Uni-Tübingen

C 05

Inselressourcen – Eine vergleichende Studie von Insel-Gesellschaften im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

Fachklassifizierung

Mittelalterliche und Frühneuzeitliche Geschichte
Archäologie des Mittelalters




Inseln wurden während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit meist in ihrer Funktion als Durchgangsstationen für Migration und Handel, als Ziel von Expeditionen zum Erwerb exotischer Gegenstände oder als Versorgungsplätze für weite Reisen betrachtet. Die Besonderheiten, die kleinen Inseln (z. B.) eigentümlich sind, wurden dagegen selten untersucht, insbesondere nicht durch interdisziplinäre (archäologische und historische) Studien. Durch ihre isolierte Lage, Gefährdung durch Piraten, ihre Abhängigkeit vom Festland, ihre begrenzten geologischen Ressourcen und den Mangel an Trinkwasser teilen sich kleine Inseln viele Charakteristika. Der Umgang mit diesen ökonomischen und ökologischen Faktoren hängt weitgehend von den Einstellungen und Kenntnissen der Bewohner der jeweiligen Inseln ab. Vor diesem Hintergrund untersucht das Teilprojekt C 05 des SFB 1070 die Geschichte kleiner Inseln, um zu verstehen, wie Ressourcen verwendet, diskutiert und bewahrt wurden.

In dieser Phase betrachtet eine historische Fallstudie die Kulturgeschichte des Wassers auf spanischen Inseln der Frühen Neuzeit. Wasser wird als Teil eines RessourcenKomplexes untersucht, in welchem sich religiöse und ökonomisch-politische Praktiken miteinander verschränkten. So findet sich beispielsweise die Verehrung der Vir­gen del Pino (der hl. Jungfrau des Pinienbaums) an Orten, wo ‚fog harvesting‘ betrieben wurde: der Einsatz von Pinienbäumen zum Gewinnen von Wasser aus Nebelbänken und Wolken, die an Gebirgszügen langsam aufsteigen. Zudem nutzten die Inselbewohner zahlreiche Suppliken (rogativas), in denen Gott um Wasser angefleht wurde; und zwar durchaus auch als ein Mittel, um über solche religiösen Praktiken politische Botschaften zu senden und so ökonomische Veränderungen zu bewirken. Denn anders als sonstige religiöse Praktiken mussten diese Suppliken seitens der Lokalverwaltung regis­triert und dem König übermittelt werden. An den Hierarchien etablierter Gover­nance-Strukturen vorbei verfügten die Inselbewohner so über fluide Handlungsoptionen, die sie im In­teresse einer (ihnen anderweitig verwehrten) Mitgestaltung ihrer Lebensverhältnisse einzusetzen ver­suchten. Im Spiegel dieser zahlreichen und durchweg sehr aussagekräftigen Suppliken lässt sich damit die zeitgenössische Erfahrung von Naturkatastrophen und iher Deutung in der Vormoderne studieren.

Die aus der historischen Analyse der geschilderten Beobachtungen gewonnenen Ergebnisse werden mit archäologischen Beispielen verglichen, um der Frage nachzugehen, inwieweit auf kleinen Inseln Ressourcen anders genutzt wurden als auf dem Festland.

Die zweite Fallstudie untersucht mit archäologischen Mitteln Klöster auf Inseln und deren Umgang mit der Ressource Wasser. Dabei wird die besondere landschaftliche Lage – zwischen beabsichtigter Isolation und speziell über den Wasserweg vorhandener Verbundenheit – untersucht. Dabei können diese Klosterinseln in Flüssen und Seen von Süsswasser umgeben sein oder im Meer näher oder ferner des Festlandes liegen. Das Thema wird, ausgehend von den christlichen Inselklöstern Europas, grundsätzlich global und überreligiös angegangen unter Einbindung etwa buddhistischer Klöster und hinduistischer Satras in Südasien. Ziel ist es dabei, mit Hilfe zahlreicher Forschender aus anderen Weltregionen und -religionen, zeitliche und räumliche Schwerpunkte der Klostergründungen auf Inseln zu identifizieren und deren Entwicklung zu vergleichen. Besonderes Augenmerk wird auf das konkrete Wassermanagement innerhalb und ausserhalb der Klöster gelegt. Des Weiteren spielen mittelbar mit Wasser verbundene Aktivitäten wie Schifffahrt oder Fischkonsum eine Rolle. Nicht zuletzt soll es um die spirituelle Bedeutung des Wassers im Inselklosterkontext gehen.

Die beiden Teilprojekte aus Geschichte und Archäologie überlappen sich geographisch auf den Balearen. Dort soll beispielhaft die zeitliche und räumliche Entwicklung der insularen Klosterwelt und parallel dazu die mittelalterliche und frühneuzeitliche Kulturgeschichte der Wasserversorgung beleuchtet werden. Ab dem 5. Jh. n. Chr. zeichnet sich eine fast nur archäologisch fassbare Phase früher Klöster auf sehr kleinen Inseln ab, die mit der muslimischen Eroberung nach 902 fast vollständig abzubrechen scheint. Ab 1229, nach der Rückeroberung, entsteht dann eine hohe Klosterdichte besonders auf Mallorca selbst. Die Art und die Akteure der Wasserversorgung scheinen sich in den drei Phasen stark zu unterscheiden. Gleichzeitig lassen sich Parallelen mit der Entwicklung von Klosterstandorten entlang der französischen, irischen und britischen Küsten beobachten: auch hier gibt es in Folge äusserer Bedrohung den Trend, die Klöster landeinwärts zu verlegen. Der Einfluss solcher Entwicklungen auf das Wassermanagement von Flüssen oder die Anlage von Bewässerungsterrassen wird zurzeit intensiv und transdisziplinär erforscht. Hier wird das Teilprojekt C 05 aus Sicht der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inselökonomien zu diesen Diskursen beitragen.