Zum Datieren so alter Funde ziehen Paläontologen verschiedene Methoden heran und kombinieren die Ergebnisse. So gibt es zum Beispiel bestimmte Nagetiere, die charakteristische Merkmale evolutionär so schnell weiterentwickelt haben, dass man Funde dieser Tiere – etwa der Backenzähne des Megacricetodon bavaricus – zur relativen Zeitbestimmung nutzen kann. Die Forscher um Prof. Böhme haben zudem die Tatsache genutzt, dass sich im Laufe der Erdgeschichte das Erdmagnetfeld mehrfach umgekehrt hat. Die Richtung ist in Sedimentschichten der jeweiligen Zeit als Magnetisierung erhalten geblieben. Der Richtungswechsel von Schicht zu Schicht lässt sich mit der Methode der Magnetostratigrafie dazu nutzen, eine Zeitskala aufzustellen.
Madelaine Böhme und Kollegen haben in ihrer Arbeit die erste direkte magnetostratigrafische Eichung der Fundstätte Engelswies vorgenommen. Als Vergleichsmaßstab zur absoluten Datierung diente die unter Geowissenschaftlern anerkannte „Astronomical Tuned Neogene Time Scale“ (ATNTS04). Die Forscher fanden in einer rund fünf Meter dicken Ablagerungsschicht oberhalb und unterhalb der Fundschicht ein gegenüber heute umgekehrt gepoltes Magnetfeld. Die Entstehungszeit der Schicht, in welcher der hominoide Backenzahn gefunden worden ist, ließ sich somit auf einen vergleichsweise engen Zeitraum vor 17 bis 17,1 Millionen Jahren eingrenzen.
Madelaine Böhme, die an der Universität Tübingen eine Arbeitsgruppe für Terrestrische Paläoklimatologie leitet, hat anhand fossiler Funde auch Vegetation und Klima der Region rekonstruiert. Demnach herrschte damals eine Jahresdurchschnittstemperatur von 20 Grad Celsius in Süddeutschland, was etwa 11 Grad über den heutigen Werten liegt; Frost gab es im Winter nicht. Südlich des Sees erstreckte sich sumpfiges Land mit Schilfrohr und einem schmalen Uferstreifen aus Bäumen, Palmen (darunter kletternde Rattan-Palmen), Lianen, Farnen und Kräutern. Auf der Nordseite erhob sich ein Hang mit immergrünem Laubwald. Die gefundene Vegetation ist einzigartig für das Voralpenland. Die Forscher vermuten als Ursache regionale Besonderheiten und eine Zeit relativ schnellen Klimawechsels.
„Die chronologischen Zusammenhänge unterstützen die Vorstellung, dass der Hominoid von Engelswies von afro-arabischen Afropithecinen abstammte“, schreiben die Forscher. Er wäre damit der erste Menschenaffe, der aus Afrika nach Eurasien eingewandert ist. „Die große Lücke zwischen dem Engelswies-Hominoiden und späteren Kenyapithecinen in Europa führt uns aber zusammen mit paläoklimatischen Überlegungen zu der Vermutung, dass diese frühe Auswanderung aus Afrika in einer Sackgasse geendet hat.“ Möglicherweise erst vor 14 Millionen Jahren sind afrikanische Menschenaffen (Kenyapithecinen) erneut nach Eurasien gekommen und haben sich hier zu den ersten großen Menschenaffen (z.B. dem heutigen Orang Utan) weiterentwickelt.
Die Arbeit entstand mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).