Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2023: Leute

Gründungsdirektor des Altorientalischen Seminars und Brückenbauer zwischen den Fächern

Zum Tode von Professor Dr. Wolfgang Röllig ein Nachruf von Eva Cancik-Kirschbaum

Am 22. Februar starb im Alter von 91 Jahren Professor Dr. Wolfgang Röllig, Emeritus für Altorientalistik Universität Tübingen und langjähriger Wahl-Tübinger. Von der Elbe über Spree und Donau hatte ihn sein Lebensweg an den Neckar geführt, Euphrat und Tigris, Habur, Jordan und Orontes markieren den geographischen Raum seiner wissenschaftlichen Arbeit.

Geboren am 6. Februar 1932 in Dresden, studierte er Theologie, Orientalistik und Alte Geschichte in West-Berlin, Heidelberg, Wien und Münster und fand sein Arbeitsfeld in den Schriftfunden aus der Umwelt des Alten Testaments, den sprachlichen Überlieferungen der Aramäer, Phönizier, Assyrer und Babylonier. 1966 wurde er zum Professor für Altorientalistik an die Eberhard Karls Universität Tübingen berufen.

Der erste Schritt des jungen Lehrstuhlinhabers war die Gründung des Altorientalischen Seminars (heute Teil des Institut für die Kulturen des Alten Orients IANES), denn bis dahin waren die Wissenschaften vom Alten Orient an der Philosophischen Fakultät nicht als eigene Disziplin vertreten. Anfangs war das Ganze ein Drei-Personen-Unternehmen, bestehend aus einem Professor, einem Hochschulassistenten und einem Studenten. Man residierte im Hegelbau in der Wilhelmstraße, zog später in den Blauen Turm an der Friedrichstraße, dann ging es bergauf in die Corrensstraße, und schließlich erfolgte der Umzug auf das Schloss Hohentübingen.

An der Herrichtung des über Jahrzehnte vernachlässigten Schlosses als Heimat der archäologisch-historischen Fächer und als Ort, an dem die universitären Lehrsammlungen dieser Fächer umfassend präsentiert werden konnten, hat Wolfgang Röllig maßgeblich mitgewirkt; seit 1985 hatte er als Schlossvogt Planung und Ausbau des denkmalgeschützten Ensembles für die Wissenschaft begleitet.

Bereits die Veranstaltungen im Wintersemester 1966/67 zeigen die Breite seines Ansatzes: Neben einer Vorlesung zur Geschichte des Alten Orients las er Altbabylonische Briefe, bot eine Einführung in die nordsemitische Epigraphik und eine archäologische Übung zur Frühgeschichte Mesopotamiens an. Das Tübinger Institut wurde ein wichtiger Begegnungsort für Studierende nicht nur aus Deutschland und Europa, sondern auch aus Jordanien, Syrien, Libanon, Irak und der Türkei. Es war Röllig ein besonderes Anliegen, Kontakte zu jenen Ländern aufzubauen, deren frühe Kulturen er untersuchte.

Fachliche Kompetenz, intellektuelle Offenheit und Freude am wissenschaftlichen Austausch mit anderen Fächern zeichneten ihn aus. Röllig integrierte die Forschung zu den Kulturen des Vorderasiatischen Raumes in den Fächerkanon der Universität, er schuf Verbindungen zu den Theologien, zu Ägyptologie und Archäologien, zur Klassischen Philologie ebenso wie zur Geschichtswissenschaft, zur Sprachwissenschaft, zur Religionswissenschaft, zu Fächern wie Arabistik, Islamwissenschaft und Turkologie – aber eben auch zu den Wirtschaftswissenschaften und den Geographen. Seine Fähigkeiten als Brückenbauer ermöglichten den DFG-Sonderforschungsbereich „Tübinger Atlas des Vorderen Orients“ (1969-1993), ein Meilenstein der interdisziplinären Regionalforschung.

Rölligs Sinn für die Lexikographie, geschult in der Mitarbeit am Akkadischen Handwörterbuch in Münster, dem ersten Lexikon zu dieser ältesten semitischen Sprache, prägte sein wissenschaftliches Oeuvre. Es reicht von detailscharfen philologischen Analysen, Grammatiken, Syllabaren und Texteditionen – Grundlagenforschung im Sinne des Wortes – über historisch-kulturwissenschaftliche Beiträge – zum Beispiel zur Geschichte des Biers – bis zur Übersetzung großer literarischer Werke, zuletzt (reclam 2009) eine bibliophile Ausgabe des Gilgamesch-Epos. Doch stets kehrte er von den Wörtern zu den Dingen zurück, den vielen Schriftzeugnissen in Stein und Ton. Er edierte die phönizischen Inschriften vom Karatepe in Südostanatolien und entzifferte die Textfunde aus der Ruine Tall Schech Hamad am syrischen Habur. Über Jahrzehnte bildete er den wissenschaftlichen Nachwuchs in seinem eigenen Fach aus und wies weit darüber hinaus Studentinnen und Studenten den Weg durch die Universität und die ersten Schritte in die Welt der Wissenschaft. Er war ein guter Lehrer und vielen ein Freund und Kollege.