Terrestrische Paläoklimatologie

Ältester Vormensch lebte möglicherweise in Europa

Forscher finden Hinweise auf 7,2 Millionen Jahre alte Vormenschen-Art vom Balkan ‒ Neue Hypothese zum Ursprung des Menschen

Publikationen

Böhme M., Spassov N., Ebner M., Geraads D., Hristova L, Kirscher U., Kötter S., Linnemann U, Prieto J., Roussiakis S., Theodorou G, Uhlig G., Winklhofer M. 2017: Messinian age and savannah environment of the possible hominin Graecopithecus from Europe. PLOS ONE,
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177347

Fuss J., Spassov N., Begun D, Böhme M. 2017: Potential hominin affinities of Graecopithecus from the late Miocene of Europe. PLOS ONE,
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177127

Pressemitteilung


Die ältesten Menschenaffen Eurasiens lebten in Schwaben

Afrika gilt als Evolutionszentrum des Menschen und seiner Vorfahren. Jedoch schon lange bevor der moderne Mensch vor 125 Tausend Jahren Afrika verlies, migrierten, wie Fossilfunde zeigen, seine Vorläufer wiederholt nach Eurasien. Wie oft, wann genau und warum Menschenaffen „out of Africa“ unterwegs waren, ist Gegenstand intensiver Forschung. Ihre wahrscheinlich erste Migrationswelle fand vor ziemlich genau 17 Millionen Jahren statt. Ihre ältesten Spuren finden sich im schwäbischen Alpenvorland, südwestlich von Sigmaringen. Wissenschaftlern der Universität Tübingen ist es jetzt gemeinsam mit Kollegen aus Helsinki, München und Stuttgart gelungen, die Fundstelle eines Backenzahns auf den Zeitraum vor 17 bis 17,1 Millionen Jahren zu datieren und damit diesen Zahn dem ältesten eurasischen Hominoiden zuzuschreiben, der bisher gefunden wurde. Ihre Ergebnisse sind jetzt im „Journal of Human Evolution“ erschienen. Der Träger des Zahns hat nach dem Befund der Tübinger Untersuchungen vermutlich in einer Landschaft mit paratropischer Vegetation in einem feuchtwarmen Klima am Ufer eines Sees gelebt. Heute ist dort ein unter Paläontologen für seine Fossilienfunde bekannter ehemaliger Steinbruch.

Prof. Dr. Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoecology (HEP) der Universität Tübingen hat zusammen mit ihren Kollegen verschiedene Methoden kombiniert, um die Ausgrabungsschicht möglichst genau zu datieren, in der der Zahn gefunden worden ist. Der heute im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart aufbewahrte Fund selbst ist bald vierzig Jahre alt; er stammt vom 24. Juni 1973. Entdeckt hat ihn der Gründer und damalige Leiter des Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Mainz, Prof. Heinz Tobien, im „Steinbruch am Talsberg“ auf der Gemarkung Engelswies, Gemeinde Inzigkofen. Erst 2001 wurde der Zahn genauer untersucht und als Backenzahn eines Menschenaffen identifiziert. Doch die Datierung blieb umstritten.

Zum Datieren so alter Funde ziehen Paläontologen verschiedene Methoden heran und kombinieren die Ergebnisse. So gibt es zum Beispiel bestimmte Nagetiere, die charakteristische Merkmale evolutionär so schnell weiterentwickelt haben, dass man Funde dieser Tiere – etwa der Backenzähne des Megacricetodon bavaricus – zur relativen Zeitbestimmung nutzen kann. Die Forscher um Prof. Böhme haben zudem die Tatsache genutzt, dass sich im Laufe der Erdgeschichte das Erdmagnetfeld mehrfach umgekehrt hat. Die Richtung ist in Sedimentschichten der jeweiligen Zeit als Magnetisierung erhalten geblieben. Der Richtungswechsel von Schicht zu Schicht lässt sich mit der Methode der Magnetostratigrafie dazu nutzen, eine Zeitskala aufzustellen.

Madelaine Böhme und Kollegen haben in ihrer Arbeit die erste direkte magnetostratigrafische Eichung der Fundstätte Engelswies vorgenommen. Als Vergleichsmaßstab zur absoluten Datierung diente die unter Geowissenschaftlern anerkannte „Astronomical Tuned Neogene Time Scale“ (ATNTS04). Die Forscher fanden in einer rund fünf Meter dicken Ablagerungsschicht oberhalb und unterhalb der Fundschicht ein gegenüber heute umgekehrt gepoltes Magnetfeld. Die Entstehungszeit der Schicht, in welcher der hominoide Backenzahn gefunden worden ist, ließ sich somit auf einen vergleichsweise engen Zeitraum vor 17 bis 17,1 Millionen Jahren eingrenzen.

Madelaine Böhme, die an der Universität Tübingen eine Arbeitsgruppe für Terrestrische Paläoklimatologie leitet, hat anhand fossiler Funde auch Vegetation und Klima der Region rekonstruiert. Demnach herrschte damals eine Jahresdurchschnittstemperatur von 20 Grad Celsius in Süddeutschland, was etwa 11 Grad über den heutigen Werten liegt; Frost gab es im Winter nicht. Südlich des Sees erstreckte sich sumpfiges Land mit Schilfrohr und einem schmalen Uferstreifen aus Bäumen, Palmen (darunter kletternde Rattan-Palmen), Lianen, Farnen und Kräutern. Auf der Nordseite erhob sich ein Hang mit immergrünem Laubwald. Die gefundene Vegetation ist einzigartig für das Voralpenland. Die Forscher vermuten als Ursache regionale Besonderheiten und eine Zeit relativ schnellen Klimawechsels.

„Die chronologischen Zusammenhänge unterstützen die Vorstellung, dass der Hominoid von Engelswies von afro-arabischen Afropithecinen abstammte“, schreiben die Forscher. Er wäre damit der erste Menschenaffe, der aus Afrika nach Eurasien eingewandert ist. „Die große Lücke zwischen dem Engelswies-Hominoiden und späteren Kenyapithecinen in Europa führt uns aber zusammen mit paläoklimatischen Überlegungen zu der Vermutung, dass diese frühe Auswanderung aus Afrika in einer Sackgasse geendet hat.“ Möglicherweise erst vor 14 Millionen Jahren sind afrikanische Menschenaffen (Kenyapithecinen) erneut nach Eurasien gekommen und haben sich hier zu den ersten großen Menschenaffen (z.B. dem heutigen Orang Utan) weiterentwickelt.

Die Arbeit entstand mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Publikationen

Böhme, M., Abdul Aziz, H. Prieto, J., Bachtadse, V. & Schweigert, G.(2011): Bio-magnetostratigraphy and Environment of the oldest Eurasian Hominoid from the Early Miocene of Engelswies (Germany).- Journal of Human Evolution. DOI 10.1016/j.jhevol.2011.04.012.

Heizmann, E.P.J. & Begun, D.R. (2001): The oldest Eurasian hominoid.- Journal of Human Evolution 41: 463-481.