Projekt von Simone Oechslen

»Wissen und Wandern. Ein narratologisches Prinzip«

Die Fortbewegung durch Natur und Landschaft gibt dem Individuum die Möglichkeit sich auf unterschiedliche Art und Weise mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, beziehungsweise die Erfahrungen und Eindrücke produktiv zu nutzen. Um sowohl für den Reisenden als auch für die soziale Gemeinschaft einen maximalen Nutzen aus der Reiseerfahrung zu gewinnen bildet sich im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert die Gattung der Reiseanweisungsliteratur heraus. Im Zentrum stehen dabei einerseits praktische Ratschläge wie die Wahl der Jahreszeit, oder der Schutz vor Krankheiten. Andererseits gibt diese Art der Literatur dem Reisenden auch universale Beschreibungsmodi an die Hand, die die Fixierung alles relevanten Wissens sichern sollen und führt Argumente auf, die die jungen Gelehrten und Kavaliere vom Zweck des Reisens überzeugen sollen.

 

Die polyhistorische Ausrichtung der Gelehrten des 17. Jahrhunderts, zu denen auch die Dichter zählen, brachte es mit sich, dass die apodemische Literatur und die Wichtigkeit der Reiseerfahrung vielseitig genutzt und hervorgehoben wurde. Gleichermaßen zeigt sich aber auch eine steigende Forderung nach Wissen und Bildung. Dieses Bestreben orientiert sich noch stark an der humanistischen Idee der Individualitäts- und Menschenbildung durch eine alle Wissenschaften, die studia humanitatis, umfassende Ausbildung, die den Menschen erst zum wahren Menschen, dem uomo universale macht.

 

Martin Opitz, versuchte sowohl mit seinem poetischen Werk als auch den begleitenden theoretischen Reflexionen Anfang des 17. Jahrhunderts eine Kunstdichtung in deutscher Sprache zu etablieren. Sein Schaffen besteht somit vor allem in der Transformation der humanistischen Leistungen und Wissensbestände auf den deutschen Sprachraum. Diese Übernahme zeigt sich vor allem in seinem Prosatext Die Schäfferey von der Nimfen Hercinie (1629). Er rekurriert dabei einerseits auf unterschiedliche antike und moderne Episteme, andererseits modifiziert er den Topos der Renaissance Arkadien, indem er seine Hirten namentlich durch das Schlesische Riesengebirge wandern lässt. Die Diskussion der Hirten, die deren Wanderung durch das Gebirge begleitet, bezieht sich auf die unterschiedlichen Wissensgebiete, wobei Opitz unter anderem gekonnt die Reisediskussion und die Argumentation der apodemischen Literatur der Zeit einfließen lässt. Somit findet sich im Text ein analoger Verlauf von einer Wanderung durch Natur-Landschaft und Wissens-Landschaft, die sich dabei wechselseitig bedingen. Opitz begründet dadurch nicht allein die Gattung er Schäfer- oder Eklogendichtung für den deutschen Sprachraum, sondern er stellt zugleich ein narratologisches Prinzip vor, das es ermöglicht über das Prinzip der Fortbewegung Wissensbestände in den Text zu integrieren, die als Resultat sowohl eine Bildung der Wanderden und Reisenden, aber auch des Lesers mit sich bringt. Diese Art und Weise des Erzählens, so die These der Promotion, die in der Frühen Neuzeit begründet wird, zeigt sich in den unterschiedlichen Epochen der deutschen Literaturgeschichte. Spannend ist dabei inwiefern Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts die frühneuzeitlichen Wissensbestände transformieren und diese mit den zeitgenössischen Reisevorstellungen vereinbaren.