Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2013: Forschung

Eine Kamera wie ein Insektenauge

Wissenschaftler der Universität Tübingen an der Entwicklung künstlicher Sehorgane beteiligt

Gängige Kameras sind ähnlich aufgebaut wie das Auge eines Menschen, das nur eine einzelne Linse besitzt. Im Tierreich ist jedoch ein anderer Augentyp stark verbreitet: das Facetten- oder Komplexauge, wie es bei Insekten zu finden ist. Es besteht aus einem dichten Mosaik zahlreicher winziger Augen. Gegenüber einem Säugetierauge hat ein Komplexauge zwar eine geringere Auflösung, dafür aber ein bedeutend breiteres Gesichtsfeld, an dessen Rand es zudem kaum zu Verzerrungen kommt. In kurzer Zeit können viele aufeinanderfolgende Bilder verarbeitet werden. Das Komplexauge ist für das Bewegungssehen optimiert, für Aufgaben wie die Vermeidung von Zusammenstößen, die Schätzung von Entfernungen, Start und Landung beim Flug. Ein europäisches Forscherteam unter der Leitung der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) hat nun mit Beteiligung der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Hanspeter Mallot vom Institut für Neurobiologie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen ein künstliches Auge entwickelt, das dem Auge einer Fruchtfliege nachempfunden ist.


Die Herausforderung bei der Konstruktion eines künstlichen Komplexauges besteht darin, alle Komponenten akkurat ausgerichtet auf eine gewölbte Oberfläche aufzubringen. Die Wissenschaftler haben dieses Problem mit einem Design aus drei Lagen gelöst, die einzeln produziert wurden: eine Schicht kleiner Linsen, eine nervenzellähnliche Schicht aus Fotorezeptoren sowie eine flexible Platine und elektronische Komponenten. Übereinandergelegt erhielten sie so einen mechanisch flexiblen Bildsensorchip.


Das neu entwickelte künstliche Komplexauge CurvACE (Curved Artificial Compound Eye) hat ein halbkugelförmiges Gesichtsfeld mit einer ähnlichen Auflösung wie das Auge einer Fruchtfliege und ist weniger als einen Millimeter dick. Es kann Bildfolgen dreimal schneller verarbeiten als das Fliegenauge, seine Fotorezeptoren für das Bewegungssehen arbeiten auch bei extremen Lichtverhältnissen, im Mondlicht wie im grellen Sonnenlicht. Die Tübinger Wissenschaftler werteten den optischen Fluss von CurvACE aus, sie nutzten einen Rechenalgorithmus, der die Hell-Dunkel-Informationen der vielen einzelnen Fotorezeptoren in die Wahrnehmung einer Bewegung zum Beispiel von CurvACE auf eine Wand zu oder einer Rollbewegung von CurvACE umsetzten. Für eine Kamera, die ähnlich funktioniert wie ein Insektenauge, gibt es ein breites Spektrum von Einsatzmöglichkeiten, bei denen schnelle Bewegungen registriert werden müssen, wie zum Beispiel bei mobilen Robotern, den fliegenden Quadrocoptern oder bei der Integration von Sehhilfen für Blinde in Kleidungsstücken.


Janna Eberhardt