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Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2013: Leute

„Moralist ist ein Ehrentitel.“ – Zum 90. Geburtstag von Walter Jens

Universität Tübingen ehrt den Doyen der Rhetorik mit Festakt und Tagung

Walter Jens ist einer der profiliertesten Intellektuellen der Bundesrepublik Deutschland. Über Jahrzehnte hinweg hat der Tübinger Hochschullehrer in allen wichtigen Debatten Stellung bezogen. Er war Schriftsteller, Kritiker, homme de lettres, aber auch ein konsequenter Demokrat, ein Prediger der Vernunft. Anlässlich seines 90. Geburtstags veranstaltet die Universität Tübingen Anfang Mai einen öffentlichen Festakt und eine Tagung, um Leben und Werk des Tübinger Rhetorik-Professors zu würdigen.

Aus dem jungen Tübinger Professor für Klassische Philologie, Jens, wurde bald ein Botschafter für die Universität Tübingen. Bis heute ist das 1967 von ihm gegründete Seminar für Allgemeine Rhetorik das einzige Rhetorik-Institut in Deutschland, das sich mit der Erforschung der Rhetorik in ihrer historischen Tiefe und theoretischen Breite befasst. Auch wenn seine Hauptwirkungsstätte die Universität blieb, tendierte Jens immer schon zu öffentlicher und medialer Wirksamkeit. Seine „Lust sich mitzuteilen“ (Spiegel) machte Jens auch außerhalb des universitären Betriebs bekannt. Legendär sind die Rolle von Jens in der Gruppe 47 deutschsprachiger Schriftsteller, seine Fernsehkritiken als Momos in der Wochenzeitung Die Zeit und vor allem sein Wirken als Redner.

1976 publizierte Jens eine Auswahl seiner Reden und Essays unter dem programmatischen Titel „Republikanische Reden“, der seinen Anspruch in nuce deutlich machte: Hier tritt einer auf, der sein schriftstellerisches und rednerisches Œuvre ganz in den Dienst des Politischen stellt. Es ging ihm darum, öffentliche Angelegenheiten immer auch zu seiner Sache zu machen. Mit seinen Reden erschloss er sich das ganze Feld öffentlicher Diskurse. Jens war überall präsent. Und standpunktfest, ohne sich aber auf eine Position reduzieren zu lassen. Er machte deutlich, was er für richtig, was er für falsch hielt – ob auf dem Kirchentag, bei den Protesten anlässlich der Notstandsgesetze 1968 oder bei seinem Engagement in der Friedensbewegung, das in der Teilnahme an einer Blockadeaktion vor dem Raketendepot in Mutlangen seinen Höhepunkt fand.

So wurde Jens zu einer öffentlichen Figur, parlierte in Talkshows über Fußball, war aber auch als eine moralische Instanz präsent. Immer wieder übernahm er auch Aufgaben außerhalb der Universität, so war er von 1976 bis1982 und von 1988 bis 1989 PEN Präsident, von 1989 bis 1997 Präsident der Akademie der Künste zu Berlin, wo mit der deutschen Wiedervereinigung die Vereinigung der Akademien zu seiner Aufgabe wurde. Seine späten Texte, die in Zusammenarbeit mit seiner Frau Inge Jens entstanden, etwa „Frau Thomas Mann“, wurden zu Bestsellern. Walter Jens war und ist selbst noch während seiner Krankheit eine öffentliche Figur. „Der öffentliche Jens“ ist daher auch der Titel des Festvortrags von Joachim Knape am Freitag, den 3. Mai. Wichtigster Bezugspunkt für den öffentlichen Jens war dabei wohl das Christentum, Jens suchte bisweilen die Kanzel, trat häufig in Union mit Hans Küng auf. Bibel und Christentum sind zentrale Themen seiner Reden und literarischen Werke, wozu Karl Josef Kuschel, als intimer Kenner des Werkes von Walter Jens, beim Festakt sprechen wird.

Constantin Neumeister und Olaf Kramer

FESTAKT anlässlich seines 90. Geburtstags

mit Rektor Bernd Engler und Oberbürgermeister Boris Palmer am Freitag
3. Mai 2013 um 20 Uhr im Audimax, Neue Aula, Geschister-Scholl-Platz
Joachim Knape, Seminar für Allgemeine Rhetorik, „Der öffentliche Jens“
Karl-Josef Kuschel, Odysseus und Jesus: zu zwei Schlüsselfiguren im Werk von Walter Jens´

TAGUNG
Samstag, 4. Mai 2013, 9 bis 13:30 Uhr, Bonatzbau, Wilhelmstraße 32.

• Dietmar Till (Universität Tübingen): „Arbeit am Modell – zur Erzählprosa von Walter Jens“
• Georg Braungart (Universität Tübingen): „Szenische Versuchsanordnungen: Walter Jens als Dramatiker“
• Thomas Schirren (Universität Salzburg): „Die Götter sind sterblich – Walter Jens übersetzt die Antike“
• Michael Tilly (Universität Tübingen): „Ästhetik und Aktualität – Walter Jens als Übersetzer des Neuen Testaments“
• Olaf Kramer (Universität Tübingen): „Ort der Handlung ist Deutschland – Der Redner Walter Jens“