Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2019: Alumni Tübingen

„Die Zeit in Tübingen hat mich innerlich wachsen lassen“

Der Präsident der American Academy in Berlin Terry McCarthy im Interview

Seit einem halben Jahr ist Terry McCarthy Präsident der American Academy in Berlin. Davor war er sechs Jahre Präsident und CEO des Los Angeles World Affairs Council. 27 Jahre lang arbeitete der Amerikaner, der auch die irische und die britische Staatsbürgerschaft besitzt, als Journalist. Von den USA, Europa und Asien bis hin zum Nahen Osten und Lateinamerika berichtete er für TV- und Printmedien über Politik, Wirtschaft und militärische Konflikte sowie soziale Themen und die Umwelt. Er arbeitete für ABC News und CBS News und war Auslandskorrespondent für die Zeitung "The Independent" und das Magazin "Time". Neben Englisch und Deutsch spricht McCarthy Französisch, Spanisch, Japanisch und Chinesisch. Während seines Philosophie-Studiums verbrachte er 1981 mit einem DAAD-Stipendium ein Jahr an der Universität von Tübingen. Maximilian von Platen hat McCarthy bei seinem ersten Besuch in Tübingen nach 37 Jahren interviewt.

Sie waren als Schüler bereits in Deutschland und während Ihres Studiums für ein Auslandsjahr in Tübingen. Woher kommt diese Deutschland-Affinität?

Ich bin in Irland auf ein Internat der Benediktiner gegangen und habe Deutsch und Französisch gelernt. Mit 14 war ich für ein Auslandssemester in Münsterschwarzach. Das war für mich eine tolle Erfahrung: ich war drei Monate nur mit Deutschen zusammen. Zwischen Schule und Universität war ich für ein Sabbatjahr – Gap Year – in Würzburg. Dort hatte ich einen Lehrer, der einmal in der Woche einen Philosophiekurs angeboten hat. Ich war 17 Jahre alt und habe das erste Mal etwas von Nietzsche gehört. Ich war total begeistert!

Als ich danach an die Universität Dublin gegangen bin, habe ich mich für Philosophie, Deutsch und Griechisch eingeschrieben. Beide Sprachen sind ganz grundlegend für die Philosophie. Nach zwei Studienjahren habe ich ein DAAD-Stipendium für Tübingen bekommen. Das war 1981. Ich habe mich damals ganz bewusst für Tübingen entschieden, wegen der Philosophie. Ein Jahr lang habe ich in Tübingen in der Alten Burse Philosophie studiert. In dieser Zeit habe ich mich sehr intensiv mit Deutschland, seiner Kultur und seiner Philosophie beschäftigt. Das hat mich und mein Leben sehr geprägt.

Nach dem Studium habe ich mich gefragt: Was willst Du mit deinem Leben machen? Was für einen Sinn hat das Leben? Und es wurde mir klar, dass ich kein Akademiker sein will. Philosophie war für mich nur ein „Weg“. Ich habe mich dann für den Journalismus entschieden und mich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens gemacht. Es war nicht mein Plan, Kriegskorrespondent zu werden, aber es ist so passiert und ich habe über viele Kriege berichtet. Krieg ist eine Situation, in der existenzielle Fragen eine ganz andere Bedeutung bekommen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Tübingen?

Ich habe sehr viel Spaß in Tübingen gehabt. Ich war in der Rugby-Mannschaft der Uni aktiv. Die war damals richtig stark. Wir waren zur Hälfte Franzosen, Engländer und Iren, auch ein Waliser war dabei – die andere Hälfte der Mannschaft waren Deutsche. Wir sind im Frühjahr 1982 als Team nach Bonn zu den Deutschen Hochschulmeisterschaften im Rugby gefahren – und haben den 2. Platz gemacht!

Ich hatte ein tolles Jahr in Tübingen und habe die Sprache richtig gut gelernt. Tübingen ist eine sehr schöne Stadt. Ich bin sehr froh, dass sich das auch nach rund 37 Jahren – bei allem Wandel – nicht grundlegend geändert hat.

Was war Ihr Lieblingsplatz in Tübingen?

Ich hatte in der Alten Burse einen Arbeitsplatz am Fenster. Dort habe ich gerne und viel gesessen, auf den Neckar geblickt und nachgedacht. Zu meiner Zeit hat Hans Küng noch gelesen. Ich habe in Tübingen Kurse zu Hegel, Bloch und Heidegger belegt. Tübingen bedeutete für mich ein Jahr, in dem ich frei war, zu studieren, was ich wollte. Ich musste kaum Prüfungen machen. Die Zeit in Tübingen hat mich innerlich wachsen lassen.

Abends war ich sehr oft in der Kneipe Chez Michel – das war das Stammlokal der Rugby-Mannschaft. Der Kneipen-Inhaber war damals Franzose, eben der besagte Michel. Und die Franzosen haben ja eine starke Affinität zum Rugby.

Ich habe damals in einer Wohnung in der Uhlandstraße gewohnt. Die Spaziergänge über die Neckarinsel habe ich in meiner Tübinger Zeit sehr genossen – das war zu jeder Jahreszeit wunderschön.

Ich bin ein großer Fan des Auslandsstudiums. Die Amerikaner nutzen diese Chance noch viel zu wenig, für die Iren ist das dagegen ganz normal. Das ist eine kulturelle Frage. Aber die Folgen sieht man dann später an Amerikas Außenpolitik. Amerika spielt eine wichtige Rolle in der Weltpolitik – aber wenn man sich nicht auskennt im Ausland, dann macht man große Fehler in der Außenpolitik, wie z.B. im Irak. Der „Fußabdruck“ Amerikas in der Welt ist sehr groß, leider kann er negativ sein, wenn man nicht gut informiert ist.

Erzählen Sie von der American Academy Berlin und Ihrer Arbeit dort

Richard Holbrooke hat 1994 die American Academy gegründet, als er Botschafter in Berlin war. Er hat nach dem Mauerfall sehr richtig vorausgesehen, dass die Beziehungen mit Russland sich mit der Zeit wieder verschlechtern könnten und sehr stark auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen gesetzt.

Jedes Jahr kommen rund 24 Stipendiaten aus den USA in unser Haus am Wannsee, darunter Schriftsteller, Künstler, Historiker, Wissenschaftler, und Journalisten und halten Vorträge. An der Academy wird dann über das deutsch-amerikanische Verhältnis diskutiert und zwar nicht nur über die Alltagspolitik, sondern auf einer tieferen Ebene.

Ich möchte bei meiner Arbeit als Präsident der American Academy den Horizont etwas weiter setzen und ganz Deutschland miteinbeziehen. Ich könnte mir ein Besuchsprogramm für Stipendiaten vorstellen, damit die auch etwas anderes von Deutschland sehen als Berlin. Berlin ist eine schöne Stadt – aber das ist nicht Deutschland.

Wie sehen Sie den Brexit?

Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber es ist für mich absehbar, dass die Wirtschaft Großbritanniens schrumpfen wird – das ist schlecht für alle Beteiligten. Ich bin generell verwundert über die Lage in Großbritannien: in früheren Krisen gab es immer eine starke Person an der Spitze wie Winston Churchill oder Margaret Thatcher. Aber jetzt in dieser Situation ist niemand da, und es werden Fehler über Fehler gemacht. Für Irland wird der Brexit gravierende Konsequenzen haben: zum einen wegen der Grenze zu Nordirland, die nicht wieder aufgebaut werden sollte. Aber auch wirtschaftlich, weil Irland traditionell enge Handelsbeziehungen zu England unterhält. Auch für England ist das schwierig: die Mehrheit der jungen Generation ist gegen den Brexit. Viele Engländer bemühen sich bereits jetzt um einen irischen Pass, viele wandern aus.

Was steht hinter der amerikanischen Politik unter Donald Trump?

Das eine ist die Persönlichkeit von Donald Trump. Es gibt aber auch klare Gründe, warum so viele Amerikaner Donald Trump gewählt haben. In erster Linie hat es mit der ökonomischen Ungleichheit zu tun. Ganz viele Amerikaner glauben, dass ihre Kinder ein schlechteres Leben haben werden als sie selbst. Viele sind vom Establishment sehr enttäuscht, deswegen haben sie aus Protest für Trump gestimmt. Er hat mit seinem Slogan „Make America great again“ die Unzufriedenen angesprochen.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Korea? Welche Rolle spielt Trump?

Trump hat zumindest anerkannt, dass er etwas anders machen muss, weil die bisherige amerikanische Politik keine Wirkung erzielt hat. Ob eine persönliche Beziehung zwischen Donald Trump und Kim Jong-un den Frieden bringt, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall muss man bei einer Lösung des Konflikts auch die chinesische Seite berücksichtigen. Die Nordkoreaner wissen genau, dass sie ihr eigenes Volk nicht mehr so kontrollieren können wie früher. Ich war in den 90er-Jahren in Nordkorea, damals wussten die Nordkoreaner überhaupt nichts von der Außenwelt. Die wussten noch nicht einmal, dass ein Mann auf dem Mond gewesen war. Heute gibt es in Nordkorea chinesische Handys und Thumb-Drives  mit TV-Serien aus Südkorea. Kim Jong-un ist der erste aus seiner Dynastie, der im Westen – in der Schweiz – studiert hat. Sein Vater und sein Großvater waren fast nie im Ausland. Er weiß daher, dass er nicht weiter darauf beharren kann, das nordkoreanische System sei das Beste.

Wie sehen Sie aktuell die Deutsch-amerikanischen Beziehungen?

Das Verhältnis Trump-Merkel ist vielleicht nicht so gut. Aber auf der Ebene der Technik, der Wirtschaft oder der Kultur sind die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sehr eng. Wir sind Demokraten und teilen dieselben Werte. Deswegen bin ich nicht so pessimistisch, wie es momentan die Presse darstellt. Die amerikanische Politik hat in den letzten 30 Jahren starke Ausschläge gehabt, wie ein Pendel. Aber die Institutionen in den USA sind stark. Wenn die jetzige Politik schwierig ist, so wird sich das mit der Zeit selbst korrigieren. Die weitere Stärkung der Deutsch-amerikanischen Beziehungen ist eine zentrale Aufgabe der American Academy in Berlin.

Was möchten Sie heutigen Studierenden mit auf den Weg geben?

Man sollte sich einen offenen Geist für Neues bewahren – es geht im Studium nicht nur darum, einen Job zu kriegen. Es geht vielmehr darum, sich selbst besser zu verstehen. Deshalb mein Rat: Lasst Euch Zeit, wenn Ihr jung seid. Wenn Ihr etwas ausprobiert und es ist nicht gut – macht einfach etwas anderes! Und geht mal während des Studiums ins Ausland!

The American Academy in Berlin

Die American Academy in Berlin wurde 1994 auf Initiative von Richard Holbrooke, dem damaligen amerikanischen Botschafter in Deutschland, gegründet und wird privat finanziert. Sie setzt sich dafür ein, die langfristigen intellektuellen, kulturellen und politischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu erhalten und zu stärken. 

Jedes Jahr vergibt die Akademie zwei Dutzend Semester lang Stipendien an herausragende Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler aus den USA. Stipendiaten aus den Geistes-, Sozial-, Politik- und Kunstwissenschaften verfolgen eigenständige Projekte in einer Wohngemeinschaft am Hans Arnhold Center, einer historischen Villa am Wannsee.