders wohlgefühlt haben! 

Warum haben Sie sich damals für ein Austauschjahr in Tübingen beworben?

Meine Universität, die Staatsuniversität zu Kansas, hatte einen Austausch mit Tübingen. Ich studierte Deutsch und konnte mir einen Austausch leisten. Von Tübingen hatte ich jedoch bis dahin noch nie etwas gehört, aber ich dachte: warum nicht für einen Austausch dorthin gehen? Und heute weiß ich, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war. 

Warum haben Sie Deutsch zu studiert?

Als ich damals in Kansas mein Studium begann, wollte ich eigentlich Japanisch und Wirtschaftswissenschaften studieren. Aber nach zwei Wochen entschied ich mich um – für Deutsch und Geschichte. Das war ein schneller Kurswechsel und ich bin dabeigeblieben. 

Warum Deutsch? Mein Vater war Zahnarzt beim amerikanischen Militär und er wohnte in den 1960er-Jahren in Kaiserslautern und schwärmte später immer wieder von Deutschland. Das hat mich angesteckt und dazu bewegt, Deutsch zu lernen – mit dem Ziel, es richtig sprechen zu können. All diese kleinen Verbindungen haben mich letztendlich nach Tübingen gebracht. 

Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, studierten Sie in Tübingen. Wie haben Sie diesen historischen Moment erlebt?

Als ich im Herbst 1989 nach Tübingen kam, konnte ich noch kaum Deutsch sprechen. Ich tat alles, um Deutsch zu lernen: Ich las Zeitung, die ich mir nicht immer leisten konnte, und hörte zudem viel Radio. Anfang Oktober 89 hörte ich dann in den Nachrichten oder las in der Zeitung immer wieder von „der Mauer“. Ich kannte das Wort bis dahin nicht. Aber seine Bedeutung, die ich schnell lernte, hat sich bis heute in mein Gedächtnis eingebrannt. 

Am 9. November fiel die Mauer. Es war mitten im Semester und ich war mit meinen Kursen – alle ausschließlich auf Deutsch – beschäftigt. Ein Bekannter, der auch Amerikaner war, hatte Verwandte hier, die ihm ein Auto liehen, um mit uns nach Berlin zu fahren: „Komm, fahren wir nach Berlin, wir werden auf der Mauer tanzen!“. Ich konnte mich damals aber von meinen Verpflichtungen dem Studium gegenüber nicht lösen und sagte: „Ich kann nicht, ich habe Hausaufgaben!“ Meine Kommilitonen fuhren ohne mich und ich blieb hier im Fichtenweg. Darüber ärgere ich mich noch heute. Daraus zog ich eine der wichtigsten Lehren für mein Leben: „Nutze die Chancen!“ 

Welche Fähigkeiten und Kompetenzen haben Sie aus dem Austauschjahr in Tübingen erworben? 

Ich war sehr konsequent und diszipliniert beim Sprachelernen. Für alle, die eine Fremdsprache erlernen, ist es anfangs oft frustrierend und deprimierend. Man hat etwas zu sagen, findet aber nicht die richtigen Wörter. Wenn man sich nicht richtig ausdrücken kann, sitzt man wie in einem Gefängnis im eigenen Körper. Man muss Geduld und Disziplin haben und darf auf keinen Fall aufgeben! Nach Deutsch habe ich noch Französisch, Russisch und eine afrikanische Sprache namens „Hausa“ gelernt.

In Tübingen habe ich auch gelernt, was Unabhängigkeit bedeutet. 1989 hatten wir kein Internet und ich telefonierte mit meinen Eltern lediglich einmal im Monat an der Telefonzelle im Studierendenwohnheim. Ich musste mit meinem Geld haushalten und konnte nicht einfach mit Kreditkarte zahlen. Ich lernte auch gut zu planen, weil die Lebensmittelgeschäfte damals anders als in den USA pünktlich samstags um 13 Uhr zumachten. So hatte ich immer gut mit Essen auf Vorrat vorgesorgt. Im Übrigen finde ich an der deutschen Kultur besonders gut, dass sonntags alles geschlossen ist. Man muss nicht immer rund um die Uhr einkaufen, man kann auch mal etwas anderes machen: „Es kann bis Montag warten!“

Inwieweit prägt Ihre eigene Austausch- und Deutschland-Erfahrung Ihre heutige Aufgabe an der US-Botschaft in Berlin? 

Für meine derzeitige Tätigkeit an der US-amerikanischen Botschaft bringe ich ein ausgeprägtes Gespür für die deutsche Kultur und Gesellschaft mit. Dieses tiefe Verständnis hilft mir, eine Brücke zwischen Menschen und nicht nur zwischen Regierungen zu bauen. Das ist in der Diplomatie besonders wichtig. Es geht nicht nur um Gespräche über Gesetze, Einsätze oder Handelsabkommen, sondern man muss verstehen, was für die andere Seite als Menschen, als Kultur und als Gesellschaft wichtig ist. 

Was sind derzeit die größten Herausforderungen in der deutsch-amerikanischen Beziehung?

Die deutsch-amerikanische Beziehungen, die wir gemeinsam in den letzten 70 Jahren als Partner in der NATO und als Handelspartner aufgebaut haben, sind stark. Trotzdem gibt es auch in dieser Partnerschaft – wie in jeder Beziehung – Herausforderungen, zum Beispiel die Gas-Pipeline im Nord Stream 2. Hier gibt es eine klare Meinungsverschiedenheit, bei der wir zu einer Verständigung kommen müssen und wollen. Aber die globalen Herausforderungen, denen wir derzeit begegnen müssen, liegen vor allem gemeinsam vor uns: die Klimakrise, die Frage des Umgangs mit Demokratie, der gemeinsame Kampf gegen Corona und eine gemeinsame Entwicklungspolitik im Rahmen der Partnerschaft der USA mit der EU.

Wie wird in den USA der Studierendenaustausch mit Deutschland gefördert?

Der Studierendenaustausch ist eine besonders wichtige Investition in die Zukunft der nächsten Generationen beider Länder. Er ist eine Stärke unserer deutsch-amerikanischen Beziehung. 
Jeder Schüler und jede Schülerin, jeder Student und jede Studentin sollte die Möglichkeit erhalten, einen Austausch zu machen, auch wenn es nur für einen Monat oder ein Jahr oder einige Jahre ist. Die Austauscherfahrung lässt einen die Welt mit anderen Augen sehen und entdecken, was man noch mehr kennenlernen und erforschen möchte. Aber auch umgekehrt kann man durch die erweiterte Weltsicht den Wert des eigenen Zuhauses erkennen: „Hier möchte ich bleiben!“

Ich empfehle die Teilnahme an einem Austauschprogramm, um ein anderes Land nicht nur im Urlaub, sondern im richtigen Alltag kennenzulernen. Es ist eine gute Option, sich dafür ganz bewusst nicht so bekannte oder kleinere Universitäten und Orte auszusuchen. 

Die amerikanische Botschaft in Berlin und das Konsulat in Frankfurt, aber auch das Deutsch-amerikanisches Institut (d.a.i.) in Tübingen informieren über eine Reihe von Fördermöglichkeiten, das Rahmenprogramm dafür heißt „Education USA“. 

Was ist der aktuelle Exportschlager aus Deutschland in die USA?

Schokolade, auch das Oktoberfest oder Brezeln, Weihnachten mit Adventskeksen! Aber auch ganz andere Dinge sollten sich die USA von Deutschland unbedingt abgucken, wie zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel und ein gut ausgebautes Bahnnetz, nachhaltige Energie mit Solar und Wind oder Müll-Recycling! Solche nachahmenswerten und „exportwürdigen“ Besonderheiten eines Landes lernt man am besten durch einen Austausch kennen!

Das Interview führte Christin Wannagat

Foto-Ausstellung „Native Runway“

Für die Eröffnung der Ausstellung „Native Runway“ des Deutsch-Amerikanischen Instituts (d.a.i.) reiste Elizabeth Horst im Dezember 2021 nach Tübingen. Dabei sagte sie: „Native Runway“ ist eine wirklich vielfältige Ausstellung, die viele Fäden zusammenbringt. Die Themen Mode und Nachhaltigkeit treffen jeden. Wenn man an die USA denkt, dann denkt man nicht immer automatisch an die Ureinwohner, die indigenen Völker. Auch das ist Teil der Ausstellung. Eine Ausstellung ist immer ein Ort, um etwas Neues zu lernen.“

Die Fotoausstellung Native Runway - Indigenous Fashion from North America ist noch bis 26. März 2022 im Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.) Tübingen zu sehen. Webseite Fotoausstellung: https://www.dai-tuebingen.de/node/2571