Uni-Tübingen

12.11.2019

Ist New Work Lohnarbeit im Minirock?

Viele Menschen erleben ihren beruflichen Alltag als milde chronische Krankheit – sie bringt einem nicht um aber sie schmerzt und ist lästig. Die Vision von Frithjof Bergmann, Philosoph und Anthropologe, ist eine andere: wie kann man die Arbeit befreien und sinnvolle erfüllende Tätigkeiten nachgehen?

Ihn interessiert, wie die Änderungen im Arbeitsleben durch technischen Fortschritt (Industrialisierung, Automatisierung, Digitalisierung) sich auch förderlich auf die Gesellschaft und die Berufswege der einzelnen Menschen auswirken. Ein Thema, das auch heute aktueller ist denn je: geschätzt wird, dass durch die zunehmende Digitalisierung 50 % der heutigen Berufe teilweise oder ganz von Apps, Drohnen oder Robotern übernommen werden können. Ob an anderer Stelle ebenso viele neue Arbeitsplätze entstehen, ist fraglich.

Entwickelt hat Bergmann die New-Work-Philosophie im Detroit der 80 Jahre, als die Auto-Industrie aufgrund zunehmender Automatisierung in den Fabriken Massenentlassungen durchgeführt hat. Seine New Work Centers haben – mit Unterstützung der Arbeitgeber - Menschen ermöglicht, sich mit der Frage zu beschäftigen ‘‘was sie wirklich, wirklich wollen‘‘. So konnten viele Menschen, indem sie sich über ihre Qualitäten, Fähigkeiten und Leidenschaften bewusster wurden, neue Berufsperspektiven entwickeln. Kernwerte sind Freiheit, Selbstverantwortung und soziale Teilhabe an der Gemeinschaft. Aber unter Freiheit zum Beispiel wird nicht nur Entscheidungsfreiheit zwischen Alternativen verstanden, sondern wirkliche Handlungsfreiheit.

New Work ist deswegen auch ein wertvoller Blickwinkel, wenn man die ersten Schritte ins Berufsleben setzt. Stelle ich mir die Frage, auf welche Stelle ich mich bewerben sollte, damit ich abgesichert bin oder nicht untätig, oder schaue ich erst wie ich mich beruflich entfalten und einbringen möchte? Will ich möglichst schnell eine Karriereleiter erklimmen? Oder beschäftige ich mich eingehend mit meinen tiefsten Wünschen, versuche die Ahnung, die ich davon habe ‚warum ich überhaupt hier bin‘ konkret zu machen und herauszugehen, um diese zu suchen?

Arbeitgeber werben heute gerne mit ‚New Work‘ wenn sie flexible Arbeitszeiten anbieten, mehr Selbstverantwortung bei der Erfüllung der Aufgaben oder wenn es Lounge-Ecken und Tischtennisplatten im Büro gibt. „Für viele ist New Work etwas, was Arbeit ein bisschen reizvoller macht, quasi Lohnarbeit im Minirock“, sagt Frithjof Bergmann. Aber New Work ist noch was anderes. Nach seinen Vorträgen zum Thema New Work wird Bergmann regelmäßig gefragt: ‚‘‘Wie wissen Sie, ob jemand herausgefunden hat, was er wirklich, wirklich will?‘‘ ‘‘Ganz einfach: man sieht es. Der Gesichtsausdruck eines Menschen, seine Körperhaltung und die Art, wie er sich bewegt, lassen daran keinen Zweifel.‘‘

Weißt du, was du wirklich, wirklich willst?

Neugierig geworden? Dann komm zum Career Service.

 

Hier geht es zu einigen Büchern und Artikeln:

Bergmann, Frithjof: Neue Arbeit, neue Kultur (Arbor 2004)
Diener, Thomas: Essenz der Arbeit. Die Alchemie der Berufsnavigation (Arbor 2006)

Interview mit Frithjof Bergmann aus Personalmagazin 09/2018.
Die Welt, 11. Januar 2016: Droht mit der Digitalisierung für jeden zweiten Job das Aus?
Stefan Scheller: Warum die Definition des New Work Konzepts ein Update braucht.
Frithjof Bergmann: New Work Manifest - Die kürzest mögliche Zusammenfassung der Neuen Arbeit
Interview mit Richard Sennett in Die Zeit, 3. Juli 2014: ‘‘Wir müssen die Arbeit umverteilen‘‘
Avantgarde Experts: New Work: die neue Arbeitsrevolution?

 

Zurück