Juristische Fakultät

27.10.2021

9. Symposion der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht der Universität Tübingen fand am 8. Oktober 2021 in Stuttgart in Präsenz statt

„Welche Loyalität brauchen kirchliche Einrichtungen?“ – um diese Fragestellung drehte sich das Symposion der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht der Universität Tübingen am 8. Oktober 2021. Die Teilnehmer/innen durften sich über spannende Vorträge von Dr. Dorothee Steiof (Caritas Rottenburg-Stuttgart), Dr. Heike Kagan (Arbeitsreferentin beim Diakonischen Werk Württemberg) sowie über einen Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Benjamin Weller (Naegele Rechtsanwälte) freuen, der die rechtliche Lage mittels der Rechtsprechung des EuGH beleuchtete. Nicht zuletzt hielt Prof. Dr. Hermann Reichold (Universität Tübingen) einen Vortrag über die Reform der katholischen Grundordnung.

Dorothee Steiof ist für die Caritas Rottenburg-Stuttgart tätig und setzt sich seit mehreren Jahren für die Vielfalt innerhalb der Caritas ein. Laut Steiof müsse ein Klima der Vielfalt und Offenheit innerhalb der Caritas herrschen, weil die Gottesliebe alle Mitarbeitenden erfasse. Daraus folgten auch Konsequenzen für Einstellung und Beschäftigung innerhalb der Caritas. Zu Beginn warf die Referentin die Frage auf, welchen Beitrag die Caritas als christliche Organisation für das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft leisten und damit zu einem gelingenden Miteinander der Menschen auch in ihren Unterschiedlichkeiten beitragen könne. Die „Charta 28“der Caritas Rottenburg-Stuttgart besage hierzu, dass die Exklusion von Menschen verhindert und Inklusion gefördert werden solle. Steiof machte in ihrem Vortrag deutlich, dass die Caritas Vielfalt als Chance und Prozess sehe, weil der Umgang mit Vielfalt sich am Evangelium orientiere und nicht an gerichtlichen Urteilen. Um Vielfalt zu fördern und für alle verständlich zu machen, gäbe es innerhalb ihrer Institution Handreichungen für Führungskräfte. Sie verwies überdies auf die ihr wichtige institutionelle Loyalität, wonach die Lebensweisen der Mitarbeiter/innen respektiert werden und nicht die Religion, sexuelle Anschauung, Kultur etc. maßgeblich sein solle, sondern das Teilen der Werte und Ziele des Caritasverbands sowie der Respekt vor dem kirchlich-religiösen Charakter der Institution. „Unsere Kolleg/innen begrüßen diese Haltung eines kirchlichen Arbeitgebers“, so die Referentin.


Im Anschluss hielt Heike Kagan, Arbeitsreferentin beim Diakonischen Werk Württemberg, einen Vortrag über die „Pluralität als Markenkern der Diakonie – wie passt die AcK-Klausel dazu?“. Sie thematisierte in ihrem Vortrag das Arbeitsrecht evangelischer Dienstgeber, das unter anderem mittels AcK-Klauseln festgesetzt wird. Dabei handelt es sich um Klauseln, die von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (AcK) in Württemberg aufgestellt und von kirchlichen Anstellungsträgern hinsichtlich des Einstellungskriteriums der Kirchenzugehörigkeit zugrunde gelegt würden. Zudem ging Kagan in ihrem Vortrag auf weitere arbeitsrechtliche Regelungen der Diakonie ein, etwa die AVR-Wü/I, AVR-Wü/IV und die KAO zur Begründung und Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Die aus der Kirchenmitgliedschaft folgende Loyalitätspflicht erschöpfe aber nicht die tatsächlich vorhandene Pluralität insbesondere innerhalb der Diakonie. Jedoch könnten nach allen drei Regelwerken jeweils Kündigungen u.a. aufgrund Kirchenaustritts oder anderen groben Verstößen gegen Loyalitätsobliegenheiten erfolgen. Doch würden diese Kündigungen wegen Kirchenaustritts aktuell keineswegs mehr ohne weiteres vor den Arbeitsgerichten standhalten. Im Fall z.B. des LAG Baden-Württemberg (Urteil v. 10.2.2021 – 4 Sa 27/20) sah das Gericht die Kündigung als nicht rechtmäßig an, da der Mitarbeiter laut § 34 Abs. 2 KAO nicht ordentlich kündbar war und der Kirchenaustritt seiner Tätigkeit als Koch in einer Kindertageseinrichtung laut aktueller EuGH-Rechtsprechung nicht entgegenstehe. 


Den dritten Vortrag - „Kirche als ,Tendenzbetrieb’? Hinweise zum produktiven Umgang mit der Rechtsprechung des EuGH“ - hielt Dr. Benjamin Weller, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Zunächst beleuchtete Weller normative Hintergründe des Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG sowie des § 9 AGG. Dabei wurde auf die Einstellungsanforderungen sowie die Loyalitätsobliegenheiten eingegangen. Laut EuGH dürfe die Konfession eines Bewerbers nur dann Einstellungskriteriums sein, wenn diese eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung“ darstellten. Die Konfession als Einstellungskriterium hänge demnach nicht mehr allein vom Selbstverständnis der Kirche ab. Es bedürfe prinzipiell keiner „personalen“ Loyalität, sondern einer „organisatorischen“ Loyalität in dem Sinne, dass das Ethos der Organisation geteilt werde. Der Referent ging ausführlich auf die Rechtsprechung des EuGH und dessen Kriterien für die Zulässigkeit konfessionsdifferenzierender Loyalitätsobliegenheiten ein. Danach seien konfessionsbezogene Verhaltensanforderungen an die Mitarbeiter/innen nur zulässig, soweit jene eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung“ nach der Art der Tätigkeit darstellten. Es müsse ein direkter Zusammenhang zwischen den beruflichen Anforderungen und der Tätigkeit bestehen.


Zum Abschluss des Symposions befasste sich der Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht an der Universität Tübingen, Prof. Dr. Hermann Reichold, in seinem Vortrag „Reform oder ,Reförmchen’? Zwischenruf zur Reform der Grundordnung“ mit der anstehenden Änderung der Grundordnung (GrO) für den kirchlichen Dienst im Rahmen von kirchlichen Arbeitsverhältnissen in der katholischen Kirche. Reichold beleuchtete die Thematik in fünf Abschnitten: 
Im ersten Abschnitt seines Vortrags wurden die positiven und negativen Funktionen der Grundordnung beleuchtet. So sei die potenzielle „Kündigungs-Orgie“, die aufgrund der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit aus Art. 5 GrO folge, ein negativer Aspekt.
Der zweite Abschnitt behandelte den Ausgangspunkt der Grundordnung, wonach die christliche Einstellung nach dem sog. „Berufungsprinzip“ bei katholischen Mitarbeitenden sich von selbst verstehe und daher nicht rechtlich reguliert werden müsse. An dieser Stelle warf der Referent die Frage auf, ob konfessionelle Prägung und Gesinnung als solche bereits „christliche Professionalität“ sicherstellen könnten. In einem weiteren Abschnitt beschäftigte sich Reichold mit den historischen Aspekten der Besonderheiten im kirchlichen Arbeitsrecht, welche den großen Kirchen in der Nachkriegszeit als „Stabilitätsankern“ von Wissenschaft und Rechtsprechung großzügig zugestanden wurden, indem besondere Loyalitätsobliegenheiten bei Arbeitnehmer/innen und ein besonderes „Tarifrecht“ wie auch eine besondere Mitbestimmungsordnung ermöglicht wurden. In Anbetracht des soziologischen Befunds, so Reichold, wonach der Anteil der Kirchenmitglieder in den letzten Jahren auf ca. 50% der Gesamtbevölkerung in Deutschland gesunken sei, zudem im Osten der Republik eine „Rückkehr der Religion“ nicht in Aussicht stehe, dürfe es nicht verwundern, dass Politik, Gesellschaft und Gerichte den kirchlichen Arbeitnehmern in ihren Beschäftigungsverhältnissen deutlich weniger entgegen kämen als in früheren Zeiten. Deshalb, so der Referent, bedürfe es einer neuen „Loyalität auf Gegenseitigkeit“ im kirchlichen Arbeitsrecht. Hier bestehe derzeit eine Lücke in der Grundordnung. Es sei keine personale Loyalität der Mitarbeiter/innen kraft Konfession gefragt, sondern eine organisationelle Loyalität zur Einrichtung. Das bestätige die Rechtsprechung des EuGH, wonach lediglich für solche Aufgaben, welche „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen“ der Kirche und ihrer Einrichtungen beträfen, die katholische Konfession notwendig sein könne, z.B. im Kernbereich der pastoralen und katechetischen Funktionen (EuGH 17.4.2018, NZA 2018, 569 – „Egenberger“). Ebenso bestehe die Notwendigkeit, die Grundordnung zu entschlacken und zu konkretisieren. An dieser Stelle sei besonders der Art. 5 GrO zu nennen, der mit seinem ausufernden Kündigungskatalog positive Erwartungen der Bewerber/innen an eine vertrauensvolle Dienstgemeinschaft dämpfen könne. 


Zum Abschluss des Symposions standen alle Referent/innen den Teilnehmenden des Symposion für Fragen im Rahmen einer regen Podiumsdiskussion zur Verfügung. 

Text: Evelyn do Nascimento Kloos

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