Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2021: Studium und Lehre

Angekommen: Vor fünf Jahren musste Rama Kserawy aus Syrien fliehen, jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss ihres Bachelor-Studiums

Stipendiatin des Baden-Württemberg-Programms studiert Nano-Science in Tübingen

Rama Kserawy, 23, ist Stipendiatin des Baden-Württemberg-Programms zur Studienförderung von Geflüchteten aus Syrien. Im Interview erzählt sie von ihrer Anfangszeit in Deutschland, ihrem Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern und ihrem Studium an der Universität Tübingen.

Welches Fach studieren Sie an der Universität Tübingen?

Ich studiere Nano-Science an der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät. Der interdisziplinäre Studiengang setzt sich aus den Fächern der Biologie, Chemie und der Physik zusammen – drei Bereiche, die mich sehr interessieren. 

Weshalb haben Sie sich für die Universität Tübingen entschieden? 

Wegen Nano-Science! Diesen Studiengang gibt es so nur in Tübingen. Er ist auch noch relativ neu, es gibt ihn erst seit ca. zehn Jahren. 

Fühlen Sie sich in Tübingen wohl?

Ja, mittlerweile mag ich Tübingen sehr gerne. Dass ich irgendwann umziehen muss, finde ich jetzt schon schade. Am Anfang meines Studiums habe ich die Großstadt noch sehr vermisst – bevor ich nach Tübingen zog, habe ich in Mannheim gewohnt. Im Unterschied zu Tübingen kann man dort alle möglichen arabischen Produkte kaufen, die es hier nicht gibt. In Tübingen gibt es nur ein Geschäft für arabische Lebensmittel; Kleidung und Einrichtungsgegenstände findet man hier nicht.

Wie hat das Stipendium des Baden-Württemberg-Programms zu Studienförderung von Geflüchteten aus Syrien Ihr Leben verändert?

Ich kam mit meiner Familie 2016 nach Deutschland, genauer gesagt, in den Main-Tauber-Kreis. Wie alle Geflüchteten lebten wir in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen. Viel Platz gab es nicht, wir lebten zu viert in einem Zimmer. Nach ca. vier Monaten in Deutschland erzählte uns ein Freund vom Baden-Württemberg-Programm zur Studienförderung von Geflüchteten aus Syrien und schlug uns vor, uns darauf zu bewerben. Sie merken, ich rede im Plural, mit „wir“ meine ich meine ältere Schwester Batoul und mich. Wir waren von der Idee begeistert, doch standen wir relativ schnell vor einem großen Problem: In der Geflüchtetenunterkunft hatten wir weder Zugang zu einem Laptop, noch zu einem Drucker. Diese technischen Geräte brauchten wir jedoch, um unseren Stipendienantrag stellen zu können. Zum Glück unterstützte uns eine Lehrerin aus Külsheim. Dank ihrer Hilfe konnten wir unsere Bewerbungen in der Schulbibliothek fertigstellen. 

Ihre Bewerbung war erfolgreich und Sie erhielten das Stipendium. In welchen Bereichen hat das Stipendium Sie unterstützt?

Das Stipendium hat uns geholfen, uns in der deutschen Universitätslandschaft zurechtzufinden. Zudem hat es die Kosten für Sprachkurse und Studienvorbereitungskurse übernommen und uns zu verschiedenen Vorbereitungsworkshops und Seminaren eingeladen. Dort knüpften wir Kontakt zu anderen syrischen Stipendiaten und Stipendiatinnen.

Sie werden Ihr Studium der Nano-Science in Kürze abschließen. Welche Pläne haben Sie für die Zeit danach?

Ja, ich muss noch in drei Modulen Prüfungen ablegen, um mein Studium abzuschließen. Eigentlich beträgt die Regelstudienzeit für Nano-Science 6 Semester, doch konnte ich wegen Corona manche Prüfungen nicht wie geplant schreiben. Nach Abschluss meines Bachelors werde ich mich auf den Master in Nano-Science hier in Tübingen bewerben. Danach würde ich gerne im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg arbeiten oder in Richtung Management gehen. Während ich an meiner Bacherlorarbeit schrieb, habe ich gemerkt, dass ich sehr gut im Planen und Organisieren bin. 

Wir haben uns über verschiedene Aspekte Ihres Stipendiums und Ihres Studiums in Tübingen unterhalten. Gibt es noch andere Themen, über die Sie sprechen wollen?

Das erste Semester war nicht einfach für mich. Alles war neu und ich war, zumindest gefühlt, nur unter Deutschen. Es war schwierig, Kontakt zu meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen aufzunehmen. Ich hatte immer das Gefühl, als ob es zwischen ihnen und mir eine unsichtbare Wand gäbe. Sie wussten einfach nicht, wie sie mit mir umgehen sollten, und sahen primär das Kopftuch und nicht mich als Person. Das besserte sich erst im Laufe der Zeit – mittlerweile habe ich auch eine sehr gute Freundin aus meinem Studiengang. Sie ist Christin und immer, wenn wir uns treffen, diskutieren wir über religiöse und kulturelle Unterschiede. Das ist sehr spannend! Meine Professorinnen und Professoren haben mich immer sehr unterstützt, sie kannten auch meinen Hintergrund. 

Sie mussten Syrien aufgrund des Bürgerkriegs verlassen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Landes?

Da gibt es eine lange Liste an Dingen! Doch das Allerwichtigste: Dass die Menschen vor Ort Zugang zu Lebensmitteln haben. Also, dass sie überhaupt leben können. Dann wünsche ich mir, dass sie in Frieden und Freiheit, ohne Krieg, leben können.  

Das Interview führte Rebecca Hahn