Uni-Tübingen

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16.02.2021

In vitro Veritas

Organ-on-a-Chip-Testsysteme für die Entwicklung neuartiger Krebstherapien

Verbindung mehrerer Organ-Chips mit verschiedenen Gewebetypen

Der klassische Weg der Medikamentenentwicklung führt meist nicht am Tiermodell vorbei. Dabei erschwert die begrenzte Übertragbarkeit der Ergebnisse oft die Suche nach geeigneten Wirkstoffen. Denn entweder werden diese aufgrund von Nebenwirkungen zu früh ausgeschlossen, oder aber sie zeigen im Menschen nicht die erhoffte Wirkung. Es wird an In-vitro-Testsystemen, basierend auf humanen Zellen und Geweben gearbeitet, um diese Vorhersagekraft zu verbessern. Daher entwickelt das NMI in Reutlingen künftig, gemeinsam mit akademischen und industriellen Partnern, ein Testsystem, das Tumor und Immunsystem simuliert.

Herausforderung – Krebstherapie

Krebs gilt weltweit als eine der häufigsten Todesursachen. Obwohl Forschende immerzu neue Therapieansätze entwickeln, schaffen es nur halb so viele Wirkstoffkandidaten bis zum Patienten wie dies bei Medikamenten der Fall ist, die der Behandlung anderer Krankheiten dienen. Das liegt vor allem daran, dass die Arzneimittel zuerst im Tiermodell getestet werden, sich die Immunsysteme unterschiedlicher Spezies jedoch stark voneinander unterscheiden. Dabei spielen gerade Immuntherapeutika eine zunehmende Rolle bei der Behandlung von Krebserkrankungen.

Interdisziplinäre Suche nach dem passenden In-vitro-Testsystem

Der Einfluss des Immunsystems ist einer der Gründe, aus denen sich das NMI, gemeinsam mit der Universität Tübingen und den Unternehmen Miltenyi Biotec B.V. & Co. KG und LaVision BioTec GmbH, der Entwicklung eines In-vitro-Testsystems widmet, das Tumore und deren Interaktion mit dem umliegenden Gewebe besser abbildet. Bei dem zu entwickelnden Modell handelt es sich um einen Multi-Organ-Chip, wobei man unter Organ-on-Chip-Technologien generell In-vitro-Testsysteme versteht, die menschliche Gewebe in mikrofluidische Chips integrieren und Miniorgane imitieren. Werden mehrere dieser Chips mit verschiedenen Gewebetypen miteinander verbunden, lässt sich die Interaktion zwischen den Geweben und Zellen, beispielsweise Tumor und Immunzellen, untersuchen. „Gerade für die Entwicklung von Immuntherapien ist die Möglichkeit, humane Gewebe und Immunzellen zu integrieren, von entscheidender Bedeutung“, erklärt Jun.-Prof. Dr. Peter Loskill, Leiter des μOrgano Labors an der Universität Tübingen, „denn indem wir die Interaktion von Tumor und Immunsystem beobachten können, diese Einheiten also nicht länger getrennt voneinander betrachten, steigt auch die Chance, wirksame Therapeutika zu identifizieren.“ Auch das Problem der Übertragbarkeit von Ergebnissen von einer Spezies auf eine andere soll der neue Ansatz lösen.

Ziel: Entwicklung eines Multi-Organ-Chips

Das neue Organ-on-a-Chip-Testsystem soll dabei nicht nur ein Lymphknotenmodell mit Tumormodellen verbinden, auch die direkte Umgebung des Tumors wird auf dem Chip nachgebildet werden. Außerdem soll die Plattform dahingehend optimiert werden, dass die Immunzellen frei zirkulieren können. Eine Beobachtung dieser Vorgänge mittels nicht-invasiver Bildgebung soll darüber hinaus möglich werden. Bei der Umsetzung dieses Vorhabens greifen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch auf Erkenntnisse vorhergehender Forschungsprojekte zurück. „Am NMI befasst sich eine ganze Forschungsgruppe mit aus Patientengewebe abgeleiteten Mikrotumoren. Das sind dreidimensionale Gewebestücke, die sowohl aus Tumorzellen, als auch aus Bestandteilen des angrenzenden Gewebes wie extrazelluläre Matrixproteine bestehen“ erklärt Prof. Dr. Katja SchenkeLayland, Direktorin des NMI. „Kombiniert mit dem Wissen der Projektpartner, kann die Entwicklung des Multi-Organ-Chips gelingen und die Entwicklung innovativer Krebstherapien entscheidend vorangetrieben werden.“

Gefördert wird das Projekt durch das HOPE-Programm von Wellcome Leap über die Dauer von drei
Jahren mit insgesamt 3,434 Millionen US Dollar.

Über das NMI

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und betreibt anwendungsorientierte Forschung an der Schnittstelle von Bio- und Materialwissenschaften. Es verfügt über ein einmaliges, interdisziplinäres Kompetenzspektrum für F&E- sowie Dienstleistungsangebote für regional und international tätige Unternehmen. Dabei richtet sich das Institut gleichermaßen an die Gesundheitswirtschaft sowie Industriebranchen mit werkstofftechnischen und qualitätsorientierten Fragestellungen wie Fahrzeug-, Maschinen und Werkzeugbau.

Das Forschungsinstitut gliedert sich in drei Geschäftsbereiche, die durch ein gemeinsames Leitbild
miteinander verbunden sind: Die Suche nach technischen Lösungen erfolgt stets nach höchsten wissenschaftlichen Standards. Im Geschäftsfeld Pharma und Biotech unterstützt das NMI die
Entwicklung neuer Medikamente mit biochemischen, molekular- und zellbiologischen Methoden. Der Bereich Biomedizin und Materialwissenschaften erforscht und entwickelt Zukunftstechnologien wie die personalisierte Medizin und Mikromedizin für neue diagnostische und therapeutische Ansätze. Im Fokus des Dienstleistungsangebotes steht für Kunden die Strukturierung und Funktionalisierung von Werkstoffen und deren Oberflächen. Im Geschäftsfeld Analytik und Elektronenmikroskopie werden
analytische Fragestellungen beantwortet.

Über die Landesgrenzen hinaus ist das NMI für sein Inkubatorkonzept für Existenzgründer mit biound materialwissenschaftlichem Hintergrund bekannt.
www.nmi.de

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen wird vom
Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg unterstützt und
ist Mitglied der Innovationsallianz Baden-Württemberg, einem Zusammenschluss von 13
außeruniversitären und wirtschaftsnahen Forschungsinstituten.
www.innbw.de 

Pressemitteilung des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts, An-Institut der Universität Tübingen

Pressekontakte

Sarah Link
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut
an der Universität Tübingen
 Tel.: +49 7121 51530-842
pressespam prevention@nmi.de 

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